Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Roth bemalt, waren darauf zu sehen. Es war
Urhixidur. Dyfuwal überließ ihr ohne Widerrede,
was eigentlich sein Geschäft war. Sie reichte den
Stab dem Druiden, zog eine der Fackeln aus der
Klamme, die sie am Pfahle festhielt, und beleuchtete
den Stab in Angus' Hand. Man konnte jetzt sehen,
daß das Roth der Zeichen aus Blut bestand.

"Hier ist das Urtheil!" rief der Druide, den Stab
hoch emporstreckend. "Wer sind die Richter?" riefen
gleichzeitig die zwei Barden, "nur ein Beschluß der
Volksgemeinde kann Todesurtheil fällen." -- "Das
ist nicht Gesetz, nur Brauch", rief Angus. "Ererbt,
verjährt, durch die Jahre geheiligter Brauch!" ent¬
gegnete Kullur. Jetzt trat schnell Sigunens Vater,
Odgal, vor und sprach: "Er war mein Gast, ver¬
klage ihn, wenn du willst, förmlich vor der Gemeinde,
er soll nicht ungehört, nicht unvertheidigt gerichtet
werden!"

"Das gemeinschaftliche Amt," erwidert der Druide,
"ist befugter Vertreter der Gemeinde, ich habe zu den
zwei Aeltesten, die mir in Sachen des Gottesdienstes
zur Seite stehen, vier weitere beigezogen, die vom
Volke gewählten, dem obersten Haupt und Richter,
dem Druiden, an die Hand gegebenen Berather und
Verwalter der weltlichen Dinge -- lies, Urhixidur!
lies das Urtheil, das nun dem Verbrecher soll ver¬
kündigt werden!"

mit Roth bemalt, waren darauf zu ſehen. Es war
Urhixidur. Dyfuwal überließ ihr ohne Widerrede,
was eigentlich ſein Geſchäft war. Sie reichte den
Stab dem Druiden, zog eine der Fackeln aus der
Klamme, die ſie am Pfahle feſthielt, und beleuchtete
den Stab in Angus' Hand. Man konnte jetzt ſehen,
daß das Roth der Zeichen aus Blut beſtand.

„Hier iſt das Urtheil!“ rief der Druide, den Stab
hoch emporſtreckend. „Wer ſind die Richter?“ riefen
gleichzeitig die zwei Barden, „nur ein Beſchluß der
Volksgemeinde kann Todesurtheil fällen.“ — „Das
iſt nicht Geſetz, nur Brauch“, rief Angus. „Ererbt,
verjährt, durch die Jahre geheiligter Brauch!“ ent¬
gegnete Kullur. Jetzt trat ſchnell Sigunens Vater,
Odgal, vor und ſprach: „Er war mein Gaſt, ver¬
klage ihn, wenn du willſt, förmlich vor der Gemeinde,
er ſoll nicht ungehört, nicht unvertheidigt gerichtet
werden!“

