passiv spiegelnden. Alles hat hier diesen bewußten Blitz, der Lichtpunct im Auge ist packender, hat den Ausdruck der nicht fehlenden Sicherheit. Die Poesie ist die eigentlich wissende Kunst. Sie verhält sich zu allen bildenden Künsten und zu der Musik wie die Malerei zu der Plastik, welche dem todten Auge erst den fassenden Lichtpunct gibt; es ist ein geistiges Durchleuchtetsein aller Dinge in ihr, wie dieß keine andere Kunst erringen kann, denn dieser Aus- druck kann alle Formen erst da beherrschen, wo sie wirklich reiner Schein sind. An der Forderung, daß im Schönen aller Stoff in reinen Schein sich verwandle, daß nicht der Durchmesser, nur der Aufriß, nicht das Innere des Gebildes, sondern davon abgelöst die bloße Oberfläche wirke (vgl. §. 54), haben wir vorzüglich die Bildnerkunst und die Malerei gemessen (§. 600 u. 650). Aber Stein oder Erz und Farbstoff auf körperlicher Fläche, obgleich diese Stoffe als solche mit dem dargestellten Stoffe von Fleisch, Knochen, Blut u. s. w. nichts zu schaffen haben, gemahnen doch mit der Gewalt sinnlicher Gegenwart an die stoffartigen, physiologischen, physikalischen Be- dingungen des Lebens, an den Durchmesser, und was die Musik betrifft, so setzt die Luftwelle den wirklichen Nerv so unmittelbar in's Zittern, daß eine höchst pathologische Wirkung nahe liegt. Kurz: in allen andern Künsten ist die Materie noch nicht vollständig consumirt und sie verhalten sich zur Dichtkunst wie eine Malerei, welche noch die Farben in ungebrochener Stoffartigkeit verwendet, zu derjenigen, welche dieselben wahrhaft concret ineinander verarbeitet und so das Colorit zur Reife sättigt. Das ist die Frucht davon, daß die Poesie nur für das innere Auge und Ohr darstellt, den Geist zu dieser camera obscura macht. Mit Geist in Geist malend verwandelt sie alle Schwere des Körperlebens in reine Gestalt, alles Sein in bloßes Aussehen, bloßes Erscheinen. Hier ist daher Alles verkocht, geistig durcharbeitet, durchbeizt. Sie ist gefrorner Wein ohne das Eis, das die andern Künste mitgeben. Mit dieser Geistigkeit steht nun die andere Bestimmung des vorh. §., daß die Poesie das Vehikel der Sprache zu einem Leiter lebendiger innerer Bilder zu gestalten hat, ebensowenig im Wider- spruch, als der Grundbegriff des Schönen überhaupt einen solchen enthält; das Element der Innerlichkeit hebt die Sinnlichkeit so wenig auf, daß viel- mehr gerade die Poesie außerordentlich stoffartiger, pathologischer Wirkung fähig und leicht in Versuchung ist, zu solcher überzugehen. Wir haben ein Aehnliches bei der Malerei gesehen, welche so viel geistig sublimirter, ver- mittelter ist, als die naive Sculptur, und doch die Sinnlichkeit so viel tiefer und heißer zu entzünden vermag, namentlich im Nackten. Es hat dieß seinen Grund nicht nur in der Farbe, sondern eben in der vertieften Inner- lichkeit dieser Kunst überhaupt. Alle Leidenschaft hat ihre wahre Stärke gerade im innern Bilde, das glühend vor dem Geiste schwebt, und die Kunst, die dieß ganz in der Gewalt hat, muß die heftigsten Erregungen,
