Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

sehr ernst: "Wir haben des ernsten Gottes Grippo
noch nicht gedacht! Zuerst das Opfer! Dann das
letzte Glied des Hymnus, den Schluß der poetisch¬
musikalischen Triade!"

Er trat vor den Pfeiler mit dem Molchbild. Er
schaute lang die rohe Steingestalt an mit bedenklich
ernsten Blicken. Er sprach feierlich das Gebet an den
Gott und rief dann Urhixidur zu: "Führe das Opfer
vor!" Sie stand bei dem Böcklein und schien es mit¬
leidig anzusehen, denn es lag matt am Boden. Sie
zog es in die Höhe, es stand schwank auf den Füßen,
der heilige Metzger that wieder seine Pflicht, dann
ward der Bauch des getödteten Thierchens aufgeschnitten,
der Druide sah hinein und schüttelte bedeutungsvoll
trüb den Kopf. "Der Magen entzündet! Milz und
Leber geschwollen!" sagte er in dumpfem Tone und
erklärte: "Grippo verschmäht das Opfer, das Opfer¬
holz wird nicht angezündet! Der heilige Baum muß
unbegossen bleiben!"

Eine bange Stille lag über allem Volk. "Seinen
Hymnus aber wird er nicht verschmähen, tretet aber¬
mals vor, ihr Sänger und Musiker!" Sie folgten,
sichtbar erschöpft, am meisten der Gaisbub. Ehe sie
begannen, sprach der Druide: "Ich ersuche die hoch¬
achtbare und achtbare Gesellschaft, zu bemerken, daß
ich für angemessen erachtet habe, bei diesem dritten
Gliede meines Dreigesangs, das ebensosehr auch als

ſehr ernſt: „Wir haben des ernſten Gottes Grippo
noch nicht gedacht! Zuerſt das Opfer! Dann das
letzte Glied des Hymnus, den Schluß der poetiſch¬
muſikaliſchen Triade!“

Er trat vor den Pfeiler mit dem Molchbild. Er
ſchaute lang die rohe Steingeſtalt an mit bedenklich
ernſten Blicken. Er ſprach feierlich das Gebet an den
Gott und rief dann Urhixidur zu: „Führe das Opfer
vor!“ Sie ſtand bei dem Böcklein und ſchien es mit¬
leidig anzuſehen, denn es lag matt am Boden. Sie
zog es in die Höhe, es ſtand ſchwank auf den Füßen,
der heilige Metzger that wieder ſeine Pflicht, dann
ward der Bauch des getödteten Thierchens aufgeſchnitten,
der Druide ſah hinein und ſchüttelte bedeutungsvoll
trüb den Kopf. „Der Magen entzündet! Milz und
Leber geſchwollen!“ ſagte er in dumpfem Tone und
erklärte: „Grippo verſchmäht das Opfer, das Opfer¬
holz wird nicht angezündet! Der heilige Baum muß
unbegoſſen bleiben!“