„Das gemeinſchaftliche Amt,“ erwidert der Druide,
„iſt befugter Vertreter der Gemeinde, ich habe zu den
zwei Aelteſten, die mir in Sachen des Gottesdienſtes
zur Seite ſtehen, vier weitere beigezogen, die vom
Volke gewählten, dem oberſten Haupt und Richter,
dem Druiden, an die Hand gegebenen Berather und
Verwalter der weltlichen Dinge — lies, Urhixidur!
lies das Urtheil, das nun dem Verbrecher ſoll ver¬
kündigt werden!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="387"/>
mit Roth bemalt, waren darauf zu &#x017F;ehen. Es war<lb/>
Urhixidur. Dyfuwal überließ ihr ohne Widerrede,<lb/>
was eigentlich &#x017F;ein Ge&#x017F;chäft war. Sie reichte den<lb/>
Stab dem Druiden, zog eine der Fackeln aus der<lb/>
Klamme, die &#x017F;ie am Pfahle fe&#x017F;thielt, und beleuchtete<lb/>
den Stab in Angus' Hand. Man konnte jetzt &#x017F;ehen,<lb/>
daß das Roth der Zeichen aus Blut be&#x017F;tand.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hier i&#x017F;t das Urtheil!&#x201C; rief der Druide, den Stab<lb/>
hoch empor&#x017F;treckend. &#x201E;Wer &#x017F;ind die Richter?&#x201C; riefen<lb/>
gleichzeitig die zwei Barden, &#x201E;nur ein Be&#x017F;chluß der<lb/>
Volksgemeinde kann Todesurtheil fällen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Das<lb/>
i&#x017F;t nicht Ge&#x017F;etz, nur Brauch&#x201C;, rief Angus. &#x201E;Ererbt,<lb/>
verjährt, durch die Jahre geheiligter Brauch!&#x201C; ent¬<lb/>
gegnete Kullur. Jetzt trat &#x017F;chnell Sigunens Vater,<lb/>
Odgal, vor und &#x017F;prach: &#x201E;Er war mein Ga&#x017F;t, ver¬<lb/>
klage ihn, wenn du will&#x017F;t, förmlich vor der Gemeinde,<lb/>
er &#x017F;oll nicht ungehört, nicht unvertheidigt gerichtet<lb/>
werden!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das gemein&#x017F;chaftliche Amt,&#x201C; erwidert der Druide,<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t befugter Vertreter der Gemeinde, ich habe zu den<lb/>
zwei Aelte&#x017F;ten, die mir in Sachen des Gottesdien&#x017F;tes<lb/>
zur Seite &#x017F;tehen, vier weitere beigezogen, die vom<lb/>
Volke gewählten, dem ober&#x017F;ten Haupt und Richter,<lb/>
dem Druiden, an die Hand gegebenen Berather und<lb/>
Verwalter der weltlichen Dinge &#x2014; lies, Urhixidur!<lb/>
lies das Urtheil, das nun dem Verbrecher &#x017F;oll ver¬<lb/>
kündigt werden!&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0402] mit Roth bemalt, waren darauf zu ſehen. Es war Urhixidur. Dyfuwal überließ ihr ohne Widerrede, was eigentlich ſein Geſchäft war. Sie reichte den Stab dem Druiden, zog eine der Fackeln aus der Klamme, die ſie am Pfahle feſthielt, und beleuchtete den Stab in Angus' Hand. Man konnte jetzt ſehen, daß das Roth der Zeichen aus Blut beſtand. „Hier iſt das Urtheil!“ rief der Druide, den Stab hoch emporſtreckend. „Wer ſind die Richter?“ riefen gleichzeitig die zwei Barden, „nur ein Beſchluß der Volksgemeinde kann Todesurtheil fällen.“ — „Das iſt nicht Geſetz, nur Brauch“, rief Angus. „Ererbt, verjährt, durch die Jahre geheiligter Brauch!“ ent¬ gegnete Kullur. Jetzt trat ſchnell Sigunens Vater, Odgal, vor und ſprach: „Er war mein Gaſt, ver¬ klage ihn, wenn du willſt, förmlich vor der Gemeinde, er ſoll nicht ungehört, nicht unvertheidigt gerichtet werden!“ „Das gemeinſchaftliche Amt,“ erwidert der Druide, „iſt befugter Vertreter der Gemeinde, ich habe zu den zwei Aelteſten, die mir in Sachen des Gottesdienſtes zur Seite ſtehen, vier weitere beigezogen, die vom Volke gewählten, dem oberſten Haupt und Richter, dem Druiden, an die Hand gegebenen Berather und Verwalter der weltlichen Dinge — lies, Urhixidur! lies das Urtheil, das nun dem Verbrecher ſoll ver¬ kündigt werden!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/402
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/402>, abgerufen am 04.12.2024.