seiner Betrachtungen fest: auf den Fremdling wollen wir ein scharfes Auge haben.
Urhixidur war ebenfalls fertig, seine Begleitung stand draußen bereit und er schritt hervor, nicht ohne beim Austritt feierlich zu husten. Alle Kinder der Gemeinde, die das vierzehnte Lebensjahr erreicht hatten, standen, zu zwei und zwei geordnet, in ihren Festkleidern bereit; über bunt gewürfelten Röcken trugen sie kurze weiße Mäntelchen um die Schultern. Zunächst ihnen sehen wir die Personen aufgestellt, die von Amtswegen auf diesem Gang nicht fehlen dürfen; die übrige Ge¬ meinde befindet sich schon am Lande drüben auf dem heiligen Platz und harrt auf die Ankunft der Fest¬ schaar. Der Zug setzt sich in Bewegung. Voran schreitet der Weibel, das ist der Amtsdiener des Drui¬ den, zugleich der Opferdiener. Er trägt senkrecht einen langen Stab von Buchenholz, worauf fremdartige Zeichen eingeschnitten sind. Darauf folgen zwei Bittel, das heißt Amtsdiener des Gemeinderaths, zugleich Polizeimänner. Einer derselben ist außerdem Ehegoumer. Was ein Ehegoumer sei, weiß man in jenen Gegenden noch heutzutage sehr wohl, die ehrwürdige Sitte, das ernste Gemeindeamt hat sich bis heute erhalten; es ist ein Mann, der ein wachsames Auge auf sämmtliche Ehen der Gemeinde hat, nachspürt, wo Uneinigkeit in einem Hause aufkommt, den schuldigen Theil erkundet, warnt, ermahnt, zurechtweist, und wenn er durchaus
Vischer. Auch Einer. I. 13
ſeiner Betrachtungen feſt: auf den Fremdling wollen wir ein ſcharfes Auge haben.
Urhixidur war ebenfalls fertig, ſeine Begleitung ſtand draußen bereit und er ſchritt hervor, nicht ohne beim Austritt feierlich zu huſten. Alle Kinder der Gemeinde, die das vierzehnte Lebensjahr erreicht hatten, ſtanden, zu zwei und zwei geordnet, in ihren Feſtkleidern bereit; über bunt gewürfelten Röcken trugen ſie kurze weiße Mäntelchen um die Schultern. Zunächſt ihnen ſehen wir die Perſonen aufgeſtellt, die von Amtswegen auf dieſem Gang nicht fehlen dürfen; die übrige Ge¬ meinde befindet ſich ſchon am Lande drüben auf dem heiligen Platz und harrt auf die Ankunft der Feſt¬ ſchaar. Der Zug ſetzt ſich in Bewegung. Voran ſchreitet der Weibel, das iſt der Amtsdiener des Drui¬ den, zugleich der Opferdiener. Er trägt ſenkrecht einen langen Stab von Buchenholz, worauf fremdartige Zeichen eingeſchnitten ſind. Darauf folgen zwei Bittel, das heißt Amtsdiener des Gemeinderaths, zugleich Polizeimänner. Einer derſelben iſt außerdem Ehegoumer. Was ein Ehegoumer ſei, weiß man in jenen Gegenden noch heutzutage ſehr wohl, die ehrwürdige Sitte, das ernſte Gemeindeamt hat ſich bis heute erhalten; es iſt ein Mann, der ein wachſames Auge auf ſämmtliche Ehen der Gemeinde hat, nachſpürt, wo Uneinigkeit in einem Hauſe aufkommt, den ſchuldigen Theil erkundet, warnt, ermahnt, zurechtweist, und wenn er durchaus
Viſcher. Auch Einer. I. 13
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ſeiner Betrachtungen feſt: auf den Fremdling wollen
wir ein ſcharfes Auge haben.
Urhixidur war ebenfalls fertig, ſeine Begleitung
ſtand draußen bereit und er ſchritt hervor, nicht ohne
beim Austritt feierlich zu huſten. Alle Kinder der
Gemeinde, die das vierzehnte Lebensjahr erreicht hatten,
ſtanden, zu zwei und zwei geordnet, in ihren Feſtkleidern
bereit; über bunt gewürfelten Röcken trugen ſie kurze
weiße Mäntelchen um die Schultern. Zunächſt ihnen
ſehen wir die Perſonen aufgeſtellt, die von Amtswegen
auf dieſem Gang nicht fehlen dürfen; die übrige Ge¬
meinde befindet ſich ſchon am Lande drüben auf dem
heiligen Platz und harrt auf die Ankunft der Feſt¬
ſchaar. Der Zug ſetzt ſich in Bewegung. Voran
ſchreitet der Weibel, das iſt der Amtsdiener des Drui¬
den, zugleich der Opferdiener. Er trägt ſenkrecht einen
langen Stab von Buchenholz, worauf fremdartige
Zeichen eingeſchnitten ſind. Darauf folgen zwei Bittel,
das heißt Amtsdiener des Gemeinderaths, zugleich
Polizeimänner. Einer derſelben iſt außerdem Ehegoumer.
Was ein Ehegoumer ſei, weiß man in jenen Gegenden
noch heutzutage ſehr wohl, die ehrwürdige Sitte, das
ernſte Gemeindeamt hat ſich bis heute erhalten; es iſt
ein Mann, der ein wachſames Auge auf ſämmtliche
Ehen der Gemeinde hat, nachſpürt, wo Uneinigkeit in
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warnt, ermahnt, zurechtweist, und wenn er durchaus
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/206>, abgerufen am 04.12.2024.
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