Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
Schelten in der jambischen Poesie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang §. 925. 1. Der eigentlich didaktischen Poesie gehen mit dem Charakter ungeschie- 1. Wir haben die Theogonie und das ursprüngliche religiöse
Schelten in der jambiſchen Poeſie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang §. 925. 1. Der eigentlich didaktiſchen Poeſie gehen mit dem Charakter ungeſchie- 1. Wir haben die Theogonie und das urſprüngliche religiöſe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0326" n="1462"/> Schelten in der jambiſchen Poeſie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang<lb/> genommen; als eine Art von Vorübung für die Komödie hat das ſeine<lb/> natürlichen Wege, aber fixirt, wie in den ſpäteren Satyren der Italiener<lb/> und in den Gemeinheiten eines Murner, wird es abſcheulich. Nicht die<lb/> Einzelheit, Perſönlichkeit des Objects iſt das Verwerfliche; was packen will,<lb/> muß einen greiflichen Gegenſtand haben, und ſoll der Gegenſtand gründlich<lb/> durchbeizt und durchpfeffert werden, ſo kann der Satyriker nicht genug ſpe-<lb/> zialiſiren, auch die Farben mögen grell ſein, wenn nur das Häßliche nicht die<lb/> furchtbare Erdenſchwere behält, wie in einem Juvenal. Das Weſentliche<lb/> aber iſt, daß das nächſte Object immer nur der Punct ſein ſoll, an welchem<lb/> ein allgemeines Uebel angefaßt wird, und wir werden den Satyriker um<lb/> ſo mehr achten, wenn dieſes Uebel zugleich mit Macht bekleidet iſt, wenn<lb/> es Muth fordert, es zu bekämpfen. — Die Satyre fällt im Ganzen und<lb/> Großen naturgemäß in Zeiten der Auflöſung; die ſpäte Zeit Roms und<lb/> das ſechszehnte Jahrhundert, dieſes freilich ſo viel friſcher und von Morgen-<lb/> luft bewegt, waren ihre Blüthe-Perioden.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 925.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1.</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Der eigentlich <hi rendition="#g">didaktiſchen</hi> Poeſie gehen mit dem Charakter ungeſchie-<lb/> dener Urſprünglichkeit in Epos und Drama Erzeugniſſe voran, welche den<lb/><note place="left">2.</note>Lehrgehalt als religiöſe Thatſache ausſprechen. In ausgebildeter Geſtalt ſchließt<lb/> ſie ſich an die epiſche Dichtung als <hi rendition="#g">Beiſpiel, Parabel, Fabel</hi> und <hi rendition="#g">be-<lb/> ſchreibendes Gedicht</hi>. Die naivſte unter dieſen Formen, verwandt mit<lb/><note place="left">3.</note>dem <hi rendition="#g">Thier-Epos</hi>, iſt die Fabel. Zu der lyriſchen Dichtung geſellt ſich die<lb/><hi rendition="#g">lehrende Ballade und Romanze</hi>, das <hi rendition="#g">Spruchgedicht</hi> oder <hi rendition="#g">die Gnome,<lb/> Sprichwort, Näthſel</hi>, zu der dramatiſchen der lehrhafte Dialog und alle<lb/><note place="left">4.</note>die Formen, welche den Charakter pathetiſcher Monologe tragen. Daneben<lb/> breitet ſich ein unbeſtimmtes Gebiet aus, das bereits der proſaiſchen Abhand-<lb/> lung verwandt iſt und ſeinen Zuſammenhang mit der Poeſie nur durch Schil-<lb/> derungen des Naturſchönen rettet, durch die es mehr oder minder dem beſchrei-<lb/> benden Gedichte ſich nähert: das <hi rendition="#g">eigentliche Lehrgedicht</hi>.