Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

"Raum und Zeit?"

"Eben. Was ist der Raum denn Anderes, als die
unverschämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den
Körper a hieherzusetzen (-- er zeigte es an Tassen,
Kannen, Körbchen, Flaschen, Gläsern, die etwas dicht
auf dem Tische standen --), vorher b dort weg, um
Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg stellen
muß und so mit Grazie in infinitum --? Und die
Zeit? Das ist dasjenige, was man dazu doch nicht
hat. Denn Donnerwetter und alle tausend Teufel,
leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu
dem, was kaum Eines Griffs werth ist!"

Der Unbekannte bewegte jetzt stärker und ärgerlich
lachend den Kopf hin und her und eine sichtbare Un¬
ruhe kam ihm in die Beine.

A. E. war nun gut im Zuge. "Ein andermal,"
fuhr er fort, "sind die Nickel unverschämt in entgegen¬
gesetzter Richtung. Jetzt will zusammen, was nicht
zusammengehört. Kennen Sie eine der verfluchtesten
Formen: das Mitgehen? Wenn so ein liebenswürdiges
Blatt, das zum Aktenstoß Y gehört, beim Ordnen,
Aufbewahren zu unterst an Fascikel Z hinkriecht und
mit hinein in das Schubfach schlüpft und sich über
Tag, Woche oder Jahr nicht finden, sich suchen läßt
unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnsinn?
Dagegen ist so was, wie das bekannte, ewige Unter¬
schlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des

„Raum und Zeit?“

„Eben. Was iſt der Raum denn Anderes, als die
unverſchämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den
Körper a hieherzuſetzen (— er zeigte es an Taſſen,
Kannen, Körbchen, Flaſchen, Gläſern, die etwas dicht
auf dem Tiſche ſtanden —), vorher b dort weg, um
Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg ſtellen
muß und ſo mit Grazie in infinitum —? Und die
Zeit? Das iſt dasjenige, was man dazu doch nicht
hat. Denn Donnerwetter und alle tauſend Teufel,
leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu
dem, was kaum Eines Griffs werth iſt!“

Der Unbekannte bewegte jetzt ſtärker und ärgerlich
lachend den Kopf hin und her und eine ſichtbare Un¬
ruhe kam ihm in die Beine.

A. E. war nun gut im Zuge. „Ein andermal,“
fuhr er fort, „ſind die Nickel unverſchämt in entgegen¬
geſetzter Richtung. Jetzt will zuſammen, was nicht
zuſammengehört. Kennen Sie eine der verfluchteſten
Formen: das Mitgehen? Wenn ſo ein liebenswürdiges
Blatt, das zum Aktenſtoß Y gehört, beim Ordnen,
Aufbewahren zu unterſt an Fascikel Z hinkriecht und
mit hinein in das Schubfach ſchlüpft und ſich über
Tag, Woche oder Jahr nicht finden, ſich ſuchen läßt
unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnſinn?
Dagegen iſt ſo was, wie das bekannte, ewige Unter¬
ſchlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0048" n="35"/>
        <p>&#x201E;Raum und Zeit?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eben. Was i&#x017F;t der Raum denn Anderes, als die<lb/>
unver&#x017F;chämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den<lb/>
Körper <hi rendition="#aq">a</hi> hieherzu&#x017F;etzen (&#x2014; er zeigte es an Ta&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
Kannen, Körbchen, Fla&#x017F;chen, Glä&#x017F;ern, die etwas dicht<lb/>
auf dem Ti&#x017F;che &#x017F;tanden &#x2014;), vorher <hi rendition="#aq">b</hi> dort weg, um<lb/>
Platz für <hi rendition="#aq">b</hi> zu bekommen, wieder <hi rendition="#aq">c</hi> da hinweg &#x017F;tellen<lb/>
muß und &#x017F;o mit Grazie <hi rendition="#aq">in infinitum</hi> &#x2014;? Und die<lb/>
Zeit? Das i&#x017F;t dasjenige, was man dazu doch nicht<lb/>
hat. Denn Donnerwetter und alle tau&#x017F;end Teufel,<lb/>
leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu<lb/>
dem, was kaum Eines Griffs werth i&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Unbekannte bewegte jetzt &#x017F;tärker und ärgerlich<lb/>
lachend den Kopf hin und her und eine &#x017F;ichtbare Un¬<lb/>
ruhe kam ihm in die Beine.</p><lb/>
        <p>A. E. war nun gut im Zuge. &#x201E;Ein andermal,&#x201C;<lb/>
fuhr er fort, &#x201E;&#x017F;ind die Nickel unver&#x017F;chämt in entgegen¬<lb/>
ge&#x017F;etzter Richtung. Jetzt will zu&#x017F;ammen, was nicht<lb/>
zu&#x017F;ammengehört. Kennen Sie eine der verfluchte&#x017F;ten<lb/>
Formen: das Mitgehen? Wenn &#x017F;o ein liebenswürdiges<lb/>
Blatt, das zum Akten&#x017F;toß Y gehört, beim Ordnen,<lb/>
Aufbewahren zu unter&#x017F;t an Fascikel Z hinkriecht und<lb/>
mit hinein in das Schubfach &#x017F;chlüpft und &#x017F;ich über<lb/>
Tag, Woche oder Jahr nicht finden, &#x017F;ich &#x017F;uchen läßt<lb/>
unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahn&#x017F;inn?<lb/>
Dagegen i&#x017F;t &#x017F;o was, wie das bekannte, ewige Unter¬<lb/>
&#x017F;chlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0048] „Raum und Zeit?“ „Eben. Was iſt der Raum denn Anderes, als die unverſchämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den Körper a hieherzuſetzen (— er zeigte es an Taſſen, Kannen, Körbchen, Flaſchen, Gläſern, die etwas dicht auf dem Tiſche ſtanden —), vorher b dort weg, um Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg ſtellen muß und ſo mit Grazie in infinitum —? Und die Zeit? Das iſt dasjenige, was man dazu doch nicht hat. Denn Donnerwetter und alle tauſend Teufel, leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu dem, was kaum Eines Griffs werth iſt!“ Der Unbekannte bewegte jetzt ſtärker und ärgerlich lachend den Kopf hin und her und eine ſichtbare Un¬ ruhe kam ihm in die Beine. A. E. war nun gut im Zuge. „Ein andermal,“ fuhr er fort, „ſind die Nickel unverſchämt in entgegen¬ geſetzter Richtung. Jetzt will zuſammen, was nicht zuſammengehört. Kennen Sie eine der verfluchteſten Formen: das Mitgehen? Wenn ſo ein liebenswürdiges Blatt, das zum Aktenſtoß Y gehört, beim Ordnen, Aufbewahren zu unterſt an Fascikel Z hinkriecht und mit hinein in das Schubfach ſchlüpft und ſich über Tag, Woche oder Jahr nicht finden, ſich ſuchen läßt unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnſinn? Dagegen iſt ſo was, wie das bekannte, ewige Unter¬ ſchlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/48
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/48>, abgerufen am 04.12.2024.