bindung mit der ersten zuläßt, oder wenn mit fühlbarer Absichtlichkeit ein Bild ausgesponnen und doch nur scheinbar festgehalten wird, wobei ge- wöhnlich Verwechslungen der verglichenen Seite des Subjects mit andern Seiten desselben sich einschleichen (vergl. J. Paul Vorsch. d. Aesth. §. 51 das Beispiel aus Lessing), oder endlich, wenn eine üppige Phantasie keine Grenze mehr achtet und mit Kühnheiten, die bei richtigerem Maaß erlaubt wären, gar zu freigebig ist, wie die romantische mit ihren ewigen klingen- den Farben, duftenden Tönen, singenden Blumen u. s. w. An und für sich ist es nichts weniger, als unnatürlich, wenn die Verwandtschaft, worin die bereits als Bild dienende Erscheinung mit andern steht, die Phantasie anzieht, von jener zu diesen weiter zu gehen, um den verglichenen Punct immer voller, kräftiger zu beleuchten und allerdings auch, um neue Puncte oder Seiten des Gegenstands, sofern es nur mit heller poetischer Einsicht geschieht, in die Vergleichung einzuführen. So ist z. B. ein Feuerregen ein gewöhnlicher Ausdruck; wenn nun ein Affect wegen seiner verzehrenden Gewalt mit Feuer verglichen wird, so bezeichnet der Regen die Fülle, die gehäuften Schläge seiner Aeußerung und ein Feuerregen zorniger Worte ist ein durch- aus natürliches Bild. Der Dichter kann auch im Bilde bleiben, eine andere Seite desselben hervorheben und auf eine andere Seite des Verglichenen anwenden wie in den schönen Worten des Orestes: die Erinnyen blasen mir schadenfroh die Asche von der Seele und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen von unsers Hauses Schreckensbrande still in mir verglimmen. Mit dem Worte "letzten" wird hier das Leiden in Orestes Seele in den Begriff des allgemeinen Unglücks seines Hauses, das mit ihm endigen sollte, um- gewendet. Die Grenzlinie, hinter welcher für die Uebergänge aus einem Bild in das andere, aber freilich auch für das einfache Fortführen eines Bildes das Abgeschmackte beginnt, ist freilich zart und läßt sich darüber im Allgemeinen nichts bestimmen, als daß der Act des Vergleichens in seinem Wesen immer ein einfacher Wurf der Phantasie bleiben muß, nie in ein Festrennen und Zerren übergehen darf, denn dieß fordert den Verstand heraus, der den Schein höhnisch aufhebt. Shakespeare hat bekanntlich in seiner jugendlichen Periode jenem abgeschmackten Mode-Tone seiner Zeit, den man Euphuismus nannte, nicht geringen Zoll gezahlt; doch ist nicht zu über- sehen, daß manche besonders seltsame Bilder, die in dieß Gebiet gehören, mit dem offenbaren Bewußtsein überkühner Hyperbeln gebraucht sind, die einen besonders tiefen und starken Affect bezeichnen sollen. So haben die- selben in ihrer Absurdität doch einen eigenthümlich starken Hauch von Stimmung, wie wenn Richard II sagt: macht zu Papier den Staub und auf den Busen der Erde schreib' ein regnicht Auge Jammer. Wie dieser unglückliche Fürst so in seinem Schmerze wühlt, brütet er (-- der Bilder- wechsel in diesen Worten sei auch erlaubt --) ein andermal die Hyperbel
bindung mit der erſten zuläßt, oder wenn mit fühlbarer Abſichtlichkeit ein Bild ausgeſponnen und doch nur ſcheinbar feſtgehalten wird, wobei ge- wöhnlich Verwechslungen der verglichenen Seite des Subjects mit andern Seiten deſſelben ſich einſchleichen (vergl. J. Paul Vorſch. d. Aeſth. §. 51 das Beiſpiel aus Leſſing), oder endlich, wenn eine üppige Phantaſie keine Grenze mehr achtet und mit Kühnheiten, die bei richtigerem Maaß erlaubt wären, gar zu freigebig iſt, wie die romantiſche mit ihren ewigen klingen- den Farben, duftenden Tönen, ſingenden Blumen u. ſ. w. An und für ſich iſt es nichts weniger, als unnatürlich, wenn die Verwandtſchaft, worin die bereits als Bild dienende Erſcheinung mit andern ſteht, die Phantaſie anzieht, von jener zu dieſen weiter zu gehen, um den verglichenen Punct immer voller, kräftiger zu beleuchten und allerdings auch, um neue Puncte oder Seiten des Gegenſtands, ſofern es nur mit heller poetiſcher Einſicht geſchieht, in die Vergleichung einzuführen. So iſt z. B. ein Feuerregen ein gewöhnlicher Ausdruck; wenn nun ein Affect wegen ſeiner verzehrenden Gewalt mit Feuer verglichen wird, ſo bezeichnet der Regen die Fülle, die gehäuften Schläge ſeiner Aeußerung und ein Feuerregen zorniger Worte iſt ein durch- aus natürliches Bild. Der Dichter kann auch im Bilde bleiben, eine andere Seite deſſelben hervorheben und auf eine andere Seite des Verglichenen anwenden wie in den ſchönen Worten des Oreſtes: die Erinnyen blaſen mir ſchadenfroh die Aſche von der Seele und leiden nicht, daß ſich die letzten Kohlen von unſers Hauſes Schreckensbrande