Buhlschaft statt der Kleider, womit sie sich putzt, der Mord statt: der Mörder. Es ist nun dieß zunächst gar nichts Anderes, als eine logische Abbreviatur, welche alle Sprache, auch die ganz gewöhnliche Prosa übt; dennoch bedarf es nur eines Schritts, um von dieser scheinbar weitesten Entfernung zu dem lebendigsten Mittelpuncte der Poesie umzulenken. Dieß geschieht nicht etwa blos dadurch, daß der Dichter das Abstractum setzt, wo es die Prosa nicht gesetzt hätte; wenn z. B. Makbeth vor der Ermordung Duncan's sagt: jetzt geht der Mord an sein Geschäft, so hätte hier auch die gewöhnliche Rede Mord, statt: Mörder setzen können. Der Dichter erhebt vielmehr, was annähernd oder wirklich in jedem Momente wärmeren Antheils der Phantasie auch die Prosa vollzieht, dann abgenützt in unzähligen Wendungen stehend wiederholt (die trauernde Menschheit, die lächelnde Hoffnung, das schnellschreitende Jahrhundert u. dergl.), zum vollen Acte: er beseelt, er per- sonificirt das Abstractum. Dieß geschieht durch originale Belebungskraft im Epitheton und im Verbum mit ihren weitern Entwicklungen und Zu- sätzen: der dürre Mord, geweckt von seiner Schildwacht, dem Wolf, der das Signal ihm heult, fährt auf und schreitet hin nach seinem Ziel ge- spenstisch; die seidne Buhlschaft liegt im Kleiderschrank (wie ein lebendiges Wesen, das zur todten Puppe geworden); der Krieg sträubt den zornigen Kamm und fletscht dem Frieden in die milden Augen; dieser schlummert in der Wiege des Landes, tritt "mädchenblaß" unter die Menschen, jener als gluthaugige, schnaubende Jungfrau. Es erhellt, daß dieß Personificiren derselbe Act ist wie der, durch welchen die Götter entstanden sind, mit dem Unterschiede, daß er freier ästhetischer Schein bleibt, während in der Mytho- logie die bedeutendsten seiner Schöpfungen sich im Glauben als wirkliche Wesen festsetzten. Doch hat das mythische Bewußtsein neben diesen seinen festgeglaubten Personificationen natürlich auch in frei poetischer Weise den- selben Act, nur gerade noch erleichtert durch die Gewohnheit des Götter- bildens, fortwährend in der reichsten Fülle ausgeübt; die Alten zeigen in der Beseelung allgemeiner Begriffe eine Kühnheit, Bewegtheit der Phantasie, die man von ihrer plastischen Ruhe kaum erwartet. Bei Sophokles heißt die Hülfe heiterblickend, Reden bei Euripides und Aristophanes unfreundlich blickend, bei Pindar hat das im Werden begriffene Lied ein fernleuchtendes Antlitz, selbst der Seele werden Augen zugeschrieben, die Verläumdung hat brennenden Blick, wie bei Shakespeare die Eifersucht ein grünaugiges Un- geheuer ist, (vergl. Ueber personific. Adjectiva und Epitheta bei griechischen Dichtern. V. C. C. Hense). Noch Horaz hat phantasievolle Anschauungen dieser Art, wie z. B. die Sorge, die sich hinter den Reiter auf's Pferd setzt. Shakespeare's besonderes Feuer und Alles belebender Reichthum im Per- sonificiren genoß, wie bekannt, eine Unterstützung, welche fast als Surrogat jener mythischen Gewöhnung der Phantasie betrachtet werden kann: nämlich
