c) äußerst feine Modifikation des Sinns, die ich in Schwaben gelernt: es g'heit mich, heißt: ich habe das Mißgefühl, etwas Angenehmes ver¬ säumt, verscherzt zu haben.
"Ob noch eine andere Bedeutung zu Grunde liege, darüber habe ich lange vergeblich geforscht, glaube aber jetzt auf der rechten Spur zu sein. Davon ein andermal."
Nach diesem Vortrage befreite er den gehobenen Arm aus seinem Banne, holte noch einmal aus, die Karaffe flog den Weg ihrer Geschwister und zerplatschte am Granitblock.
Ich wollte nun in rhythmischer Abwechslung als¬ bald wieder folgen, als er, den Blick auf unsern Zu¬ schauerkreis geheftet, mir plötzlich in den Arm fiel und sagte: "Halten Sie inne, bis ich wieder komme." Er eilte hinaus und hinab, ich sah ihn mitten durch den Haufen der Dorfjungen dringen auf eine Frau zu, die hinter ihren Reihen stand, ein Kind auf dem Arme. Sie war dürftig gekleidet, ihr und dem Kind sah der Hunger aus den Augen. A. E. hatte mit seiner scharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt, daß sie dem tollen Schauspiel mit vorwurfsvollen Blicken zusah; man konnte schließen, daß seine Anrede an das Weib etwas darauf Bezügliches enthielt. Ihre Antwort ließ sich deutlich hören, da der ganze Haufen mäuschenstill geworden war: "Ja, Herr, wie das Ge¬
c) äußerſt feine Modifikation des Sinns, die ich in Schwaben gelernt: es g'heit mich, heißt: ich habe das Mißgefühl, etwas Angenehmes ver¬ ſäumt, verſcherzt zu haben.
„Ob noch eine andere Bedeutung zu Grunde liege, darüber habe ich lange vergeblich geforſcht, glaube aber jetzt auf der rechten Spur zu ſein. Davon ein andermal.“
Nach dieſem Vortrage befreite er den gehobenen Arm aus ſeinem Banne, holte noch einmal aus, die Karaffe flog den Weg ihrer Geſchwiſter und zerplatſchte am Granitblock.
Ich wollte nun in rhythmiſcher Abwechslung als¬ bald wieder folgen, als er, den Blick auf unſern Zu¬ ſchauerkreis geheftet, mir plötzlich in den Arm fiel und ſagte: „Halten Sie inne, bis ich wieder komme.“ Er eilte hinaus und hinab, ich ſah ihn mitten durch den Haufen der Dorfjungen dringen auf eine Frau zu, die hinter ihren Reihen ſtand, ein Kind auf dem Arme. Sie war dürftig gekleidet, ihr und dem Kind ſah der Hunger aus den Augen. A. E. hatte mit ſeiner ſcharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt, daß ſie dem tollen Schauſpiel mit vorwurfsvollen Blicken zuſah; man konnte ſchließen, daß ſeine Anrede an das Weib etwas darauf Bezügliches enthielt. Ihre Antwort ließ ſich deutlich hören, da der ganze Haufen mäuschenſtill geworden war: „Ja, Herr, wie das Ge¬
<TEI><text><body><divn="1"><list><pbfacs="#f0129"n="116"/><item>c) äußerſt feine Modifikation des Sinns, die ich<lb/>
in Schwaben gelernt: es g'heit mich, heißt: ich<lb/>
habe das Mißgefühl, etwas Angenehmes ver¬<lb/>ſäumt, verſcherzt zu haben.<lb/></item></list><p>„Ob noch eine andere Bedeutung zu Grunde liege,<lb/>
darüber habe ich lange vergeblich geforſcht, glaube<lb/>
aber jetzt auf der rechten Spur zu ſein. Davon ein<lb/>
andermal.“</p><lb/><p>Nach dieſem Vortrage befreite er den gehobenen<lb/>
Arm aus ſeinem Banne, holte noch einmal aus, die<lb/>
Karaffe flog den Weg ihrer Geſchwiſter und zerplatſchte<lb/>
am Granitblock.</p><lb/><p>Ich wollte nun in rhythmiſcher Abwechslung als¬<lb/>
bald wieder folgen, als er, den Blick auf unſern Zu¬<lb/>ſchauerkreis geheftet, mir plötzlich in den Arm fiel und<lb/>ſagte: „Halten Sie inne, bis ich wieder komme.“ Er<lb/>
eilte hinaus und hinab, ich ſah ihn mitten durch den<lb/>
Haufen der Dorfjungen dringen auf eine Frau zu,<lb/>
die hinter ihren Reihen ſtand, ein Kind auf dem Arme.<lb/>
Sie war dürftig gekleidet, ihr und dem Kind ſah der<lb/>
Hunger aus den Augen. A. E. hatte mit ſeiner<lb/>ſcharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt,<lb/>
daß ſie dem tollen Schauſpiel mit vorwurfsvollen<lb/>
Blicken zuſah; man konnte ſchließen, daß ſeine Anrede<lb/>
an das Weib etwas darauf Bezügliches enthielt. Ihre<lb/>
Antwort ließ ſich deutlich hören, da der ganze Haufen<lb/>
mäuschenſtill geworden war: „Ja, Herr, wie das Ge¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[116/0129]
c) äußerſt feine Modifikation des Sinns, die ich
in Schwaben gelernt: es g'heit mich, heißt: ich
habe das Mißgefühl, etwas Angenehmes ver¬
ſäumt, verſcherzt zu haben.
„Ob noch eine andere Bedeutung zu Grunde liege,
darüber habe ich lange vergeblich geforſcht, glaube
aber jetzt auf der rechten Spur zu ſein. Davon ein
andermal.“
Nach dieſem Vortrage befreite er den gehobenen
Arm aus ſeinem Banne, holte noch einmal aus, die
Karaffe flog den Weg ihrer Geſchwiſter und zerplatſchte
am Granitblock.
Ich wollte nun in rhythmiſcher Abwechslung als¬
bald wieder folgen, als er, den Blick auf unſern Zu¬
ſchauerkreis geheftet, mir plötzlich in den Arm fiel und
ſagte: „Halten Sie inne, bis ich wieder komme.“ Er
eilte hinaus und hinab, ich ſah ihn mitten durch den
Haufen der Dorfjungen dringen auf eine Frau zu,
die hinter ihren Reihen ſtand, ein Kind auf dem Arme.
Sie war dürftig gekleidet, ihr und dem Kind ſah der
Hunger aus den Augen. A. E. hatte mit ſeiner
ſcharfen Sehkraft offenbar von oben bemerkt gehabt,
daß ſie dem tollen Schauſpiel mit vorwurfsvollen
Blicken zuſah; man konnte ſchließen, daß ſeine Anrede
an das Weib etwas darauf Bezügliches enthielt. Ihre
Antwort ließ ſich deutlich hören, da der ganze Haufen
mäuschenſtill geworden war: „Ja, Herr, wie das Ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/129>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.