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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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das schrecklich mühsame Geschäft auf sich nimmt, die
schriftlichen Sachen, Taufschein, Leumundszeugniß u. s. w.
herbeizuschaffen. Der Ehebruch einer Frau ist haupt¬
sächlich deßwegen schändlich, weil es sich der Ehemann
damit so sauer hat werden lassen müssen. Für diese
Plackerei sollte er doch billig sein Weib allein haben dürfen.


Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das
versäumte Italien! In die Kunst, in's Große der
Kunst -- hier mich einspinnen, hier mich mit ganzer
Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles,
Alles so styllos liegt, nichts Durchschlagendes, nichts,
was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein
Hinderniß für mich, daß es jetzt in politischen Geburts¬
wehen liegt. Eben, weil mich das so zwiespältig
bewegt. Bin kein ästhetischer Ruhkopf, gönne der
Nation, daß sie wird. Aber gerade weil mich das
beschäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und
weil ich als Deutscher den Würfler hasse, dem sie's
verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Be¬
trachtung leben will, so weiß ich doch kaum, ob ich
jetzt hinreisen sollte, wenn ich könnte.


Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder
im Aeschylos gelesen. Agamemnon. Wie Klytämnestra

das ſchrecklich mühſame Geſchäft auf ſich nimmt, die
ſchriftlichen Sachen, Taufſchein, Leumundszeugniß u. ſ. w.
herbeizuſchaffen. Der Ehebruch einer Frau iſt haupt¬
ſächlich deßwegen ſchändlich, weil es ſich der Ehemann
damit ſo ſauer hat werden laſſen müſſen. Für dieſe
Plackerei ſollte er doch billig ſein Weib allein haben dürfen.


Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das
verſäumte Italien! In die Kunſt, in's Große der
Kunſt — hier mich einſpinnen, hier mich mit ganzer
Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles,
Alles ſo ſtyllos liegt, nichts Durchſchlagendes, nichts,
was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein
Hinderniß für mich, daß es jetzt in politiſchen Geburts¬
wehen liegt. Eben, weil mich das ſo zwieſpältig
bewegt. Bin kein äſthetiſcher Ruhkopf, gönne der
Nation, daß ſie wird. Aber gerade weil mich das
beſchäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und
weil ich als Deutſcher den Würfler haſſe, dem ſie's
verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Be¬
trachtung leben will, ſo weiß ich doch kaum, ob ich
jetzt hinreiſen ſollte, wenn ich könnte.


Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder
im Aeſchylos geleſen. Agamemnon. Wie Klytämneſtra

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[238/0251] das ſchrecklich mühſame Geſchäft auf ſich nimmt, die ſchriftlichen Sachen, Taufſchein, Leumundszeugniß u. ſ. w. herbeizuſchaffen. Der Ehebruch einer Frau iſt haupt¬ ſächlich deßwegen ſchändlich, weil es ſich der Ehemann damit ſo ſauer hat werden laſſen müſſen. Für dieſe Plackerei ſollte er doch billig ſein Weib allein haben dürfen. Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das verſäumte Italien! In die Kunſt, in's Große der Kunſt — hier mich einſpinnen, hier mich mit ganzer Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles, Alles ſo ſtyllos liegt, nichts Durchſchlagendes, nichts, was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein Hinderniß für mich, daß es jetzt in politiſchen Geburts¬ wehen liegt. Eben, weil mich das ſo zwieſpältig bewegt. Bin kein äſthetiſcher Ruhkopf, gönne der Nation, daß ſie wird. Aber gerade weil mich das beſchäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und weil ich als Deutſcher den Würfler haſſe, dem ſie's verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Be¬ trachtung leben will, ſo weiß ich doch kaum, ob ich jetzt hinreiſen ſollte, wenn ich könnte. Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder im Aeſchylos geleſen. Agamemnon. Wie Klytämneſtra

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/251>, abgerufen am 16.06.2024.