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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Wo das Menschliche waltet gegen das Rohe, Wilde,
Böse, besonders gegen das Grausame, gegen das
Schlechte, da ist Gott.


Insbesondere aber auch, wo geforscht wird.


"Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!" man
kann hinzufügen: "und klar im Geist, ein Denker und
ein Künstler!" Damit dieß sein könne, muß es eine
Welt geben, dem zu lieb ist sie da. Aber warum gar
so viel des Uebrigen? Es ist nicht anders: Gott hat
einen Untergrund. Jakob Böhme, Schelling, Schopen¬
hauer haben soweit Recht (dunkler Grund, purer
Wille und wie sie es nennen). Er mußte sich -- muß
sich -- einen undurchsichtigen Unterbau schaffen, um
als Geist aus ihm aufzusteigen, und geräth darüber
so in's Zeug, daß er oft ganz vergißt, es handle sich
erst um einen Unterbau; daher zum Beispiel alle wild
teuflische Grausamkeit in der Natur und im Menschen¬
geschlecht, so weit es bloß Natur. Wo in aller Welt
mag währenddessen das wahre Wesen Gottes stecken?
Das Grundthätige im Universum weiß zum Beispiel
um die Zeit, wo es dem Gattungstrieb seine furcht¬
bare Stärke gibt, nichts davon, daß die Menschen ein
Reich der Sitte gründen müssen, wozu unter Anderem

Wo das Menſchliche waltet gegen das Rohe, Wilde,
Böſe, beſonders gegen das Grauſame, gegen das
Schlechte, da iſt Gott.


Insbeſondere aber auch, wo geforſcht wird.


„Edel ſei der Menſch, hilfreich und gut!“ man
kann hinzufügen: „und klar im Geiſt, ein Denker und
ein Künſtler!“ Damit dieß ſein könne, muß es eine
Welt geben, dem zu lieb iſt ſie da. Aber warum gar
ſo viel des Uebrigen? Es iſt nicht anders: Gott hat
einen Untergrund. Jakob Böhme, Schelling, Schopen¬
hauer haben ſoweit Recht (dunkler Grund, purer
Wille und wie ſie es nennen). Er mußte ſich — muß
ſich — einen undurchſichtigen Unterbau ſchaffen, um
als Geiſt aus ihm aufzuſteigen, und geräth darüber
ſo in's Zeug, daß er oft ganz vergißt, es handle ſich
erſt um einen Unterbau; daher zum Beiſpiel alle wild
teufliſche Grauſamkeit in der Natur und im Menſchen¬
geſchlecht, ſo weit es bloß Natur. Wo in aller Welt
mag währenddeſſen das wahre Weſen Gottes ſtecken?
Das Grundthätige im Univerſum weiß zum Beiſpiel
um die Zeit, wo es dem Gattungstrieb ſeine furcht¬
bare Stärke gibt, nichts davon, daß die Menſchen ein
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[131/0144] Wo das Menſchliche waltet gegen das Rohe, Wilde, Böſe, beſonders gegen das Grauſame, gegen das Schlechte, da iſt Gott. Insbeſondere aber auch, wo geforſcht wird. „Edel ſei der Menſch, hilfreich und gut!“ man kann hinzufügen: „und klar im Geiſt, ein Denker und ein Künſtler!“ Damit dieß ſein könne, muß es eine Welt geben, dem zu lieb iſt ſie da. Aber warum gar ſo viel des Uebrigen? Es iſt nicht anders: Gott hat einen Untergrund. Jakob Böhme, Schelling, Schopen¬ hauer haben ſoweit Recht (dunkler Grund, purer Wille und wie ſie es nennen). Er mußte ſich — muß ſich — einen undurchſichtigen Unterbau ſchaffen, um als Geiſt aus ihm aufzuſteigen, und geräth darüber ſo in's Zeug, daß er oft ganz vergißt, es handle ſich erſt um einen Unterbau; daher zum Beiſpiel alle wild teufliſche Grauſamkeit in der Natur und im Menſchen¬ geſchlecht, ſo weit es bloß Natur. Wo in aller Welt mag währenddeſſen das wahre Weſen Gottes ſtecken? Das Grundthätige im Univerſum weiß zum Beiſpiel um die Zeit, wo es dem Gattungstrieb ſeine furcht¬ bare Stärke gibt, nichts davon, daß die Menſchen ein Reich der Sitte gründen müſſen, wozu unter Anderem

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/144>, abgerufen am 22.11.2024.