kurz vor ihrem eigenen Ende gesehen, nachdem auf unserer früheren Reise eine Spur von ihm in Assisi aufgetaucht, aber schnell wieder verschwunden war." Ich sagte, daß ich dieß aus dem Tagebuch entnommen habe. "Und auch die Ahnung?" fragte der Schotte. Auf meine Erwiderung, daß nur ein paar Worte in diesen Blättern auf einen solchen innern Vorgang dunkel hin¬ weisen, erzählte er mir, als Cordelia in Assisi der Auflösung nahe im Haus ihrer Tante darniederlag, sei ganz unvermuthet von A. E. ein Brief eingetroffen mit der Frage, ob sein Besuch nicht unwillkommen wäre. Am Abend vorher sei die Nachricht von der Kriegserklärung zwischen Frankreich und Deutschland nach Assisi gelangt und in der Nacht habe Cordelia geträumt, sie sehe den alten Freund verblutend neben einem Pferde liegen. "Ohne daß wir," fuhr er fort, "eben geneigt wären, an mystische Fernsicht der mensch¬ lichen Seele zu glauben, wollte uns unter dem Ein¬ druck der aufschreckenden Kriegskunde dieses Traumbild doch wie ein prophetisches erscheinen, und die schwere Stimmung, in die es uns versetzte, hat dann diesem Wiedersehen eine gar dunkle Farbe gegeben, die ich doch keine trostlose nennen kann, denn -- o, Sie hätten diesen Abschied zwischen Beiden mitansehen müssen! -- Das war --" -- "Die wenigen Worte der hinter¬ lassenen Blätter lassen mich errathen, was das für eine Stunde war," ergänzte ich die stockende Rede.
kurz vor ihrem eigenen Ende geſehen, nachdem auf unſerer früheren Reiſe eine Spur von ihm in Aſſiſi aufgetaucht, aber ſchnell wieder verſchwunden war.“ Ich ſagte, daß ich dieß aus dem Tagebuch entnommen habe. „Und auch die Ahnung?“ fragte der Schotte. Auf meine Erwiderung, daß nur ein paar Worte in dieſen Blättern auf einen ſolchen innern Vorgang dunkel hin¬ weiſen, erzählte er mir, als Cordelia in Aſſiſi der Auflöſung nahe im Haus ihrer Tante darniederlag, ſei ganz unvermuthet von A. E. ein Brief eingetroffen mit der Frage, ob ſein Beſuch nicht unwillkommen wäre. Am Abend vorher ſei die Nachricht von der Kriegserklärung zwiſchen Frankreich und Deutſchland nach Aſſiſi gelangt und in der Nacht habe Cordelia geträumt, ſie ſehe den alten Freund verblutend neben einem Pferde liegen. „Ohne daß wir,“ fuhr er fort, „eben geneigt wären, an myſtiſche Fernſicht der menſch¬ lichen Seele zu glauben, wollte uns unter dem Ein¬ druck der aufſchreckenden Kriegskunde dieſes Traumbild doch wie ein prophetiſches erſcheinen, und die ſchwere Stimmung, in die es uns verſetzte, hat dann dieſem Wiederſehen eine gar dunkle Farbe gegeben, die ich doch keine troſtloſe nennen kann, denn — o, Sie hätten dieſen Abſchied zwiſchen Beiden mitanſehen müſſen! — Das war —“ — „Die wenigen Worte der hinter¬ laſſenen Blätter laſſen mich errathen, was das für eine Stunde war,“ ergänzte ich die ſtockende Rede.
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kurz vor ihrem eigenen Ende geſehen, nachdem auf
unſerer früheren Reiſe eine Spur von ihm in Aſſiſi
aufgetaucht, aber ſchnell wieder verſchwunden war.“
Ich ſagte, daß ich dieß aus dem Tagebuch entnommen
habe. „Und auch die Ahnung?“ fragte der Schotte. Auf
meine Erwiderung, daß nur ein paar Worte in dieſen
Blättern auf einen ſolchen innern Vorgang dunkel hin¬
weiſen, erzählte er mir, als Cordelia in Aſſiſi der
Auflöſung nahe im Haus ihrer Tante darniederlag,
ſei ganz unvermuthet von A. E. ein Brief eingetroffen
mit der Frage, ob ſein Beſuch nicht unwillkommen
wäre. Am Abend vorher ſei die Nachricht von der
Kriegserklärung zwiſchen Frankreich und Deutſchland
nach Aſſiſi gelangt und in der Nacht habe Cordelia
geträumt, ſie ſehe den alten Freund verblutend neben
einem Pferde liegen. „Ohne daß wir,“ fuhr er fort,
„eben geneigt wären, an myſtiſche Fernſicht der menſch¬
lichen Seele zu glauben, wollte uns unter dem Ein¬
druck der aufſchreckenden Kriegskunde dieſes Traumbild
doch wie ein prophetiſches erſcheinen, und die ſchwere
Stimmung, in die es uns verſetzte, hat dann dieſem
Wiederſehen eine gar dunkle Farbe gegeben, die ich
doch keine troſtloſe nennen kann, denn — o, Sie hätten
dieſen Abſchied zwiſchen Beiden mitanſehen müſſen!
— Das war —“ — „Die wenigen Worte der hinter¬
laſſenen Blätter laſſen mich errathen, was das für
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/118>, abgerufen am 25.11.2024.
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