vorgeschichtliche Fidel dem weichen Elemente verschlossen gewesen wäre, aber die Saiten waren immerhin etwas dick und die Roßhaarstränge des Bogens auch; ein schmelzendes Adagio, das doch wohl nicht fehlen wird, wäre für sie freilich eine schwierige Aufgabe gewesen. Da man sich zudem die Töne der Pfeifen auch nicht sehr flötenhaft vorstellen darf, so fühlte allerdings auch der Pfahlbewohner, daß das zärtere Tonreich einer doppelt starken Vertretung bedürfe.
So folgten denn zwei Reihen, also sechs Mann Blättler. Ihre Kunst war es, die in schönem Bunde dem Starken und Strengen das Weiche und Milde paarte, denn wirklich, sie wußten dem zwischen den Lippen erzitternden Buchenblatt Tonwellen abzugewinnen, denen der Nerv des Gehörs in der zartesten Schwingung nachzittern mußte. Diese Töne gliechen dem Summen und Surren schwärmender Bienen, aber wie arm ist diese zufriedene Musik der emsigen Thierchen gegen die melodischen Wechsel des lachenden Scherzes und sanften langen Weinens, wozu der seelische Menschen¬ athem die grüne Pflanzenfaser bewegte! Alpin, den wir als Meister aller Blättler schon gerühmt haben, konnte sich dießmal der Mitwirkung nicht entziehen, er mußte vielmehr die führende Stimme übernehmen; es war ihm leid und lieb; wer gewußt hätte, was in ihm vorgieng, hätte sich leicht erklärt, warum heute sein Blättchen so besonders ergreifend, so bange und
vorgeſchichtliche Fidel dem weichen Elemente verſchloſſen geweſen wäre, aber die Saiten waren immerhin etwas dick und die Roßhaarſtränge des Bogens auch; ein ſchmelzendes Adagio, das doch wohl nicht fehlen wird, wäre für ſie freilich eine ſchwierige Aufgabe geweſen. Da man ſich zudem die Töne der Pfeifen auch nicht ſehr flötenhaft vorſtellen darf, ſo fühlte allerdings auch der Pfahlbewohner, daß das zärtere Tonreich einer doppelt ſtarken Vertretung bedürfe.
So folgten denn zwei Reihen, alſo ſechs Mann Blättler. Ihre Kunſt war es, die in ſchönem Bunde dem Starken und Strengen das Weiche und Milde paarte, denn wirklich, ſie wußten dem zwiſchen den Lippen erzitternden Buchenblatt Tonwellen abzugewinnen, denen der Nerv des Gehörs in der zarteſten Schwingung nachzittern mußte. Dieſe Töne gliechen dem Summen und Surren ſchwärmender Bienen, aber wie arm iſt dieſe zufriedene Muſik der emſigen Thierchen gegen die melodiſchen Wechſel des lachenden Scherzes und ſanften langen Weinens, wozu der ſeeliſche Menſchen¬ athem die grüne Pflanzenfaſer bewegte! Alpin, den wir als Meiſter aller Blättler ſchon gerühmt haben, konnte ſich dießmal der Mitwirkung nicht entziehen, er mußte vielmehr die führende Stimme übernehmen; es war ihm leid und lieb; wer gewußt hätte, was in ihm vorgieng, hätte ſich leicht erklärt, warum heute ſein Blättchen ſo beſonders ergreifend, ſo bange und
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vorgeſchichtliche Fidel dem weichen Elemente verſchloſſen
geweſen wäre, aber die Saiten waren immerhin etwas
dick und die Roßhaarſtränge des Bogens auch; ein
ſchmelzendes Adagio, das doch wohl nicht fehlen wird,
wäre für ſie freilich eine ſchwierige Aufgabe geweſen.
Da man ſich zudem die Töne der Pfeifen auch nicht
ſehr flötenhaft vorſtellen darf, ſo fühlte allerdings
auch der Pfahlbewohner, daß das zärtere Tonreich
einer doppelt ſtarken Vertretung bedürfe.
So folgten denn zwei Reihen, alſo ſechs Mann
Blättler. Ihre Kunſt war es, die in ſchönem Bunde
dem Starken und Strengen das Weiche und Milde
paarte, denn wirklich, ſie wußten dem zwiſchen den Lippen
erzitternden Buchenblatt Tonwellen abzugewinnen, denen
der Nerv des Gehörs in der zarteſten Schwingung
nachzittern mußte. Dieſe Töne gliechen dem Summen
und Surren ſchwärmender Bienen, aber wie arm iſt
dieſe zufriedene Muſik der emſigen Thierchen gegen
die melodiſchen Wechſel des lachenden Scherzes und
ſanften langen Weinens, wozu der ſeeliſche Menſchen¬
athem die grüne Pflanzenfaſer bewegte! Alpin, den
wir als Meiſter aller Blättler ſchon gerühmt haben,
konnte ſich dießmal der Mitwirkung nicht entziehen,
er mußte vielmehr die führende Stimme übernehmen;
es war ihm leid und lieb; wer gewußt hätte, was in
ihm vorgieng, hätte ſich leicht erklärt, warum heute
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/330>, abgerufen am 05.12.2024.
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