Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Man darf nur auf der Straße Kinderspielen zusehen
und die kleinen Fratzen beobachten, so wird man den
Satz nicht bestreiten, daß Wohlweisheit ein Hauptlaster
des Weibs ist. Ach, weil "Weibersinn spannenlang ist",
darum ist ihnen Alles so schrecklich klar! Vielleicht
weil Sokrates gestand, daß ihm nichts klar sei, wurde
Xantippe zu einer Pantoffelmeisterin und zu einem
Drachen.


Aber: incidit in Scyllam -- noch viel schlimmer
das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt,
aber nun den Weg der Unweiblichkeit einschlägt, das
eigentliche Philosophiren anfängt und Blaustrumpf wird.
Nein! nein! still ahnend und bescheiden, im stillen
Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund,
wenn auch ohne ganzen Erfolg, sich forschend abmüht:
so ist das rechte Weib. Das Weib ist in seinem hell¬
dunklen Wesen eine geheimnißvolle Einheit der Welt¬
pole Natur und Geist. Will es zugespitzt aus dieser
Einheit heraustreten, so wird es actu weniger, als es
im Wesen ist, theilt sich, verliert sich, wird unange¬
nehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die
unendlicher Anmuth voll ist. Eine Desdemona, eine
Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Welt¬
geist dichtet.


Man darf nur auf der Straße Kinderſpielen zuſehen
und die kleinen Fratzen beobachten, ſo wird man den
Satz nicht beſtreiten, daß Wohlweisheit ein Hauptlaſter
des Weibs iſt. Ach, weil „Weiberſinn ſpannenlang iſt“,
darum iſt ihnen Alles ſo ſchrecklich klar! Vielleicht
weil Sokrates geſtand, daß ihm nichts klar ſei, wurde
Xantippe zu einer Pantoffelmeiſterin und zu einem
Drachen.


Aber: incidit in Scyllam — noch viel ſchlimmer
das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt,
aber nun den Weg der Unweiblichkeit einſchlägt, das
eigentliche Philoſophiren anfängt und Blauſtrumpf wird.
Nein! nein! ſtill ahnend und beſcheiden, im ſtillen
Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund,
wenn auch ohne ganzen Erfolg, ſich forſchend abmüht:
ſo iſt das rechte Weib. Das Weib iſt in ſeinem hell¬
dunklen Weſen eine geheimnißvolle Einheit der Welt¬
pole Natur und Geiſt. Will es zugeſpitzt aus dieſer
Einheit heraustreten, ſo wird es actu weniger, als es
im Weſen iſt, theilt ſich, verliert ſich, wird unange¬
nehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die
unendlicher Anmuth voll iſt. Eine Desdemona, eine
Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Welt¬
geiſt dichtet.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0249" n="236"/>
        <p>Man darf nur auf der Straße Kinder&#x017F;pielen zu&#x017F;ehen<lb/>
und die kleinen Fratzen beobachten, &#x017F;o wird man den<lb/>
Satz nicht be&#x017F;treiten, daß Wohlweisheit ein Hauptla&#x017F;ter<lb/>
des Weibs i&#x017F;t. Ach, weil &#x201E;Weiber&#x017F;inn &#x017F;pannenlang i&#x017F;t&#x201C;,<lb/>
darum i&#x017F;t ihnen Alles &#x017F;o &#x017F;chrecklich klar! Vielleicht<lb/>
weil Sokrates ge&#x017F;tand, daß ihm nichts klar &#x017F;ei, wurde<lb/>
Xantippe zu einer Pantoffelmei&#x017F;terin und zu einem<lb/>
Drachen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Aber: <hi rendition="#aq">incidit in Scyllam</hi> &#x2014; noch viel &#x017F;chlimmer<lb/>
das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt,<lb/>
aber nun den Weg der Unweiblichkeit ein&#x017F;chlägt, das<lb/>
eigentliche Philo&#x017F;ophiren anfängt und Blau&#x017F;trumpf wird.<lb/>
Nein! nein! &#x017F;till ahnend und be&#x017F;cheiden, im &#x017F;tillen<lb/>
Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund,<lb/>
wenn auch ohne ganzen Erfolg, &#x017F;ich for&#x017F;chend abmüht:<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t das rechte Weib. Das Weib i&#x017F;t in &#x017F;einem hell¬<lb/>
dunklen We&#x017F;en eine geheimnißvolle Einheit der Welt¬<lb/>
pole Natur und Gei&#x017F;t. Will es zuge&#x017F;pitzt aus die&#x017F;er<lb/>
Einheit heraustreten, &#x017F;o wird es <hi rendition="#aq">actu</hi> weniger, als es<lb/>
im We&#x017F;en i&#x017F;t, theilt &#x017F;ich, verliert &#x017F;ich, wird unange¬<lb/>
nehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die<lb/>
unendlicher Anmuth voll i&#x017F;t. Eine Desdemona, eine<lb/>
Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Welt¬<lb/>
gei&#x017F;t dichtet.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0249] Man darf nur auf der Straße Kinderſpielen zuſehen und die kleinen Fratzen beobachten, ſo wird man den Satz nicht beſtreiten, daß Wohlweisheit ein Hauptlaſter des Weibs iſt. Ach, weil „Weiberſinn ſpannenlang iſt“, darum iſt ihnen Alles ſo ſchrecklich klar! Vielleicht weil Sokrates geſtand, daß ihm nichts klar ſei, wurde Xantippe zu einer Pantoffelmeiſterin und zu einem Drachen. Aber: incidit in Scyllam — noch viel ſchlimmer das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt, aber nun den Weg der Unweiblichkeit einſchlägt, das eigentliche Philoſophiren anfängt und Blauſtrumpf wird. Nein! nein! ſtill ahnend und beſcheiden, im ſtillen Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund, wenn auch ohne ganzen Erfolg, ſich forſchend abmüht: ſo iſt das rechte Weib. Das Weib iſt in ſeinem hell¬ dunklen Weſen eine geheimnißvolle Einheit der Welt¬ pole Natur und Geiſt. Will es zugeſpitzt aus dieſer Einheit heraustreten, ſo wird es actu weniger, als es im Weſen iſt, theilt ſich, verliert ſich, wird unange¬ nehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die unendlicher Anmuth voll iſt. Eine Desdemona, eine Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Welt¬ geiſt dichtet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/249
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/249>, abgerufen am 24.11.2024.