Buhlſchaft ſtatt der Kleider, womit ſie ſich putzt, der Mord ſtatt: der Mörder. Es iſt nun dieß zunächſt gar nichts Anderes, als eine logiſche Abbreviatur, welche alle Sprache, auch die ganz gewöhnliche Proſa übt; dennoch bedarf es nur eines Schritts, um von dieſer ſcheinbar weiteſten Entfernung zu dem lebendigſten Mittelpuncte der Poeſie umzulenken. Dieß geſchieht nicht etwa blos dadurch, daß der Dichter das Abſtractum ſetzt, wo es die Proſa nicht geſetzt hätte; wenn z. B. Makbeth vor der Ermordung Duncan’s ſagt: jetzt geht der Mord an ſein Geſchäft, ſo hätte hier auch die gewöhnliche Rede Mord, ſtatt: Mörder ſetzen können. Der Dichter erhebt vielmehr, was annähernd oder wirklich in jedem Momente wärmeren Antheils der Phantaſie auch die Proſa vollzieht, dann abgenützt in unzähligen Wendungen ſtehend wiederholt (die trauernde Menſchheit, die lächelnde Hoffnung, das ſchnellſchreitende Jahrhundert u. dergl.), zum vollen Acte: er beſeelt, er per- ſonificirt das Abſtractum. Dieß geſchieht durch originale Belebungskraft im Epitheton und im Verbum mit ihren weitern Entwicklungen und Zu- ſätzen: der dürre Mord, geweckt von ſeiner Schildwacht, dem Wolf, der das Signal ihm heult, fährt auf und ſchreitet hin nach ſeinem Ziel ge- ſpenſtiſch; die ſeidne Buhlſchaft liegt im Kleiderſchrank (wie ein lebendiges Weſen, das zur todten Puppe geworden); der Krieg ſträubt den zornigen Kamm und fletſcht dem Frieden in die milden Augen; dieſer ſchlummert in der Wiege des Landes, tritt „mädchenblaß“ unter die Menſchen, jener als gluthaugige, ſchnaubende Jungfrau. Es erhellt, daß dieß Perſonificiren derſelbe Act iſt wie der, durch welchen die Götter entſtanden ſind, mit dem Unterſchiede, daß er freier äſthetiſcher Schein bleibt, während in der Mytho- logie die bedeutendſten ſeiner Schöpfungen ſich im Glauben als wirkliche Weſen feſtſetzten. Doch hat das mythiſche Bewußtſein neben dieſen ſeinen feſtgeglaubten Perſonificationen natürlich auch in frei poetiſcher Weiſe den- ſelben Act, nur gerade noch erleichtert durch die Gewohnheit des Götter- bildens, fortwährend in der reichſten Fülle ausgeübt; die Alten zeigen in der Beſeelung allgemeiner Begriffe eine Kühnheit, Bewegtheit der Phantaſie, die man von ihrer plaſtiſchen Ruhe kaum erwartet. Bei Sophokles heißt die Hülfe heiterblickend, Reden bei Euripides und Ariſtophanes unfreundlich blickend, bei Pindar hat das im Werden begriffene Lied ein fernleuchtendes Antlitz, ſelbſt der Seele werden Augen zugeſchrieben, die Verläumdung hat brennenden Blick, wie bei Shakespeare die Eiferſucht ein grünaugiges Un- geheuer iſt, (vergl. Ueber perſonific. Adjectiva und Epitheta bei griechiſchen Dichtern. V. C. C. Henſe). Noch Horaz hat phantaſievolle Anſchauungen dieſer Art, wie z. B. die Sorge, die ſich hinter den Reiter auf’s Pferd ſetzt. Shakespeare’s beſonderes Feuer und Alles belebender Reichthum im Per- ſonificiren genoß, wie bekannt, eine Unterſtützung, welche faſt als Surrogat jener mythiſchen Gewöhnung der Phantaſie betrachtet werden kann: nämlich
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[1224/0088]
Buhlſchaft ſtatt der Kleider, womit ſie ſich putzt, der Mord ſtatt: der Mörder.
