Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

von was die Rede war: er nannte den Namen einer
Frau mit dem Zusatz einiger weiteren Personalien; es
konnte nur das arme Weib sein, dessen Erscheinung
das kurze Zwischenspiel im großen Töpfedrama her¬
beigeführt hatte. A. E. machte sich eine Notiz in's
Tagebuch. Der Wirth war jetzt sichtbar so ausge¬
söhnt, daß er unseres Wohlgefallens an dem Mädchen
einfach sich erfreute; er sagte freundlich: "Meines
Bruders Kinder, der eine Italienerin zur Frau hat
und in Bellinzona wohnt."

A. E. stand noch einige Augenblicke, die Hand des
schönen Mädchens haltend, fragte, ob er Grüße nach
der Heimat bringen dürfe, sie wurden ihm gern auf¬
getragen, dann wandte er sich zu mir und sagte: "So,
jetzt lassen Sie uns scheiden und gehen; nach dem
Vernunftakte, nach der religiösen Opferhandlung, die
wir vollzogen, könnte uns ein schöneres Punktum
nicht mehr werden." Er nahm seine Sachen um
und an, gab dem Wirth und seinen Nichten noch
herzlich die Hand und gieng voran und ich folgsam
ihm nach. Während er die Treppen hinabstieg, blieb
ich noch bei Cornelia, die mir vor die Thüre folgte,
stehen und sah sie fragend an; sie verstand meinen
Blick, sie las schnell darin, daß er forschte, wie ihr
der Herr gefalle, und sie sagte: "E pazzo, ma pur
simpatico. Pazzi siete tutti e due
." Es drängte
mich, sie dafür nun meinerseits auch zu küssen, ich

von was die Rede war: er nannte den Namen einer
Frau mit dem Zuſatz einiger weiteren Perſonalien; es
konnte nur das arme Weib ſein, deſſen Erſcheinung
das kurze Zwiſchenſpiel im großen Töpfedrama her¬
beigeführt hatte. A. E. machte ſich eine Notiz in's
Tagebuch. Der Wirth war jetzt ſichtbar ſo ausge¬
ſöhnt, daß er unſeres Wohlgefallens an dem Mädchen
einfach ſich erfreute; er ſagte freundlich: „Meines
Bruders Kinder, der eine Italienerin zur Frau hat
und in Bellinzona wohnt.“

A. E. ſtand noch einige Augenblicke, die Hand des
ſchönen Mädchens haltend, fragte, ob er Grüße nach
der Heimat bringen dürfe, ſie wurden ihm gern auf¬
getragen, dann wandte er ſich zu mir und ſagte: „So,
jetzt laſſen Sie uns ſcheiden und gehen; nach dem
Vernunftakte, nach der religiöſen Opferhandlung, die
wir vollzogen, könnte uns ein ſchöneres Punktum
nicht mehr werden.“ Er nahm ſeine Sachen um
und an, gab dem Wirth und ſeinen Nichten noch
herzlich die Hand und gieng voran und ich folgſam
ihm nach. Während er die Treppen hinabſtieg, blieb
ich noch bei Cornelia, die mir vor die Thüre folgte,
ſtehen und ſah ſie fragend an; ſie verſtand meinen
Blick, ſie las ſchnell darin, daß er forſchte, wie ihr
der Herr gefalle, und ſie ſagte: „È pazzo, ma pur
simpatico. Pazzi siete tutti e due
.“ Es drängte
mich, ſie dafür nun meinerſeits auch zu küſſen, ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="120"/>
von was die Rede war: er nannte den Namen einer<lb/>
Frau mit dem Zu&#x017F;atz einiger weiteren Per&#x017F;onalien; es<lb/>
konnte nur das arme Weib &#x017F;ein, de&#x017F;&#x017F;en Er&#x017F;cheinung<lb/>
das kurze Zwi&#x017F;chen&#x017F;piel im großen Töpfedrama her¬<lb/>
beigeführt hatte. A. E. machte &#x017F;ich eine Notiz in's<lb/>
Tagebuch. Der Wirth war jetzt &#x017F;ichtbar &#x017F;o ausge¬<lb/>
&#x017F;öhnt, daß er un&#x017F;eres Wohlgefallens an dem Mädchen<lb/>
einfach &#x017F;ich erfreute; er &#x017F;agte freundlich: &#x201E;Meines<lb/>
Bruders Kinder, der eine Italienerin zur Frau hat<lb/>
und in Bellinzona wohnt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>A. E. &#x017F;tand noch einige Augenblicke, die Hand des<lb/>
&#x017F;chönen Mädchens haltend, fragte, ob er Grüße nach<lb/>
der Heimat bringen dürfe, &#x017F;ie wurden ihm gern auf¬<lb/>
getragen, dann wandte er &#x017F;ich zu mir und &#x017F;agte: &#x201E;So,<lb/>
jetzt la&#x017F;&#x017F;en Sie uns &#x017F;cheiden und gehen; nach dem<lb/>
Vernunftakte, nach der religiö&#x017F;en Opferhandlung, die<lb/>
wir vollzogen, könnte uns ein &#x017F;chöneres Punktum<lb/>
nicht mehr werden.&#x201C; Er nahm &#x017F;eine Sachen um<lb/>
und an, gab dem Wirth und &#x017F;einen Nichten noch<lb/>
herzlich die Hand und gieng voran und ich folg&#x017F;am<lb/>
ihm nach. Während er die Treppen hinab&#x017F;tieg, blieb<lb/>
ich noch bei Cornelia, die mir vor die Thüre folgte,<lb/>
&#x017F;tehen und &#x017F;ah &#x017F;ie fragend an; &#x017F;ie ver&#x017F;tand meinen<lb/>
Blick, &#x017F;ie las &#x017F;chnell darin, daß er for&#x017F;chte, wie ihr<lb/>
der Herr gefalle, und &#x017F;ie &#x017F;agte: &#x201E;<hi rendition="#aq">È pazzo, ma pur<lb/>
simpatico. Pazzi siete tutti e due</hi>.&#x201C; Es drängte<lb/>
mich, &#x017F;ie dafür nun meiner&#x017F;eits auch zu kü&#x017F;&#x017F;en, ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0133] von was die Rede war: er nannte den Namen einer Frau mit dem Zuſatz einiger weiteren Perſonalien; es konnte nur das arme Weib ſein, deſſen Erſcheinung das kurze Zwiſchenſpiel im großen Töpfedrama her¬ beigeführt hatte. A. E. machte ſich eine Notiz in's Tagebuch. Der Wirth war jetzt ſichtbar ſo ausge¬ ſöhnt, daß er unſeres Wohlgefallens an dem Mädchen einfach ſich erfreute; er ſagte freundlich: „Meines Bruders Kinder, der eine Italienerin zur Frau hat und in Bellinzona wohnt.“ A. E. ſtand noch einige Augenblicke, die Hand des ſchönen Mädchens haltend, fragte, ob er Grüße nach der Heimat bringen dürfe, ſie wurden ihm gern auf¬ getragen, dann wandte er ſich zu mir und ſagte: „So, jetzt laſſen Sie uns ſcheiden und gehen; nach dem Vernunftakte, nach der religiöſen Opferhandlung, die wir vollzogen, könnte uns ein ſchöneres Punktum nicht mehr werden.“ Er nahm ſeine Sachen um und an, gab dem Wirth und ſeinen Nichten noch herzlich die Hand und gieng voran und ich folgſam ihm nach. Während er die Treppen hinabſtieg, blieb ich noch bei Cornelia, die mir vor die Thüre folgte, ſtehen und ſah ſie fragend an; ſie verſtand meinen Blick, ſie las ſchnell darin, daß er forſchte, wie ihr der Herr gefalle, und ſie ſagte: „È pazzo, ma pur simpatico. Pazzi siete tutti e due.“ Es drängte mich, ſie dafür nun meinerſeits auch zu küſſen, ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/133
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/133>, abgerufen am 04.12.2024.