Alle Thiere stehen jetzt tief gebückt, der Drache kriecht vor sie hin und winselt. Sie brüllt weich, lieblich, mit mütterlichem Tone. Auf einmal erscheint ein munteres Kalb, ein Scheck; es vergnügt sich in schwerfälligen, ungeregelten Sprüngen. Das wurde wiederum ganz meisterlich agirt; der Künstler wußte sich mit ganzer Seele in das gründlich Unvermittelte, jedes runden Uebergangs Entbehrende der Scherzbewegungen des Kuhsöhnchens zu versetzen; bei der Herstellung der Maske hatte Bappabuk sogar nicht vergessen, in der Mitte des Schwanzes jenen knopfigen Bug anzubringen, vermöge dessen dieß Organ des jungen Rinds wie halbgebrochen aussieht. Wie ward der Sinn dieser Erscheinung von den Zuschauern verstanden! Da war keiner so gedankenlos, daß er nicht begriffen hätte, der Scheck sei die Welt und die plumpen Sprünge seien die noch bildungslosen Urzustände der Menschheit. Nun aber richtete sich die Kuh auf, trat auf den Hinterfüßen hervor, faßte mit dem einen Vorderhuf ihr Kind am Ohr, mit dem andern den Drachen am Kamm, stellte sie in die Mitte, bedeutete ihnen, wohl aufzumerken, holte dann zwei der jungen Bären her¬ vor und forderte sie auf, eine Galoppade zu beginnen, indem sie ihnen die Tanzschritte vormachte. Die Bär¬ chen machten ihre Sache so hübsch ordentlich, daß nun die Kuh sie dem Drachen und Kalb als Muster em¬ pfehlen durfte. Das neue Paar umfieng sich mit den
Vischer, Auch Einer. I. 23
Alle Thiere ſtehen jetzt tief gebückt, der Drache kriecht vor ſie hin und winſelt. Sie brüllt weich, lieblich, mit mütterlichem Tone. Auf einmal erſcheint ein munteres Kalb, ein Scheck; es vergnügt ſich in ſchwerfälligen, ungeregelten Sprüngen. Das wurde wiederum ganz meiſterlich agirt; der Künſtler wußte ſich mit ganzer Seele in das gründlich Unvermittelte, jedes runden Uebergangs Entbehrende der Scherzbewegungen des Kuhſöhnchens zu verſetzen; bei der Herſtellung der Maske hatte Bappabuk ſogar nicht vergeſſen, in der Mitte des Schwanzes jenen knopfigen Bug anzubringen, vermöge deſſen dieß Organ des jungen Rinds wie halbgebrochen ausſieht. Wie ward der Sinn dieſer Erſcheinung von den Zuſchauern verſtanden! Da war keiner ſo gedankenlos, daß er nicht begriffen hätte, der Scheck ſei die Welt und die plumpen Sprünge ſeien die noch bildungsloſen Urzuſtände der Menſchheit. Nun aber richtete ſich die Kuh auf, trat auf den Hinterfüßen hervor, faßte mit dem einen Vorderhuf ihr Kind am Ohr, mit dem andern den Drachen am Kamm, ſtellte ſie in die Mitte, bedeutete ihnen, wohl aufzumerken, holte dann zwei der jungen Bären her¬ vor und forderte ſie auf, eine Galoppade zu beginnen, indem ſie ihnen die Tanzſchritte vormachte. Die Bär¬ chen machten ihre Sache ſo hübſch ordentlich, daß nun die Kuh ſie dem Drachen und Kalb als Muſter em¬ pfehlen durfte. Das neue Paar umfieng ſich mit den
Viſcher, Auch Einer. I. 23
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Alle Thiere ſtehen jetzt tief gebückt, der Drache kriecht
vor ſie hin und winſelt. Sie brüllt weich, lieblich, mit
mütterlichem Tone. Auf einmal erſcheint ein munteres
Kalb, ein Scheck; es vergnügt ſich in ſchwerfälligen,
ungeregelten Sprüngen. Das wurde wiederum ganz
meiſterlich agirt; der Künſtler wußte ſich mit ganzer
Seele in das gründlich Unvermittelte, jedes runden
Uebergangs Entbehrende der Scherzbewegungen des
Kuhſöhnchens zu verſetzen; bei der Herſtellung der
Maske hatte Bappabuk ſogar nicht vergeſſen, in der
Mitte des Schwanzes jenen knopfigen Bug anzubringen,
vermöge deſſen dieß Organ des jungen Rinds wie
halbgebrochen ausſieht. Wie ward der Sinn dieſer
Erſcheinung von den Zuſchauern verſtanden! Da war
keiner ſo gedankenlos, daß er nicht begriffen hätte, der
Scheck ſei die Welt und die plumpen Sprünge ſeien
die noch bildungsloſen Urzuſtände der Menſchheit.
Nun aber richtete ſich die Kuh auf, trat auf den
Hinterfüßen hervor, faßte mit dem einen Vorderhuf
ihr Kind am Ohr, mit dem andern den Drachen am
Kamm, ſtellte ſie in die Mitte, bedeutete ihnen, wohl
aufzumerken, holte dann zwei der jungen Bären her¬
vor und forderte ſie auf, eine Galoppade zu beginnen,
indem ſie ihnen die Tanzſchritte vormachte. Die Bär¬
chen machten ihre Sache ſo hübſch ordentlich, daß nun
die Kuh ſie dem Drachen und Kalb als Muſter em¬
pfehlen durfte. Das neue Paar umfieng ſich mit den
Viſcher, Auch Einer. I. 23
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/366>, abgerufen am 05.12.2024.
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