Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

sich leider eine Ungebührlichkeit. Der Bär muß vor
Rührung niesen. Er fällt in seine Unbildung zurück
und gebraucht wie vorhin die Pfoten. Petzin will zu
einer zweiten unsanften Behandlung ausholen, besinnt
sich aber, trabt plötzlich hinweg und erscheint nach
einer Pause, in welcher sich der Verlassene trostloser
Verzweiflung hingegeben, unter dem Jubel der Zu¬
schauer mit einem schneeweißen, roth gesäumten Tüchlein.
Mit Grazie zeigt sie ihm den Gebrauch, mit Grazie
reicht sie es hin, sinnend betrachtet es Petz, man sieht,
daß ein radikaler Prozeß in seinem Geist und Gemüth
vor sich geht und -- zum ersten Mal im Leben --
schnäuzt er sich -- kräftig, vernehmlich, laut!

Lebhafter Beifall. Der erste Akt ist vorüber. Mit
kühnem Geistesfluge nimmt der Tanzdichter an, eine ge¬
raume Zeit, Monate, Jahre seien in der kaum viertel¬
stündigen Pause verstrichen. Hornstöße verkünden den
Anfang des zweiten Aktes; ihnen folgt eine lustige
Melodie von Pfeifen und Blättlein, unter deren Klängen
eine glückliche Bärenfamilie auf die Bühne tritt. Vier
muntere Kinder folgen dem zärtlichen Elternpaar. Der
kleine Bruder und das Schwesterchen Sigunens mit
zwei Nachbarkindern stacken in den Pelzen. Wer je den
Galopp von Bärenjungen gesehen und bemerkt hat,
wie drollig sie dabei mit dem rechten Hinterbein nach¬
schieben, der mußte staunen, mit welcher Meisterschaft
die klugen Kinder das vorstellten; schon in ihrem

ſich leider eine Ungebührlichkeit. Der Bär muß vor
Rührung nieſen. Er fällt in ſeine Unbildung zurück
und gebraucht wie vorhin die Pfoten. Petzin will zu
einer zweiten unſanften Behandlung ausholen, beſinnt
ſich aber, trabt plötzlich hinweg und erſcheint nach
einer Pauſe, in welcher ſich der Verlaſſene troſtloſer
Verzweiflung hingegeben, unter dem Jubel der Zu¬
ſchauer mit einem ſchneeweißen, roth geſäumten Tüchlein.
Mit Grazie zeigt ſie ihm den Gebrauch, mit Grazie
reicht ſie es hin, ſinnend betrachtet es Petz, man ſieht,
daß ein radikaler Prozeß in ſeinem Geiſt und Gemüth
vor ſich geht und — zum erſten Mal im Leben —
ſchnäuzt er ſich — kräftig, vernehmlich, laut!

Lebhafter Beifall. Der erſte Akt iſt vorüber. Mit
kühnem Geiſtesfluge nimmt der Tanzdichter an, eine ge¬
raume Zeit, Monate, Jahre ſeien in der kaum viertel¬
ſtündigen Pauſe verſtrichen. Hornſtöße verkünden den
Anfang des zweiten Aktes; ihnen folgt eine luſtige
Melodie von Pfeifen und Blättlein, unter deren Klängen
eine glückliche Bärenfamilie auf die Bühne tritt. Vier
muntere Kinder folgen dem zärtlichen Elternpaar. Der
kleine Bruder und das Schweſterchen Sigunens mit
zwei Nachbarkindern ſtacken in den Pelzen. Wer je den
Galopp von Bärenjungen geſehen und bemerkt hat,
wie drollig ſie dabei mit dem rechten Hinterbein nach¬
ſchieben, der mußte ſtaunen, mit welcher Meiſterſchaft
die klugen Kinder das vorſtellten; ſchon in ihrem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0359" n="346"/>
&#x017F;ich leider eine Ungebührlichkeit. Der Bär muß vor<lb/>
Rührung nie&#x017F;en. Er fällt in &#x017F;eine Unbildung zurück<lb/>
und gebraucht wie vorhin die Pfoten. Petzin will zu<lb/>
einer zweiten un&#x017F;anften Behandlung ausholen, be&#x017F;innt<lb/>
&#x017F;ich aber, trabt plötzlich hinweg und er&#x017F;cheint nach<lb/>
einer Pau&#x017F;e, in welcher &#x017F;ich der Verla&#x017F;&#x017F;ene tro&#x017F;tlo&#x017F;er<lb/>
Verzweiflung hingegeben, unter dem Jubel der Zu¬<lb/>
&#x017F;chauer mit einem &#x017F;chneeweißen, roth ge&#x017F;äumten Tüchlein.<lb/>
Mit Grazie zeigt &#x017F;ie ihm den Gebrauch, mit Grazie<lb/>
reicht &#x017F;ie es hin, &#x017F;innend betrachtet es Petz, man &#x017F;ieht,<lb/>
daß ein radikaler Prozeß in &#x017F;einem Gei&#x017F;t und Gemüth<lb/>
vor &#x017F;ich geht und &#x2014; zum er&#x017F;ten Mal im Leben &#x2014;<lb/>
&#x017F;chnäuzt er &#x017F;ich &#x2014; kräftig, vernehmlich, laut!</p><lb/>
        <p>Lebhafter Beifall. Der er&#x017F;te Akt i&#x017F;t vorüber. Mit<lb/>
kühnem Gei&#x017F;tesfluge nimmt der Tanzdichter an, eine ge¬<lb/>
raume Zeit, Monate, Jahre &#x017F;eien in der kaum viertel¬<lb/>
&#x017F;tündigen Pau&#x017F;e ver&#x017F;trichen. Horn&#x017F;töße verkünden den<lb/>
Anfang des zweiten Aktes; ihnen folgt eine lu&#x017F;tige<lb/>
Melodie von Pfeifen und Blättlein, unter deren Klängen<lb/>
eine glückliche Bärenfamilie auf die Bühne tritt. Vier<lb/>
muntere Kinder folgen dem zärtlichen Elternpaar. Der<lb/>
kleine Bruder und das Schwe&#x017F;terchen Sigunens mit<lb/>
zwei Nachbarkindern &#x017F;tacken in den Pelzen. Wer je den<lb/>
Galopp von Bärenjungen ge&#x017F;ehen und bemerkt hat,<lb/>
wie drollig &#x017F;ie dabei mit dem rechten Hinterbein nach¬<lb/>
&#x017F;chieben, der mußte &#x017F;taunen, mit welcher Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft<lb/>
die klugen Kinder das vor&#x017F;tellten; &#x017F;chon in ihrem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0359] ſich leider eine Ungebührlichkeit. Der Bär muß vor Rührung nieſen. Er fällt in ſeine Unbildung zurück und gebraucht wie vorhin die Pfoten. Petzin will zu einer zweiten unſanften Behandlung ausholen, beſinnt ſich aber, trabt plötzlich hinweg und erſcheint nach einer Pauſe, in welcher ſich der Verlaſſene troſtloſer Verzweiflung hingegeben, unter dem Jubel der Zu¬ ſchauer mit einem ſchneeweißen, roth geſäumten Tüchlein. Mit Grazie zeigt ſie ihm den Gebrauch, mit Grazie reicht ſie es hin, ſinnend betrachtet es Petz, man ſieht, daß ein radikaler Prozeß in ſeinem Geiſt und Gemüth vor ſich geht und — zum erſten Mal im Leben — ſchnäuzt er ſich — kräftig, vernehmlich, laut! Lebhafter Beifall. Der erſte Akt iſt vorüber. Mit kühnem Geiſtesfluge nimmt der Tanzdichter an, eine ge¬ raume Zeit, Monate, Jahre ſeien in der kaum viertel¬ ſtündigen Pauſe verſtrichen. Hornſtöße verkünden den Anfang des zweiten Aktes; ihnen folgt eine luſtige Melodie von Pfeifen und Blättlein, unter deren Klängen eine glückliche Bärenfamilie auf die Bühne tritt. Vier muntere Kinder folgen dem zärtlichen Elternpaar. Der kleine Bruder und das Schweſterchen Sigunens mit zwei Nachbarkindern ſtacken in den Pelzen. Wer je den Galopp von Bärenjungen geſehen und bemerkt hat, wie drollig ſie dabei mit dem rechten Hinterbein nach¬ ſchieben, der mußte ſtaunen, mit welcher Meiſterſchaft die klugen Kinder das vorſtellten; ſchon in ihrem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/359
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/359>, abgerufen am 05.12.2024.