Es iſt nun dieß zunächſt gar nichts Anderes, als eine logiſche Abbreviatur,
welche alle Sprache, auch die ganz gewöhnliche Proſa übt; dennoch bedarf
es nur eines Schritts, um von dieſer ſcheinbar weiteſten Entfernung zu
dem lebendigſten Mittelpuncte der Poeſie umzulenken. Dieß geſchieht nicht
etwa blos dadurch, daß der Dichter das Abſtractum ſetzt, wo es die Proſa
nicht geſetzt hätte; wenn z. B. Makbeth vor der Ermordung Duncan’s ſagt:
jetzt geht der Mord an ſein Geſchäft, ſo hätte hier auch die gewöhnliche
Rede Mord, ſtatt: Mörder ſetzen können. Der Dichter erhebt vielmehr,
was annähernd oder wirklich in jedem Momente wärmeren Antheils der
Phantaſie auch die Proſa vollzieht, dann abgenützt in unzähligen Wendungen
ſtehend wiederholt (die trauernde Menſchheit, die lächelnde Hoffnung, das
ſchnellſchreitende Jahrhundert u. dergl.), zum vollen Acte: er beſeelt, er per-
ſonificirt das Abſtractum. Dieß geſchieht durch originale Belebungskraft
im Epitheton und im Verbum mit ihren weitern Entwicklungen und Zu-
ſätzen: der dürre Mord, geweckt von ſeiner Schildwacht, dem Wolf, der
das Signal ihm heult, fährt auf und ſchreitet hin nach ſeinem Ziel ge-
ſpenſtiſch; die ſeidne Buhlſchaft liegt im Kleiderſchrank (wie ein lebendiges
Weſen, das zur todten Puppe geworden); der Krieg ſträubt den zornigen
Kamm und fletſcht dem Frieden in die milden Augen; dieſer ſchlummert in
der Wiege des Landes, tritt „mädchenblaß“ unter die Menſchen, jener als
gluthaugige, ſchnaubende Jungfrau. Es erhellt, daß dieß Perſonificiren
derſelbe Act iſt wie der, durch welchen die Götter entſtanden ſind, mit dem
Unterſchiede, daß er freier äſthetiſcher Schein bleibt, während in der Mytho-
logie die bedeutendſten ſeiner Schöpfungen ſich im Glauben als wirkliche
Weſen feſtſetzten. Doch hat das mythiſche Bewußtſein neben dieſen ſeinen
feſtgeglaubten Perſonificationen natürlich auch in frei poetiſcher Weiſe den-
ſelben Act, nur gerade noch erleichtert durch die Gewohnheit des Götter-
bildens, fortwährend in der reichſten Fülle ausgeübt; die Alten zeigen in
der Beſeelung allgemeiner Begriffe eine Kühnheit, Bewegtheit der Phantaſie,
die man von ihrer plaſtiſchen Ruhe kaum erwartet. Bei Sophokles heißt
die Hülfe heiterblickend, Reden bei Euripides und Ariſtophanes unfreundlich
blickend, bei Pindar hat das im Werden begriffene Lied ein fernleuchtendes
Antlitz, ſelbſt der Seele werden Augen zugeſchrieben, die Verläumdung hat
brennenden Blick, wie bei Shakespeare die Eiferſucht ein grünaugiges Un-
geheuer iſt, (vergl. Ueber perſonific. Adjectiva und Epitheta bei griechiſchen
Dichtern. V. C. C. Henſe). Noch Horaz hat phantaſievolle Anſchauungen
dieſer Art, wie z. B. die Sorge, die ſich hinter den Reiter auf’s Pferd ſetzt.
Shakespeare’s beſonderes Feuer und Alles belebender Reichthum im Per-
ſonificiren genoß, wie bekannt, eine Unterſtützung, welche faſt als Surrogat
jener mythiſchen Gewöhnung der Phantaſie betrachtet werden kann: nämlich
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/88>, abgerufen am 24.11.2024.
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