weisen Kellner geschüttelt", oder: "Die Bougies auf die Straße geschmissen", oder: "Händel wegen der Zeche", während in einem albergo, das er als altgediegen belobt, Trinkgelder von auffallend splendider Höhe notirt sind. Für die Städte sind überdieß als Frucht eines sichtbar eifrigen Nachfragens häufig die Ge¬ schäfte bemerkt, wo man den und jenen Artikel des Reisebedürfnisses gut einkauft, namentlich findet sich die Fußbekleidung ernstlich bedacht. In Venedig heißt es einmal: "Wieder eine Stunde bei meinem wackern cal¬ zolajo gesessen; guter Alter, enge Werkstätte malerisch; intelligenter Kopf, begreift den Fuß." Zwischen solchen Notizen liest man einmal: "Da bittet mich eine deutsche Dame in Mailand, sie mit belehrenden Winken für ihre weitere Reise auszurüsten. Bereitwillig nenne ich ihr gute Gasthöfe, gebe ihr den werthvollen Rath, nie an¬ ders als mit genügend ausgetretenem Schuhwerk zu reisen u. s. w., sie sieht mich verblüfft und verstimmt an und gesteht dann ihre Enttäuschung. Dumme Menschen! Jetzt meinen die, ich werde mit ästhetischen Phrasen -- ,Italiens ewig blauer Himmel -- ent¬ zückendes Panorama -- Perle der Plastik -- gött¬ liches Gemälde' -- und derlei loslegen -- Donner¬ wetter! Wer kann Schönes sehen, Schönes fühlen, wenn ihn ein Hühnerauge brennt! Wer widrig wohnt, hat für nichts Stimmung, wer nicht gern zu Haus ist, den freut auch draußen nichts. Das Höhere ver¬
weiſen Kellner geſchüttelt“, oder: „Die Bougies auf die Straße geſchmiſſen“, oder: „Händel wegen der Zeche“, während in einem albergo, das er als altgediegen belobt, Trinkgelder von auffallend ſplendider Höhe notirt ſind. Für die Städte ſind überdieß als Frucht eines ſichtbar eifrigen Nachfragens häufig die Ge¬ ſchäfte bemerkt, wo man den und jenen Artikel des Reiſebedürfniſſes gut einkauft, namentlich findet ſich die Fußbekleidung ernſtlich bedacht. In Venedig heißt es einmal: „Wieder eine Stunde bei meinem wackern cal¬ zolajo geſeſſen; guter Alter, enge Werkſtätte maleriſch; intelligenter Kopf, begreift den Fuß.“ Zwiſchen ſolchen Notizen liest man einmal: „Da bittet mich eine deutſche Dame in Mailand, ſie mit belehrenden Winken für ihre weitere Reiſe auszurüſten. Bereitwillig nenne ich ihr gute Gaſthöfe, gebe ihr den werthvollen Rath, nie an¬ ders als mit genügend ausgetretenem Schuhwerk zu reiſen u. ſ. w., ſie ſieht mich verblüfft und verſtimmt an und geſteht dann ihre Enttäuſchung. Dumme Menſchen! Jetzt meinen die, ich werde mit äſthetiſchen Phraſen — ‚Italiens ewig blauer Himmel — ent¬ zückendes Panorama — Perle der Plaſtik — gött¬ liches Gemälde' — und derlei loslegen — Donner¬ wetter! Wer kann Schönes ſehen, Schönes fühlen, wenn ihn ein Hühnerauge brennt! Wer widrig wohnt, hat für nichts Stimmung, wer nicht gern zu Haus iſt, den freut auch draußen nichts. Das Höhere ver¬
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[89/0102]
weiſen Kellner geſchüttelt“, oder: „Die Bougies auf die
Straße geſchmiſſen“, oder: „Händel wegen der Zeche“,
während in einem albergo, das er als altgediegen
belobt, Trinkgelder von auffallend ſplendider Höhe
notirt ſind. Für die Städte ſind überdieß als Frucht
eines ſichtbar eifrigen Nachfragens häufig die Ge¬
ſchäfte bemerkt, wo man den und jenen Artikel des
Reiſebedürfniſſes gut einkauft, namentlich findet ſich
die Fußbekleidung ernſtlich bedacht. In Venedig heißt es
einmal: „Wieder eine Stunde bei meinem wackern cal¬
zolajo geſeſſen; guter Alter, enge Werkſtätte maleriſch;
intelligenter Kopf, begreift den Fuß.“ Zwiſchen ſolchen
Notizen liest man einmal: „Da bittet mich eine deutſche
Dame in Mailand, ſie mit belehrenden Winken für ihre
weitere Reiſe auszurüſten. Bereitwillig nenne ich ihr
gute Gaſthöfe, gebe ihr den werthvollen Rath, nie an¬
ders als mit genügend ausgetretenem Schuhwerk zu
reiſen u. ſ. w., ſie ſieht mich verblüfft und verſtimmt
an und geſteht dann ihre Enttäuſchung. Dumme
Menſchen! Jetzt meinen die, ich werde mit äſthetiſchen
Phraſen — ‚Italiens ewig blauer Himmel — ent¬
zückendes Panorama — Perle der Plaſtik — gött¬
liches Gemälde' — und derlei loslegen — Donner¬
wetter! Wer kann Schönes ſehen, Schönes fühlen,
wenn ihn ein Hühnerauge brennt! Wer widrig wohnt,
hat für nichts Stimmung, wer nicht gern zu Haus
iſt, den freut auch draußen nichts. Das Höhere ver¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/102>, abgerufen am 23.11.2024.
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