diplome, Hofdienste, Orden dem Ehrgeiz, der Eitelkeit; hier aber wirft sich aus Mangel an Anderem die ganze Sinnlichkeit fast allein auf's Geld; dazu das Unglück, daß unser Land von der unendlichen Reise¬ flut überschwemmt wird; das ist ein Fluch, das muß verderben. Ach, schloß er, wir brauchen bald eine neue, große Bluttaufe, einen furchtbaren Kampf um unser Dasein; ich vertraue, es sei noch so viel alte Schweizertugend da, ihn zu bestehen. -- Gebe ihm der Himmel Recht, dem braven Manne! Denn daß inmitten unserer monarchischen Großstaaten noch eine Republik besteht, auf altgesunder Grundlage, verständig, nicht ideologisch, gut konservativ: das soll sein, ist recht und in der Ordnung. Wenn sie sich nur auch vor der modernen Demokratie brav hütet! Gerade einer Republik nichts verderblicher, als der falsche, abstrakte Freiheitsbegriff!
Wieder zu Haus. kleine Reise will in der Nachkur nicht vorhalten. Wenn ich mich vom Amt verschnaufe und meinen Zeitblom ansehe, seinen Ansatz zur Streckung der Formen und daneben doch das Verwachsene, Un¬ freie, Verknorrte, so kommt mich's nun erst recht an: ich sollte eben doch hin, muß hin, muß den freien, großen Styl in der Kunst endlich einmal anders schauen, als nur in Gypsabgüssen und Stichen. Ein
diplome, Hofdienſte, Orden dem Ehrgeiz, der Eitelkeit; hier aber wirft ſich aus Mangel an Anderem die ganze Sinnlichkeit faſt allein auf's Geld; dazu das Unglück, daß unſer Land von der unendlichen Reiſe¬ flut überſchwemmt wird; das iſt ein Fluch, das muß verderben. Ach, ſchloß er, wir brauchen bald eine neue, große Bluttaufe, einen furchtbaren Kampf um unſer Daſein; ich vertraue, es ſei noch ſo viel alte Schweizertugend da, ihn zu beſtehen. — Gebe ihm der Himmel Recht, dem braven Manne! Denn daß inmitten unſerer monarchiſchen Großſtaaten noch eine Republik beſteht, auf altgeſunder Grundlage, verſtändig, nicht ideologiſch, gut konſervativ: das ſoll ſein, iſt recht und in der Ordnung. Wenn ſie ſich nur auch vor der modernen Demokratie brav hütet! Gerade einer Republik nichts verderblicher, als der falſche, abſtrakte Freiheitsbegriff!
Wieder zu Haus. kleine Reiſe will in der Nachkur nicht vorhalten. Wenn ich mich vom Amt verſchnaufe und meinen Zeitblom anſehe, ſeinen Anſatz zur Streckung der Formen und daneben doch das Verwachſene, Un¬ freie, Verknorrte, ſo kommt mich's nun erſt recht an: ich ſollte eben doch hin, muß hin, muß den freien, großen Styl in der Kunſt endlich einmal anders ſchauen, als nur in Gypsabgüſſen und Stichen. Ein
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diplome, Hofdienſte, Orden dem Ehrgeiz, der Eitelkeit;
hier aber wirft ſich aus Mangel an Anderem die
ganze Sinnlichkeit faſt allein auf's Geld; dazu das
Unglück, daß unſer Land von der unendlichen Reiſe¬
flut überſchwemmt wird; das iſt ein Fluch, das muß
verderben. Ach, ſchloß er, wir brauchen bald eine
neue, große Bluttaufe, einen furchtbaren Kampf um
unſer Daſein; ich vertraue, es ſei noch ſo viel alte
Schweizertugend da, ihn zu beſtehen. — Gebe ihm
der Himmel Recht, dem braven Manne! Denn daß
inmitten unſerer monarchiſchen Großſtaaten noch eine
Republik beſteht, auf altgeſunder Grundlage, verſtändig,
nicht ideologiſch, gut konſervativ: das ſoll ſein, iſt
recht und in der Ordnung. Wenn ſie ſich nur auch
vor der modernen Demokratie brav hütet! Gerade
einer Republik nichts verderblicher, als der falſche,
abſtrakte Freiheitsbegriff!
Wieder zu Haus. kleine Reiſe will in der Nachkur
nicht vorhalten. Wenn ich mich vom Amt verſchnaufe
und meinen Zeitblom anſehe, ſeinen Anſatz zur Streckung
der Formen und daneben doch das Verwachſene, Un¬
freie, Verknorrte, ſo kommt mich's nun erſt recht an:
ich ſollte eben doch hin, muß hin, muß den freien,
großen Styl in der Kunſt endlich einmal anders
ſchauen, als nur in Gypsabgüſſen und Stichen. Ein
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/261>, abgerufen am 25.11.2024.
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