Ich bin so schrecklich bedenklich, so sehr Buridan's Esel, daß mich der Zweifel', in welchem Laden ich einen Kamm oder Bürste kaufen, mit welchem neuen Buchbinder ich es versuchen soll, wochenlang umtreiben, in ein wahres Elend von Einklemmung zwischen Für und Wider versetzen kann. Und doch bin ich auch wieder ganz unbedenklich, gehe frischweg darauf los, fürchte nichts und Niemand, und weiß ganz gewiß, daß ich, wäre ich ein Obergeneral und stünde im Felde, den richtigen Moment für eine Schlacht mit zweifel¬ loser Entschlossenheit ergriffe und drauf schlüge. Auch das würde mich nicht irren, daß gezweifelt werden könnte, ob nicht der folgende Tag einen noch günsti¬ geren Moment brächte. Ich würde mir sagen: nach menschlicher Erkenntniß ist der Moment jetzt günstig, ob morgen ein noch günstigerer kommt, kann man nicht wissen, handle ich also jetzt, so habe ich richtig gehandelt, auch wenn's nicht gut ausläuft und wenn sich herausstellt, daß es besser gewesen wäre, zu warten. Daher wäre ich auch ganz fest gegen Reue. -- Liest das einmal Jemand, er mag's für Prahlerei halten, aber ich weiß, was ich weiß.
Sonst im bürgerlichen Leben und in allen Lagen, wo es nicht drängt, wo Aufschub nicht Gefahr und Schaden bringt, zapple ich, wenn Wahl ist, endlos
Ich bin ſo ſchrecklich bedenklich, ſo ſehr Buridan's Eſel, daß mich der Zweifel’, in welchem Laden ich einen Kamm oder Bürſte kaufen, mit welchem neuen Buchbinder ich es verſuchen ſoll, wochenlang umtreiben, in ein wahres Elend von Einklemmung zwiſchen Für und Wider verſetzen kann. Und doch bin ich auch wieder ganz unbedenklich, gehe friſchweg darauf los, fürchte nichts und Niemand, und weiß ganz gewiß, daß ich, wäre ich ein Obergeneral und ſtünde im Felde, den richtigen Moment für eine Schlacht mit zweifel¬ loſer Entſchloſſenheit ergriffe und drauf ſchlüge. Auch das würde mich nicht irren, daß gezweifelt werden könnte, ob nicht der folgende Tag einen noch günſti¬ geren Moment brächte. Ich würde mir ſagen: nach menſchlicher Erkenntniß iſt der Moment jetzt günſtig, ob morgen ein noch günſtigerer kommt, kann man nicht wiſſen, handle ich alſo jetzt, ſo habe ich richtig gehandelt, auch wenn's nicht gut ausläuft und wenn ſich herausſtellt, daß es beſſer geweſen wäre, zu warten. Daher wäre ich auch ganz feſt gegen Reue. — Liest das einmal Jemand, er mag's für Prahlerei halten, aber ich weiß, was ich weiß.
Sonſt im bürgerlichen Leben und in allen Lagen, wo es nicht drängt, wo Aufſchub nicht Gefahr und Schaden bringt, zapple ich, wenn Wahl iſt, endlos
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Ich bin ſo ſchrecklich bedenklich, ſo ſehr Buridan's
Eſel, daß mich der Zweifel’, in welchem Laden ich
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Buchbinder ich es verſuchen ſoll, wochenlang umtreiben,
in ein wahres Elend von Einklemmung zwiſchen Für
und Wider verſetzen kann. Und doch bin ich auch
wieder ganz unbedenklich, gehe friſchweg darauf los,
fürchte nichts und Niemand, und weiß ganz gewiß,
daß ich, wäre ich ein Obergeneral und ſtünde im Felde,
den richtigen Moment für eine Schlacht mit zweifel¬
loſer Entſchloſſenheit ergriffe und drauf ſchlüge. Auch
das würde mich nicht irren, daß gezweifelt werden
könnte, ob nicht der folgende Tag einen noch günſti¬
geren Moment brächte. Ich würde mir ſagen: nach
menſchlicher Erkenntniß iſt der Moment jetzt günſtig,
ob morgen ein noch günſtigerer kommt, kann man
nicht wiſſen, handle ich alſo jetzt, ſo habe ich richtig
gehandelt, auch wenn's nicht gut ausläuft und wenn
ſich herausſtellt, daß es beſſer geweſen wäre, zu warten.
Daher wäre ich auch ganz feſt gegen Reue. — Liest
das einmal Jemand, er mag's für Prahlerei halten,
aber ich weiß, was ich weiß.
Sonſt im bürgerlichen Leben und in allen Lagen,
wo es nicht drängt, wo Aufſchub nicht Gefahr und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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