ſtill in mir verglimmen. Mit dem Worte „letzten“ wird hier das Leiden in Oreſtes Seele in den Begriff des allgemeinen Unglücks ſeines Hauſes, das mit ihm endigen ſollte, um- gewendet. Die Grenzlinie, hinter welcher für die Uebergänge aus einem Bild in das andere, aber freilich auch für das einfache Fortführen eines Bildes das Abgeſchmackte beginnt, iſt freilich zart und läßt ſich darüber im Allgemeinen nichts beſtimmen, als daß der Act des Vergleichens in ſeinem Weſen immer ein einfacher Wurf der Phantaſie bleiben muß, nie in ein Feſtrennen und Zerren übergehen darf, denn dieß fordert den Verſtand heraus, der den Schein höhniſch aufhebt. Shakespeare hat bekanntlich in ſeiner jugendlichen Periode jenem abgeſchmackten Mode-Tone ſeiner Zeit, den man Euphuismus nannte, nicht geringen Zoll gezahlt; doch iſt nicht zu über- ſehen, daß manche beſonders ſeltſame Bilder, die in dieß Gebiet gehören, mit dem offenbaren Bewußtſein überkühner Hyperbeln gebraucht ſind, die einen beſonders tiefen und ſtarken Affect bezeichnen ſollen. So haben die- ſelben in ihrer Abſurdität doch einen eigenthümlich ſtarken Hauch von Stimmung, wie wenn Richard II ſagt: macht zu Papier den Staub und auf den Buſen der Erde ſchreib’ ein regnicht Auge Jammer. Wie dieſer unglückliche Fürſt ſo in ſeinem Schmerze wühlt, brütet er (— der Bilder- wechſel in dieſen Worten ſei auch erlaubt —) ein andermal die Hyperbel
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bindung mit der erſten zuläßt, oder wenn mit fühlbarer Abſichtlichkeit ein
Bild ausgeſponnen und doch nur ſcheinbar feſtgehalten wird, wobei ge-
wöhnlich Verwechslungen der verglichenen Seite des Subjects mit andern
Seiten deſſelben ſich einſchleichen (vergl. J. Paul Vorſch. d. Aeſth. §. 51
das Beiſpiel aus Leſſing), oder endlich, wenn eine üppige Phantaſie keine
Grenze mehr achtet und mit Kühnheiten, die bei richtigerem Maaß erlaubt
wären, gar zu freigebig iſt, wie die romantiſche mit ihren ewigen klingen-
den Farben, duftenden Tönen, ſingenden Blumen u. ſ. w. An und für
ſich iſt es nichts weniger, als unnatürlich, wenn die Verwandtſchaft, worin
die bereits als Bild dienende Erſcheinung mit andern ſteht, die Phantaſie
anzieht, von jener zu dieſen weiter zu gehen, um den verglichenen Punct
immer voller, kräftiger zu beleuchten und allerdings auch, um neue Puncte
oder Seiten des Gegenſtands, ſofern es nur mit heller poetiſcher Einſicht
geſchieht, in die Vergleichung einzuführen. So iſt z. B. ein Feuerregen ein
gewöhnlicher Ausdruck; wenn nun ein Affect wegen ſeiner verzehrenden Gewalt
mit Feuer verglichen wird, ſo bezeichnet der Regen die Fülle, die gehäuften
Schläge ſeiner Aeußerung und ein Feuerregen zorniger Worte iſt ein durch-
aus natürliches Bild. Der Dichter kann auch im Bilde bleiben, eine andere
Seite deſſelben hervorheben und auf eine andere Seite des Verglichenen
anwenden wie in den ſchönen Worten des Oreſtes: die Erinnyen blaſen
mir ſchadenfroh die Aſche von der Seele und leiden nicht, daß ſich die letzten
Kohlen von unſers Hauſes Schreckensbrande ſtill in mir verglimmen. Mit
dem Worte „letzten“ wird hier das Leiden in Oreſtes Seele in den Begriff
des allgemeinen Unglücks ſeines Hauſes, das mit ihm endigen ſollte, um-
gewendet. Die Grenzlinie, hinter welcher für die Uebergänge aus einem
Bild in das andere, aber freilich auch für das einfache Fortführen eines
Bildes das Abgeſchmackte beginnt, iſt freilich zart und läßt ſich darüber im
Allgemeinen nichts beſtimmen, als daß der Act des Vergleichens in ſeinem
Weſen immer ein einfacher Wurf der Phantaſie bleiben muß, nie in ein
Feſtrennen und Zerren übergehen darf, denn dieß fordert den Verſtand heraus,
der den Schein höhniſch aufhebt. Shakespeare hat bekanntlich in ſeiner
jugendlichen Periode jenem abgeſchmackten Mode-Tone ſeiner Zeit, den man
Euphuismus nannte, nicht geringen Zoll gezahlt; doch iſt nicht zu über-
ſehen, daß manche beſonders ſeltſame Bilder, die in dieß Gebiet gehören,
mit dem offenbaren Bewußtſein überkühner Hyperbeln gebraucht ſind, die
einen beſonders tiefen und ſtarken Affect bezeichnen ſollen. So haben die-
ſelben in ihrer Abſurdität doch einen eigenthümlich ſtarken Hauch von
Stimmung, wie wenn Richard II ſagt: macht zu Papier den Staub und
auf den Buſen der Erde ſchreib’ ein regnicht Auge Jammer. Wie dieſer
unglückliche Fürſt ſo in ſeinem Schmerze wühlt, brütet er (— der Bilder-
wechſel in dieſen Worten ſei auch erlaubt —) ein andermal die Hyperbel
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/95>, abgerufen am 21.11.2024.
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