Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

ist ein Schelten und Schimpfen auf das griechische Leben, wie es gewor-
den, der Grundzug der Aristophanischen Komödie, so beginnt J. P. Fr.
Richter mit Ergießung Swift'scher Galle. Dieß Aussprechen der Bitter-
keit ist eigentlich positive, directe Satyre, allein bei ruhigerem, objectivem
Ueberblick und reicher Begabung entwickelt sich von solchem Ausgangspunct
eine andere Form des Verhaltens. Die Idee, der Maaßstab der Dinge,
wie sie sein sollen, wird nicht mehr ausdrücklich fixirt und für sich hinge-
stellt, sondern als eine verhüllte Macht, als verschwiegen wirkende Folie
den Dingen untergeschoben; nun wird nicht mehr direct gesagt: so sollte
die Welt sein und so ist sie doch nicht, sondern die geschilderten Gegenstände
selbst müssen dieß durch ihre Widersprüche, ihre Mißgestalt bekennen. Hier
verändert sich denn Grundstimmung und Verfahren. Jene ist nicht mehr
die ausschließlich bittere, denn dem Unterschieben liegt ein Gefühl der
Wahrheit zu Grunde, daß doch wirklich die Macht der Idee selbst in der
argen Welt nicht zu Grunde gehen kann; wie tief der Zorn und Aerger
sein mag, er wendet sich doch unwillkürlich zum freieren, unbefangeneren
Lachen; er ist geneigt, das Böse für Thorheit zu nehmen, wie die ächte Komik;
das Verfahren, die Darstellung wird anmuthig, leicht, spielend, liebens-
würdig, nachläßig, geht in das objective Verfahren über, gibt ein Weltbild,
und dieß wirkt wieder zurück auf die Stimmung, denn der Dichter muß Liebe
für seine Narren gewinnen, wenn er in längerer Beschäftigung, wie sie
ein ausführlicheres Gemälde, z. B. die bestimmte Form des Romans mit
sich bringt, mit ihnen umgeht. Nur darf man immer nicht ohne Weiteres
von Harmlosigkeit reden, denn mag auch das ganze Bild mit Liebe ge-
pflegt sein, die Bitterkeit und das Schelten bricht doch im Einzelnen herb
genug durch. Die Satyren des Horaz gehören der sogenannten lachenden
Form an, aber von durchgehender freier Komik ist doch auch hier nicht die
Rede. Ein Hauptmerkmal des Unterschieds von der freien Komik ist
nun immer die Neigung zum Uebertreiben, zur Caricatur. Der Prozeß,
welcher dem Wirklichen die Idee als Folie unterlegt, hat im rein Komischen
nicht ebenso nothwendig diese Wirkung, weil es nicht von derselben bewuß-
ten Schärfe der Entgegensetzung ausgeht. Auch die lachende Satyre faßt
die Wirklichkeit hart und gewaltsam mit dem Maaßstabe der Idee an und
zwingt sie, ihre Verkehrtheit durch Ueberladung des Häßlichen zu bekennen;
auch die Sittengemälde eines Horaz sind Caricaturen. Wie die Malerei
(vergl. §. 742, 2.) steigert nun auch die Poesie diese Form bis zum phantastisch
Ungeheuren. Die wild gährende Phantasie eines Rabelais und Fischart
gibt eine Anschauung davon. Aristophanes ist trotz seinem phantastischen
Bilden nicht ebenso frazzenhaft, ordnet seine grottesken Schöpfungen zu
gerechten Kunstwerken und erhebt sich daher von der Grundlage der satyri-
schen Caricatur unzweifelhafter zur reinen Komik. Ein anderer Zug der

iſt ein Schelten und Schimpfen auf das griechiſche Leben, wie es gewor-
den, der Grundzug der Ariſtophaniſchen Komödie, ſo beginnt J. P. Fr.
Richter mit Ergießung Swift’ſcher Galle. Dieß Ausſprechen der Bitter-
keit iſt eigentlich poſitive, directe Satyre, allein bei ruhigerem, objectivem
Ueberblick und reicher Begabung entwickelt ſich von ſolchem Ausgangspunct
eine andere Form des Verhaltens. Die Idee, der Maaßſtab der Dinge,
wie ſie ſein ſollen, wird nicht mehr ausdrücklich fixirt und für ſich hinge-
ſtellt, ſondern als eine verhüllte Macht, als verſchwiegen wirkende Folie
den Dingen untergeſchoben; nun wird nicht mehr direct geſagt: ſo ſollte
die Welt ſein und ſo iſt ſie doch nicht, ſondern die geſchilderten Gegenſtände
ſelbſt müſſen dieß durch ihre Widerſprüche, ihre Mißgeſtalt bekennen. Hier
verändert ſich denn Grundſtimmung und Verfahren. Jene iſt nicht mehr
die ausſchließlich bittere, denn dem Unterſchieben liegt ein Gefühl der
Wahrheit zu Grunde, daß doch wirklich die Macht der Idee ſelbſt in der
argen Welt nicht zu Grunde gehen kann; wie tief der Zorn und Aerger
ſein mag, er wendet ſich doch unwillkürlich zum freieren, unbefangeneren
Lachen; er iſt geneigt, das Böſe für Thorheit zu nehmen, wie die ächte Komik;
das Verfahren, die Darſtellung wird anmuthig, leicht, ſpielend, liebens-
würdig, nachläßig, geht in das objective Verfahren über, gibt ein Weltbild,
und dieß wirkt wieder zurück auf die Stimmung, denn der Dichter muß Liebe
für ſeine Narren gewinnen, wenn er in längerer Beſchäftigung, wie ſie
ein ausführlicheres Gemälde, z. B. die beſtimmte Form des Romans mit
ſich bringt, mit ihnen umgeht. Nur darf man immer nicht ohne Weiteres
von Harmloſigkeit reden, denn mag auch das ganze Bild mit Liebe ge-
pflegt ſein, die Bitterkeit und das Schelten bricht doch im Einzelnen herb
genug durch. Die Satyren des Horaz gehören der ſogenannten lachenden
Form an, aber von durchgehender freier Komik iſt doch auch hier nicht die
Rede. Ein Hauptmerkmal des Unterſchieds von der freien Komik iſt
nun immer die Neigung zum Uebertreiben, zur Caricatur. Der Prozeß,
welcher dem Wirklichen die Idee als Folie unterlegt, hat im rein Komiſchen
nicht ebenſo nothwendig dieſe Wirkung, weil es nicht von derſelben bewuß-
ten Schärfe der Entgegenſetzung ausgeht. Auch die lachende Satyre faßt
die Wirklichkeit hart und gewaltſam mit dem Maaßſtabe der Idee an und
zwingt ſie, ihre Verkehrtheit durch Ueberladung des Häßlichen zu bekennen;
auch die Sittengemälde eines Horaz ſind Caricaturen. Wie die Malerei
(vergl. §. 742, 2.) ſteigert nun auch die Poeſie dieſe Form bis zum phantaſtiſch
Ungeheuren. Die wild gährende Phantaſie eines Rabelais und Fiſchart
gibt eine Anſchauung davon. Ariſtophanes iſt trotz ſeinem phantaſtiſchen
Bilden nicht ebenſo frazzenhaft, ordnet ſeine grottesken Schöpfungen zu
gerechten Kunſtwerken und erhebt ſich daher von der Grundlage der ſatyri-
ſchen Caricatur unzweifelhafter zur reinen Komik. Ein anderer Zug der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0323" n="1459"/>
i&#x017F;t ein Schelten und Schimpfen auf das griechi&#x017F;che Leben, wie es gewor-<lb/>
den, der Grundzug der Ari&#x017F;tophani&#x017F;chen Komödie, &#x017F;o beginnt J. P. Fr.<lb/>
Richter mit Ergießung Swift&#x2019;&#x017F;cher Galle. Dieß Aus&#x017F;prechen der Bitter-<lb/>
keit i&#x017F;t eigentlich po&#x017F;itive, directe Satyre, allein bei ruhigerem, objectivem<lb/>
Ueberblick und reicher Begabung entwickelt &#x017F;ich von &#x017F;olchem Ausgangspunct<lb/>
eine andere Form des Verhaltens. Die Idee, der Maaß&#x017F;tab der Dinge,<lb/>
wie &#x017F;ie &#x017F;ein &#x017F;ollen, wird nicht mehr ausdrücklich fixirt und für &#x017F;ich hinge-<lb/>
&#x017F;tellt, &#x017F;ondern als eine verhüllte Macht, als ver&#x017F;chwiegen wirkende Folie<lb/>
den Dingen unterge&#x017F;choben; nun wird nicht mehr direct ge&#x017F;agt: &#x017F;o &#x017F;ollte<lb/>
die Welt &#x017F;ein und &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie doch nicht, &#x017F;ondern die ge&#x017F;childerten Gegen&#x017F;tände<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t mü&#x017F;&#x017F;en dieß durch ihre Wider&#x017F;prüche, ihre Mißge&#x017F;talt bekennen. Hier<lb/>
verändert &#x017F;ich denn Grund&#x017F;timmung und Verfahren. Jene i&#x017F;t nicht mehr<lb/>
die aus&#x017F;chließlich bittere, denn dem Unter&#x017F;chieben liegt ein Gefühl der<lb/>
Wahrheit zu Grunde, daß doch wirklich die Macht der Idee &#x017F;elb&#x017F;t in der<lb/>
argen Welt nicht zu Grunde gehen kann; wie tief der Zorn und Aerger<lb/>
&#x017F;ein mag, er wendet &#x017F;ich doch unwillkürlich zum freieren, unbefangeneren<lb/>
Lachen; er i&#x017F;t geneigt, das Bö&#x017F;e für Thorheit zu nehmen, wie die ächte Komik;<lb/>
das Verfahren, die Dar&#x017F;tellung wird anmuthig, leicht, &#x017F;pielend, liebens-<lb/>
würdig, nachläßig, geht in das objective Verfahren über, gibt ein Weltbild,<lb/>
und dieß wirkt wieder zurück auf die Stimmung, denn der Dichter muß Liebe<lb/>
für &#x017F;eine Narren gewinnen, wenn er in längerer Be&#x017F;chäftigung, wie &#x017F;ie<lb/>
ein ausführlicheres Gemälde, z. B. die be&#x017F;timmte Form des Romans mit<lb/>
&#x017F;ich bringt, mit ihnen umgeht. Nur darf man immer nicht ohne Weiteres<lb/>
von Harmlo&#x017F;igkeit reden, denn mag auch das ganze Bild mit Liebe ge-<lb/>
pflegt &#x017F;ein, die Bitterkeit und das Schelten bricht doch im Einzelnen herb<lb/>
genug durch. Die Satyren des Horaz gehören der &#x017F;ogenannten lachenden<lb/>
Form an, aber von durchgehender freier Komik i&#x017F;t doch auch hier nicht die<lb/>
Rede. Ein Hauptmerkmal des Unter&#x017F;chieds von der freien Komik i&#x017F;t<lb/>
nun immer die Neigung zum Uebertreiben, zur Caricatur. Der Prozeß,<lb/>
welcher dem Wirklichen die Idee als Folie unterlegt, hat im rein Komi&#x017F;chen<lb/>
nicht eben&#x017F;o nothwendig die&#x017F;e Wirkung, weil es nicht von der&#x017F;elben bewuß-<lb/>
ten Schärfe der Entgegen&#x017F;etzung ausgeht. Auch die lachende Satyre faßt<lb/>
die Wirklichkeit hart und gewalt&#x017F;am mit dem Maaß&#x017F;tabe der Idee an und<lb/>
zwingt &#x017F;ie, ihre Verkehrtheit durch Ueberladung des Häßlichen zu bekennen;<lb/>
auch die Sittengemälde eines Horaz &#x017F;ind Caricaturen. Wie die Malerei<lb/>
(vergl. §. 742, <hi rendition="#sub">2.</hi>) &#x017F;teigert nun auch die Poe&#x017F;ie die&#x017F;e Form bis zum phanta&#x017F;ti&#x017F;ch<lb/>
Ungeheuren. Die wild gährende Phanta&#x017F;ie eines Rabelais und Fi&#x017F;chart<lb/>
gibt eine An&#x017F;chauung davon. Ari&#x017F;tophanes i&#x017F;t trotz &#x017F;einem phanta&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Bilden nicht eben&#x017F;o frazzenhaft, ordnet &#x017F;eine grottesken Schöpfungen zu<lb/>
gerechten Kun&#x017F;twerken und erhebt &#x017F;ich daher von der Grundlage der &#x017F;atyri-<lb/>
&#x017F;chen Caricatur unzweifelhafter zur reinen Komik. Ein anderer Zug der<lb/></hi> </p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1459/0323] iſt ein Schelten und Schimpfen auf das griechiſche Leben, wie es gewor- den, der Grundzug der Ariſtophaniſchen Komödie, ſo beginnt J. P. Fr. Richter mit Ergießung Swift’ſcher Galle. Dieß Ausſprechen der Bitter- keit iſt eigentlich poſitive, directe Satyre, allein bei ruhigerem, objectivem Ueberblick und reicher Begabung entwickelt ſich von ſolchem Ausgangspunct eine andere Form des Verhaltens. Die Idee, der Maaßſtab der Dinge, wie ſie ſein ſollen, wird nicht mehr ausdrücklich fixirt und für ſich hinge- ſtellt, ſondern als eine verhüllte Macht, als verſchwiegen wirkende Folie den Dingen untergeſchoben; nun wird nicht mehr direct geſagt: ſo ſollte die Welt ſein und ſo iſt ſie doch nicht, ſondern die geſchilderten Gegenſtände ſelbſt müſſen dieß durch ihre Widerſprüche, ihre Mißgeſtalt bekennen. Hier verändert ſich denn Grundſtimmung und Verfahren. Jene iſt nicht mehr die ausſchließlich bittere, denn dem Unterſchieben liegt ein Gefühl der Wahrheit zu Grunde, daß doch wirklich die Macht der Idee ſelbſt in der argen Welt nicht zu Grunde gehen kann; wie tief der Zorn und Aerger ſein mag, er wendet ſich doch unwillkürlich zum freieren, unbefangeneren Lachen; er iſt geneigt, das Böſe für Thorheit zu nehmen, wie die ächte Komik; das Verfahren, die Darſtellung wird anmuthig, leicht, ſpielend, liebens- würdig, nachläßig, geht in das objective Verfahren über, gibt ein Weltbild, und dieß wirkt wieder zurück auf die Stimmung, denn der Dichter muß Liebe für ſeine Narren gewinnen, wenn er in längerer Beſchäftigung, wie ſie ein ausführlicheres Gemälde, z. B. die beſtimmte Form des Romans mit ſich bringt, mit ihnen umgeht. Nur darf man immer nicht ohne Weiteres von Harmloſigkeit reden, denn mag auch das ganze Bild mit Liebe ge- pflegt ſein, die Bitterkeit und das Schelten bricht doch im Einzelnen herb genug durch. Die Satyren des Horaz gehören der ſogenannten lachenden Form an, aber von durchgehender freier Komik iſt doch auch hier nicht die Rede. Ein Hauptmerkmal des Unterſchieds von der freien Komik iſt nun immer die Neigung zum Uebertreiben, zur Caricatur. Der Prozeß, welcher dem Wirklichen die Idee als Folie unterlegt, hat im rein Komiſchen nicht ebenſo nothwendig dieſe Wirkung, weil es nicht von derſelben bewuß- ten Schärfe der Entgegenſetzung ausgeht. Auch die lachende Satyre faßt die Wirklichkeit hart und gewaltſam mit dem Maaßſtabe der Idee an und zwingt ſie, ihre Verkehrtheit durch Ueberladung des Häßlichen zu bekennen; auch die Sittengemälde eines Horaz ſind Caricaturen. Wie die Malerei (vergl. §. 742, 2.) ſteigert nun auch die Poeſie dieſe Form bis zum phantaſtiſch Ungeheuren. Die wild gährende Phantaſie eines Rabelais und Fiſchart gibt eine Anſchauung davon. Ariſtophanes iſt trotz ſeinem phantaſtiſchen Bilden nicht ebenſo frazzenhaft, ordnet ſeine grottesken Schöpfungen zu gerechten Kunſtwerken und erhebt ſich daher von der Grundlage der ſatyri- ſchen Caricatur unzweifelhafter zur reinen Komik. Ein anderer Zug der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/323
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/323>, abgerufen am 25.11.2024.