Platte, bedeckt mit mehrerlei Zuspeisen, kam vor mich zu stehen; ich bemerkte nicht, daß sie sich etwas über den Tischrand heraus gegen meine Brust herge¬ schoben hatte; einer Dame, meiner Nachbarin, fällt die Gabel zu Boden, ich will sie aufheben, ein Knopf meines Rockes hatte sich mit teufelischer List unter den Rand der Platte gemacht, hebt sie, wie ich schnell auf¬ stehe, jäh empor, der ganze Plunder, den sie trug, Saucen, Eingemachtes aller Art, zum Theil dunkel¬ rothe Flüssigkeit, rollt, rumpelt, fließt, schießt über den Tisch, ich will noch retten, schmeiße eine Weinflasche um, sie strömt ihren Inhalt über das weiße Hochzeit¬ kleid der Braut zu meiner Linken, trete der Nachbarin rechts heftig auf die Zehen, ein Anderer, der helfend eingreifen will, stößt eine Gemüseschüssel, ein Dritter sein Glas um -- o, es war ein Hallo, ein ganzes Donnerwetter, kurz ein echt tragischer Fall: die zer¬ brechliche Welt alles Endlichen überhaupt schien in Scherben gehen zu wollen; mich ergreift die Stimmung des Erhabenen, ich fasse zunächst eine Champagner¬ flasche, trete an's Fenster, öffne es, schwinge sie empor, der Bräutigam fällt mir in den Arm, ich erzürne mich, es gibt bös Blut, die Braut war ohnedieß halb ohn¬ mächtig, kurz, -- ich mag nicht weiter erzählen, denn nun wurde die Sache komisch." --
"Ernst, wollen Sie sagen?"
Er staunte mich an wie einen Menschen, der alle
Platte, bedeckt mit mehrerlei Zuſpeiſen, kam vor mich zu ſtehen; ich bemerkte nicht, daß ſie ſich etwas über den Tiſchrand heraus gegen meine Bruſt herge¬ ſchoben hatte; einer Dame, meiner Nachbarin, fällt die Gabel zu Boden, ich will ſie aufheben, ein Knopf meines Rockes hatte ſich mit teufeliſcher Liſt unter den Rand der Platte gemacht, hebt ſie, wie ich ſchnell auf¬ ſtehe, jäh empor, der ganze Plunder, den ſie trug, Saucen, Eingemachtes aller Art, zum Theil dunkel¬ rothe Flüſſigkeit, rollt, rumpelt, fließt, ſchießt über den Tiſch, ich will noch retten, ſchmeiße eine Weinflaſche um, ſie ſtrömt ihren Inhalt über das weiße Hochzeit¬ kleid der Braut zu meiner Linken, trete der Nachbarin rechts heftig auf die Zehen, ein Anderer, der helfend eingreifen will, ſtößt eine Gemüſeſchüſſel, ein Dritter ſein Glas um — o, es war ein Hallo, ein ganzes Donnerwetter, kurz ein echt tragiſcher Fall: die zer¬ brechliche Welt alles Endlichen überhaupt ſchien in Scherben gehen zu wollen; mich ergreift die Stimmung des Erhabenen, ich faſſe zunächſt eine Champagner¬ flaſche, trete an's Fenſter, öffne es, ſchwinge ſie empor, der Bräutigam fällt mir in den Arm, ich erzürne mich, es gibt bös Blut, die Braut war ohnedieß halb ohn¬ mächtig, kurz, — ich mag nicht weiter erzählen, denn nun wurde die Sache komiſch.“ —
„Ernſt, wollen Sie ſagen?“
Er ſtaunte mich an wie einen Menſchen, der alle
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Platte, bedeckt mit mehrerlei Zuſpeiſen, kam vor mich
zu ſtehen; ich bemerkte nicht, daß ſie ſich etwas über
den Tiſchrand heraus gegen meine Bruſt herge¬
ſchoben hatte; einer Dame, meiner Nachbarin, fällt
die Gabel zu Boden, ich will ſie aufheben, ein Knopf
meines Rockes hatte ſich mit teufeliſcher Liſt unter den
Rand der Platte gemacht, hebt ſie, wie ich ſchnell auf¬
ſtehe, jäh empor, der ganze Plunder, den ſie trug,
Saucen, Eingemachtes aller Art, zum Theil dunkel¬
rothe Flüſſigkeit, rollt, rumpelt, fließt, ſchießt über den
Tiſch, ich will noch retten, ſchmeiße eine Weinflaſche
um, ſie ſtrömt ihren Inhalt über das weiße Hochzeit¬
kleid der Braut zu meiner Linken, trete der Nachbarin
rechts heftig auf die Zehen, ein Anderer, der helfend
eingreifen will, ſtößt eine Gemüſeſchüſſel, ein Dritter
ſein Glas um — o, es war ein Hallo, ein ganzes
Donnerwetter, kurz ein echt tragiſcher Fall: die zer¬
brechliche Welt alles Endlichen überhaupt ſchien in
Scherben gehen zu wollen; mich ergreift die Stimmung
des Erhabenen, ich faſſe zunächſt eine Champagner¬
flaſche, trete an's Fenſter, öffne es, ſchwinge ſie empor,
der Bräutigam fällt mir in den Arm, ich erzürne mich,
es gibt bös Blut, die Braut war ohnedieß halb ohn¬
mächtig, kurz, — ich mag nicht weiter erzählen, denn
nun wurde die Sache komiſch.“ —
„Ernſt, wollen Sie ſagen?“
Er ſtaunte mich an wie einen Menſchen, der alle
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/34>, abgerufen am 04.12.2024.
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