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Wir haben die <hi rendition="#g">Theogonie</hi> und das urſprüngliche <hi rendition="#g">religiöſe<lb/> Epos</hi>, das vor der Ausbildung der Kunſtpoeſie liegt, nicht in der Lehre<lb/> von der epiſchen Dichtung, <hi rendition="#g">die gottesdienſtlichen Acte, aus<lb/> denen das griechiſche Drama hervorgieng</hi>, die <hi rendition="#g">Myſterien</hi> des<lb/> Mittelalters und die religiöſen Dramen der Spanier, die zwar der Kunſt-<lb/> poeſie angehören, aber doch von jenen naiven Anfängen ſich ableiten, nicht<lb/> in der Lehre von der dramatiſchen Dichtung als bleibende Arten aufgeführt.<lb/> Darſtellungen des abſoluten Religions-Inhalts in Form von Ereigniß,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1462/0326]
Schelten in der jambiſchen Poeſie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang
genommen; als eine Art von Vorübung für die Komödie hat das ſeine
natürlichen Wege, aber fixirt, wie in den ſpäteren Satyren der Italiener
und in den Gemeinheiten eines Murner, wird es abſcheulich. Nicht die
Einzelheit, Perſönlichkeit des Objects iſt das Verwerfliche; was packen will,
muß einen greiflichen Gegenſtand haben, und ſoll der Gegenſtand gründlich
durchbeizt und durchpfeffert werden, ſo kann der Satyriker nicht genug ſpe-
zialiſiren, auch die Farben mögen grell ſein, wenn nur das Häßliche nicht die
furchtbare Erdenſchwere behält, wie in einem Juvenal. Das Weſentliche
aber iſt, daß das nächſte Object immer nur der Punct ſein ſoll, an welchem
ein allgemeines Uebel angefaßt wird, und wir werden den Satyriker um
ſo mehr achten, wenn dieſes Uebel zugleich mit Macht bekleidet iſt, wenn
es Muth fordert, es zu bekämpfen. — Die Satyre fällt im Ganzen und
Großen naturgemäß in Zeiten der Auflöſung; die ſpäte Zeit Roms und
das ſechszehnte Jahrhundert, dieſes freilich ſo viel friſcher und von Morgen-
luft bewegt, waren ihre Blüthe-Perioden.
§. 925.
Der eigentlich didaktiſchen Poeſie gehen mit dem Charakter ungeſchie-
dener Urſprünglichkeit in Epos und Drama Erzeugniſſe voran, welche den
Lehrgehalt als religiöſe Thatſache ausſprechen. In ausgebildeter Geſtalt ſchließt
ſie ſich an die epiſche Dichtung als Beiſpiel, Parabel, Fabel und be-
ſchreibendes Gedicht. Die naivſte unter dieſen Formen, verwandt mit
dem Thier-Epos, iſt die Fabel. Zu der lyriſchen Dichtung geſellt ſich die
lehrende Ballade und Romanze, das Spruchgedicht oder die Gnome,
Sprichwort, Näthſel, zu der dramatiſchen der lehrhafte Dialog und alle
die Formen, welche den Charakter pathetiſcher Monologe tragen. Daneben
breitet ſich ein unbeſtimmtes Gebiet aus, das bereits der proſaiſchen Abhand-
lung verwandt iſt und ſeinen Zuſammenhang mit der Poeſie nur durch Schil-
derungen des Naturſchönen rettet, durch die es mehr oder minder dem beſchrei-
benden Gedichte ſich nähert: das eigentliche Lehrgedicht.
1. Wir haben die Theogonie und das urſprüngliche religiöſe
Epos, das vor der Ausbildung der Kunſtpoeſie liegt, nicht in der Lehre
von der epiſchen Dichtung, die gottesdienſtlichen Acte, aus
denen das griechiſche Drama hervorgieng, die Myſterien des
Mittelalters und die religiöſen Dramen der Spanier, die zwar der Kunſt-
poeſie angehören, aber doch von jenen naiven Anfängen ſich ableiten, nicht
in der Lehre von der dramatiſchen Dichtung als bleibende Arten aufgeführt.
Darſtellungen des abſoluten Religions-Inhalts in Form von Ereigniß,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |