das Mädchen auf seine erdbeerfrischen, rothen Backen. "Damals war es ein mageres, bleiches Kind," sagte sie, "und ich ein dürres, hungerbleiches Weib; wissen Sie denn auch? Ein Kapital, von dem wir einen Acker und zwei Kühe kaufen konnten; mit Sparen und Hausen haben wir's dann zu einer kleinen Wirthschaft gebracht, wir geben jetzt Arbeitern Kantine, aber keine schlechte, über die unsrige hat's nicht den Krawall gegeben, -- und das Kapital, aus Deutschland ist's gekommen von dem guten, lieben Herrn, ach, nun kann ich ihn noch grüßen, ihm tausend, aber tausendmal danken, sagen Sie ihm: vergelt's Gott sein ganzes Leben lang und noch im Himmel droben!" Ich schwieg vorerst von dem, was seither geschehen, gieng mit der Frau in ihr Haus, fand in der reinlichen kleinen Wirthsstube ihren Mann, der mir herzlich die Hand drückte und ein Glas feurigen Veltliner vorsetzte. Ich begann zu erzählen und suchte den einfachen Menschen einen ungefähren Begriff von dem Manne zu geben, den die Frau so närrisch gesehen und der dann ihr Retter geworden. Nun hielt ich nicht mehr zurück mit dem traurigen Ende. In der Ecke saß ein italieni¬ scher Arbeiter in verschossener Sammetjacke, er bat mich, da er die Thränen der tiefbewegten, dankbaren Men¬ schen sah, ihm zu ergänzen, was er nicht verstanden hatte. "Ah, che bravo!" sagte er dann und bewegte die braune Hand nach den dunklen Augen. --
das Mädchen auf ſeine erdbeerfriſchen, rothen Backen. „Damals war es ein mageres, bleiches Kind,“ ſagte ſie, „und ich ein dürres, hungerbleiches Weib; wiſſen Sie denn auch? Ein Kapital, von dem wir einen Acker und zwei Kühe kaufen konnten; mit Sparen und Hauſen haben wir's dann zu einer kleinen Wirthſchaft gebracht, wir geben jetzt Arbeitern Kantine, aber keine ſchlechte, über die unſrige hat's nicht den Krawall gegeben, — und das Kapital, aus Deutſchland iſt's gekommen von dem guten, lieben Herrn, ach, nun kann ich ihn noch grüßen, ihm tauſend, aber tauſendmal danken, ſagen Sie ihm: vergelt's Gott ſein ganzes Leben lang und noch im Himmel droben!“ Ich ſchwieg vorerſt von dem, was ſeither geſchehen, gieng mit der Frau in ihr Haus, fand in der reinlichen kleinen Wirthsſtube ihren Mann, der mir herzlich die Hand drückte und ein Glas feurigen Veltliner vorſetzte. Ich begann zu erzählen und ſuchte den einfachen Menſchen einen ungefähren Begriff von dem Manne zu geben, den die Frau ſo närriſch geſehen und der dann ihr Retter geworden. Nun hielt ich nicht mehr zurück mit dem traurigen Ende. In der Ecke ſaß ein italieni¬ ſcher Arbeiter in verſchoſſener Sammetjacke, er bat mich, da er die Thränen der tiefbewegten, dankbaren Men¬ ſchen ſah, ihm zu ergänzen, was er nicht verſtanden hatte. „Ah, che bravo!“ ſagte er dann und bewegte die braune Hand nach den dunklen Augen. —
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das Mädchen auf ſeine erdbeerfriſchen, rothen Backen.
„Damals war es ein mageres, bleiches Kind,“ ſagte
ſie, „und ich ein dürres, hungerbleiches Weib; wiſſen
Sie denn auch? Ein Kapital, von dem wir einen
Acker und zwei Kühe kaufen konnten; mit Sparen und
Hauſen haben wir's dann zu einer kleinen Wirthſchaft
gebracht, wir geben jetzt Arbeitern Kantine, aber keine
ſchlechte, über die unſrige hat's nicht den Krawall
gegeben, — und das Kapital, aus Deutſchland iſt's
gekommen von dem guten, lieben Herrn, ach, nun
kann ich ihn noch grüßen, ihm tauſend, aber tauſendmal
danken, ſagen Sie ihm: vergelt's Gott ſein ganzes
Leben lang und noch im Himmel droben!“ Ich ſchwieg
vorerſt von dem, was ſeither geſchehen, gieng mit der
Frau in ihr Haus, fand in der reinlichen kleinen
Wirthsſtube ihren Mann, der mir herzlich die Hand
drückte und ein Glas feurigen Veltliner vorſetzte. Ich
begann zu erzählen und ſuchte den einfachen Menſchen
einen ungefähren Begriff von dem Manne zu geben,
den die Frau ſo närriſch geſehen und der dann ihr
Retter geworden. Nun hielt ich nicht mehr zurück
mit dem traurigen Ende. In der Ecke ſaß ein italieni¬
ſcher Arbeiter in verſchoſſener Sammetjacke, er bat mich,
da er die Thränen der tiefbewegten, dankbaren Men¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/115>, abgerufen am 25.11.2024.
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