"Eben. Was ist der Raum denn Anderes, als die unverschämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den Körper a hieherzusetzen (-- er zeigte es an Tassen, Kannen, Körbchen, Flaschen, Gläsern, die etwas dicht auf dem Tische standen --), vorher b dort weg, um Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg stellen muß und so mit Grazie in infinitum --? Und die Zeit? Das ist dasjenige, was man dazu doch nicht hat. Denn Donnerwetter und alle tausend Teufel, leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu dem, was kaum Eines Griffs werth ist!"
Der Unbekannte bewegte jetzt stärker und ärgerlich lachend den Kopf hin und her und eine sichtbare Un¬ ruhe kam ihm in die Beine.
A. E. war nun gut im Zuge. "Ein andermal," fuhr er fort, "sind die Nickel unverschämt in entgegen¬ gesetzter Richtung. Jetzt will zusammen, was nicht zusammengehört. Kennen Sie eine der verfluchtesten Formen: das Mitgehen? Wenn so ein liebenswürdiges Blatt, das zum Aktenstoß Y gehört, beim Ordnen, Aufbewahren zu unterst an Fascikel Z hinkriecht und mit hinein in das Schubfach schlüpft und sich über Tag, Woche oder Jahr nicht finden, sich suchen läßt unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnsinn? Dagegen ist so was, wie das bekannte, ewige Unter¬ schlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des
„Raum und Zeit?“
„Eben. Was iſt der Raum denn Anderes, als die unverſchämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den Körper a hieherzuſetzen (— er zeigte es an Taſſen, Kannen, Körbchen, Flaſchen, Gläſern, die etwas dicht auf dem Tiſche ſtanden —), vorher b dort weg, um Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg ſtellen muß und ſo mit Grazie in infinitum —? Und die Zeit? Das iſt dasjenige, was man dazu doch nicht hat. Denn Donnerwetter und alle tauſend Teufel, leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu dem, was kaum Eines Griffs werth iſt!“
Der Unbekannte bewegte jetzt ſtärker und ärgerlich lachend den Kopf hin und her und eine ſichtbare Un¬ ruhe kam ihm in die Beine.
A. E. war nun gut im Zuge. „Ein andermal,“ fuhr er fort, „ſind die Nickel unverſchämt in entgegen¬ geſetzter Richtung. Jetzt will zuſammen, was nicht zuſammengehört. Kennen Sie eine der verfluchteſten Formen: das Mitgehen? Wenn ſo ein liebenswürdiges Blatt, das zum Aktenſtoß Y gehört, beim Ordnen, Aufbewahren zu unterſt an Fascikel Z hinkriecht und mit hinein in das Schubfach ſchlüpft und ſich über Tag, Woche oder Jahr nicht finden, ſich ſuchen läßt unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnſinn? Dagegen iſt ſo was, wie das bekannte, ewige Unter¬ ſchlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des
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[35/0048]
„Raum und Zeit?“
„Eben. Was iſt der Raum denn Anderes, als die
unverſchämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den
Körper a hieherzuſetzen (— er zeigte es an Taſſen,
Kannen, Körbchen, Flaſchen, Gläſern, die etwas dicht
auf dem Tiſche ſtanden —), vorher b dort weg, um
Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg ſtellen
muß und ſo mit Grazie in infinitum —? Und die
Zeit? Das iſt dasjenige, was man dazu doch nicht
hat. Denn Donnerwetter und alle tauſend Teufel,
leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu
dem, was kaum Eines Griffs werth iſt!“
Der Unbekannte bewegte jetzt ſtärker und ärgerlich
lachend den Kopf hin und her und eine ſichtbare Un¬
ruhe kam ihm in die Beine.
A. E. war nun gut im Zuge. „Ein andermal,“
fuhr er fort, „ſind die Nickel unverſchämt in entgegen¬
geſetzter Richtung. Jetzt will zuſammen, was nicht
zuſammengehört. Kennen Sie eine der verfluchteſten
Formen: das Mitgehen? Wenn ſo ein liebenswürdiges
Blatt, das zum Aktenſtoß Y gehört, beim Ordnen,
Aufbewahren zu unterſt an Fascikel Z hinkriecht und
mit hinein in das Schubfach ſchlüpft und ſich über
Tag, Woche oder Jahr nicht finden, ſich ſuchen läßt
unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnſinn?
Dagegen iſt ſo was, wie das bekannte, ewige Unter¬
ſchlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/48>, abgerufen am 04.12.2024.
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