Eine bange Stille lag über allem Volk. „Seinen
Hymnus aber wird er nicht verſchmähen, tretet aber¬
mals vor, ihr Sänger und Muſiker!“ Sie folgten,
ſichtbar erſchöpft, am meiſten der Gaisbub. Ehe ſie
begannen, ſprach der Druide: „Ich erſuche die hoch¬
achtbare und achtbare Geſellſchaft, zu bemerken, daß
ich für angemeſſen erachtet habe, bei dieſem dritten
Gliede meines Dreigeſangs, das ebenſoſehr auch als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0349" n="336"/>
&#x017F;ehr ern&#x017F;t: &#x201E;Wir haben des ern&#x017F;ten Gottes Grippo<lb/>
noch nicht gedacht! Zuer&#x017F;t das Opfer! Dann das<lb/>
letzte Glied des Hymnus, den Schluß der poeti&#x017F;ch¬<lb/>
mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Triade!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er trat vor den Pfeiler mit dem Molchbild. Er<lb/>
&#x017F;chaute lang die rohe Steinge&#x017F;talt an mit bedenklich<lb/>
ern&#x017F;ten Blicken. Er &#x017F;prach feierlich das Gebet an den<lb/>
Gott und rief dann Urhixidur zu: &#x201E;Führe das Opfer<lb/>
vor!&#x201C; Sie &#x017F;tand bei dem Böcklein und &#x017F;chien es mit¬<lb/>
leidig anzu&#x017F;ehen, denn es lag matt am Boden. Sie<lb/>
zog es in die Höhe, es &#x017F;tand &#x017F;chwank auf den Füßen,<lb/>
der heilige Metzger that wieder &#x017F;eine Pflicht, dann<lb/>
ward der Bauch des getödteten Thierchens aufge&#x017F;chnitten,<lb/>
der Druide &#x017F;ah hinein und &#x017F;chüttelte bedeutungsvoll<lb/>
trüb den Kopf. &#x201E;Der Magen entzündet! Milz und<lb/>
Leber ge&#x017F;chwollen!&#x201C; &#x017F;agte er in dumpfem Tone und<lb/>
erklärte: &#x201E;Grippo ver&#x017F;chmäht das Opfer, das Opfer¬<lb/>
holz wird nicht angezündet! Der heilige Baum muß<lb/>
unbego&#x017F;&#x017F;en bleiben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Eine bange Stille lag über allem Volk. &#x201E;Seinen<lb/>
Hymnus aber wird er nicht ver&#x017F;chmähen, tretet aber¬<lb/>
mals vor, ihr Sänger und Mu&#x017F;iker!&#x201C; Sie folgten,<lb/>
&#x017F;ichtbar er&#x017F;chöpft, am mei&#x017F;ten der Gaisbub. Ehe &#x017F;ie<lb/>
begannen, &#x017F;prach der Druide: &#x201E;Ich er&#x017F;uche die hoch¬<lb/>
achtbare und achtbare Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, zu bemerken, daß<lb/>
ich für angeme&#x017F;&#x017F;en erachtet habe, bei die&#x017F;em dritten<lb/>
Gliede meines Dreige&#x017F;angs, das eben&#x017F;o&#x017F;ehr auch als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0349] ſehr ernſt: „Wir haben des ernſten Gottes Grippo noch nicht gedacht! Zuerſt das Opfer! Dann das letzte Glied des Hymnus, den Schluß der poetiſch¬ muſikaliſchen Triade!“ Er trat vor den Pfeiler mit dem Molchbild. Er ſchaute lang die rohe Steingeſtalt an mit bedenklich ernſten Blicken. Er ſprach feierlich das Gebet an den Gott und rief dann Urhixidur zu: „Führe das Opfer vor!“ Sie ſtand bei dem Böcklein und ſchien es mit¬ leidig anzuſehen, denn es lag matt am Boden. Sie zog es in die Höhe, es ſtand ſchwank auf den Füßen, der heilige Metzger that wieder ſeine Pflicht, dann ward der Bauch des getödteten Thierchens aufgeſchnitten, der Druide ſah hinein und ſchüttelte bedeutungsvoll trüb den Kopf. „Der Magen entzündet! Milz und Leber geſchwollen!“ ſagte er in dumpfem Tone und erklärte: „Grippo verſchmäht das Opfer, das Opfer¬ holz wird nicht angezündet! Der heilige Baum muß unbegoſſen bleiben!“ Eine bange Stille lag über allem Volk. „Seinen Hymnus aber wird er nicht verſchmähen, tretet aber¬ mals vor, ihr Sänger und Muſiker!“ Sie folgten, ſichtbar erſchöpft, am meiſten der Gaisbub. Ehe ſie begannen, ſprach der Druide: „Ich erſuche die hoch¬ achtbare und achtbare Geſellſchaft, zu bemerken, daß ich für angemeſſen erachtet habe, bei dieſem dritten Gliede meines Dreigeſangs, das ebenſoſehr auch als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/349
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/349>, abgerufen am 05.12.2024.