drohte, die Hypothese durch eine mythologische Unter¬ suchung zu beweisen, doch glückte es mir, dieß wenigstens abzuschneiden,) -- die Meduse früher als scheusliche Fratze, endlich aber in jenem Wunderwerk aus Palast Rondanini als ein Weib darstellten, das den Reiz hoher Schönheit mit den hippokratischen Zügen und dem Ausdruck dämonischer Bosheit so schaurig entzückend und entzückend schaurig in sich vereinigt!"
Bei den Griechen angekommen, verfiel er auf die Architektur. Das Räthsel des "reinen Segensstyls", von dem er auf dem Bierwaldstättersee gesprochen, sollte mir jetzt gelöst werden. Allein meine Aufmerk¬ samkeit war denn doch an der Linie der Ermüdung angekommen, um so mehr, da ich mit Prämissen jetzt reichlich genug versehen war, um mir eigentlich selbst vorstellen zu können, was folgen werde. Dazu kam aber noch ein besonderer Umstand, den ich angeben werde; zuerst sei bloß flüchtig gesagt, daß ich nur obenhin einige Bemerkungen vernahm, wie in den neuen Styl aus der klassischen Architektur ein System von kannelirten Pilastern für die Dekoration der Schau¬ seite, ebenso zu dem Kranzgesimse wesentlich die Hänge¬ platte mit den kleinen Zäpfchen an den mutuli, genannt guttae oder Tropfen herüberzunehmen seien, am Sockel dann eine Reihe schön und entgegenkommend ausge¬ breiteter Nastücher auszumeißeln wäre, und so weiter und so weiter; kurz, alle Formen müssen aussprechen:
drohte, die Hypotheſe durch eine mythologiſche Unter¬ ſuchung zu beweiſen, doch glückte es mir, dieß wenigſtens abzuſchneiden,) — die Meduſe früher als ſcheusliche Fratze, endlich aber in jenem Wunderwerk aus Palaſt Rondanini als ein Weib darſtellten, das den Reiz hoher Schönheit mit den hippokratiſchen Zügen und dem Ausdruck dämoniſcher Bosheit ſo ſchaurig entzückend und entzückend ſchaurig in ſich vereinigt!“
Bei den Griechen angekommen, verfiel er auf die Architektur. Das Räthſel des „reinen Segensſtyls“, von dem er auf dem Bierwaldſtätterſee geſprochen, ſollte mir jetzt gelöſt werden. Allein meine Aufmerk¬ ſamkeit war denn doch an der Linie der Ermüdung angekommen, um ſo mehr, da ich mit Prämiſſen jetzt reichlich genug verſehen war, um mir eigentlich ſelbſt vorſtellen zu können, was folgen werde. Dazu kam aber noch ein beſonderer Umſtand, den ich angeben werde; zuerſt ſei bloß flüchtig geſagt, daß ich nur obenhin einige Bemerkungen vernahm, wie in den neuen Styl aus der klaſſiſchen Architektur ein Syſtem von kannelirten Pilaſtern für die Dekoration der Schau¬ ſeite, ebenſo zu dem Kranzgeſimſe weſentlich die Hänge¬ platte mit den kleinen Zäpfchen an den mutuli‚ genannt guttae oder Tropfen herüberzunehmen ſeien, am Sockel dann eine Reihe ſchön und entgegenkommend ausge¬ breiteter Nastücher auszumeißeln wäre, und ſo weiter und ſo weiter; kurz, alle Formen müſſen ausſprechen:
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drohte, die Hypotheſe durch eine mythologiſche Unter¬
ſuchung zu beweiſen, doch glückte es mir, dieß wenigſtens
abzuſchneiden,) — die Meduſe früher als ſcheusliche
Fratze, endlich aber in jenem Wunderwerk aus Palaſt
Rondanini als ein Weib darſtellten, das den Reiz
hoher Schönheit mit den hippokratiſchen Zügen und dem
Ausdruck dämoniſcher Bosheit ſo ſchaurig entzückend
und entzückend ſchaurig in ſich vereinigt!“
Bei den Griechen angekommen, verfiel er auf die
Architektur. Das Räthſel des „reinen Segensſtyls“,
von dem er auf dem Bierwaldſtätterſee geſprochen,
ſollte mir jetzt gelöſt werden. Allein meine Aufmerk¬
ſamkeit war denn doch an der Linie der Ermüdung
angekommen, um ſo mehr, da ich mit Prämiſſen jetzt
reichlich genug verſehen war, um mir eigentlich ſelbſt
vorſtellen zu können, was folgen werde. Dazu kam
aber noch ein beſonderer Umſtand, den ich angeben
werde; zuerſt ſei bloß flüchtig geſagt, daß ich nur
obenhin einige Bemerkungen vernahm, wie in den
neuen Styl aus der klaſſiſchen Architektur ein Syſtem
von kannelirten Pilaſtern für die Dekoration der Schau¬
ſeite, ebenſo zu dem Kranzgeſimſe weſentlich die Hänge¬
platte mit den kleinen Zäpfchen an den mutuli‚ genannt
guttae oder Tropfen herüberzunehmen ſeien, am Sockel
dann eine Reihe ſchön und entgegenkommend ausge¬
breiteter Nastücher auszumeißeln wäre, und ſo weiter
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/115>, abgerufen am 04.12.2024.
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