paſſiv ſpiegelnden. Alles hat hier dieſen bewußten Blitz, der Lichtpunct im Auge iſt packender, hat den Ausdruck der nicht fehlenden Sicherheit. Die Poeſie iſt die eigentlich wiſſende Kunſt. Sie verhält ſich zu allen bildenden Künſten und zu der Muſik wie die Malerei zu der Plaſtik, welche dem todten Auge erſt den faſſenden Lichtpunct gibt; es iſt ein geiſtiges Durchleuchtetſein aller Dinge in ihr, wie dieß keine andere Kunſt erringen kann, denn dieſer Aus- druck kann alle Formen erſt da beherrſchen, wo ſie wirklich reiner Schein ſind. An der Forderung, daß im Schönen aller Stoff in reinen Schein ſich verwandle, daß nicht der Durchmeſſer, nur der Aufriß, nicht das Innere des Gebildes, ſondern davon abgelöst die bloße Oberfläche wirke (vgl. §. 54), haben wir vorzüglich die Bildnerkunſt und die Malerei gemeſſen (§. 600 u. 650). Aber Stein oder Erz und Farbſtoff auf körperlicher Fläche, obgleich dieſe Stoffe als ſolche mit dem dargeſtellten Stoffe von Fleiſch, Knochen, Blut u. ſ. w. nichts zu ſchaffen haben, gemahnen doch mit der Gewalt ſinnlicher Gegenwart an die ſtoffartigen, phyſiologiſchen, phyſikaliſchen Be- dingungen des Lebens, an den Durchmeſſer, und was die Muſik betrifft, ſo ſetzt die Luftwelle den wirklichen Nerv ſo unmittelbar in’s Zittern, daß eine höchſt pathologiſche Wirkung nahe liegt. Kurz: in allen andern Künſten iſt die Materie noch nicht vollſtändig conſumirt und ſie verhalten ſich zur Dichtkunſt wie eine Malerei, welche noch die Farben in ungebrochener Stoffartigkeit verwendet, zu derjenigen, welche dieſelben wahrhaft concret ineinander verarbeitet und ſo das Colorit zur Reife ſättigt. Das iſt die Frucht davon, daß die Poeſie nur für das innere Auge und Ohr darſtellt, den Geiſt zu dieſer camera obscura macht. Mit Geiſt in Geiſt malend verwandelt ſie alle Schwere des Körperlebens in reine Geſtalt, alles Sein in bloßes Ausſehen, bloßes Erſcheinen. Hier iſt daher Alles verkocht, geiſtig durcharbeitet, durchbeizt. Sie iſt gefrorner Wein ohne das Eis, das die andern Künſte mitgeben. Mit dieſer Geiſtigkeit ſteht nun die andere Beſtimmung des vorh. §., daß die Poeſie das Vehikel der Sprache zu einem Leiter lebendiger innerer Bilder zu geſtalten hat, ebenſowenig im Wider- ſpruch, als der Grundbegriff des Schönen überhaupt einen ſolchen enthält; das Element der Innerlichkeit hebt die Sinnlichkeit ſo wenig auf, daß viel- mehr gerade die Poeſie außerordentlich ſtoffartiger, pathologiſcher Wirkung fähig und leicht in Verſuchung iſt, zu ſolcher überzugehen. Wir haben ein Aehnliches bei der Malerei geſehen, welche ſo viel geiſtig ſublimirter, ver- mittelter iſt, als die naive Sculptur, und doch die Sinnlichkeit ſo viel tiefer und heißer zu entzünden vermag, namentlich im Nackten. Es hat dieß ſeinen Grund nicht nur in der Farbe, ſondern eben in der vertieften Inner- lichkeit dieſer Kunſt überhaupt. Alle Leidenſchaft hat ihre wahre Stärke gerade im innern Bilde, das glühend vor dem Geiſte ſchwebt, und die Kunſt, die dieß ganz in der Gewalt hat, muß die heftigſten Erregungen,
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paſſiv ſpiegelnden. Alles hat hier dieſen bewußten Blitz, der Lichtpunct im
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iſt die eigentlich wiſſende Kunſt. Sie verhält ſich zu allen bildenden Künſten
und zu der Muſik wie die Malerei zu der Plaſtik, welche dem todten Auge
erſt den faſſenden Lichtpunct gibt; es iſt ein geiſtiges Durchleuchtetſein aller
Dinge in ihr, wie dieß keine andere Kunſt erringen kann, denn dieſer Aus-
druck kann alle Formen erſt da beherrſchen, wo ſie wirklich reiner Schein
ſind. An der Forderung, daß im Schönen aller Stoff in reinen Schein
ſich verwandle, daß nicht der Durchmeſſer, nur der Aufriß, nicht das Innere
des Gebildes, ſondern davon abgelöst die bloße Oberfläche wirke (vgl. §. 54),
haben wir vorzüglich die Bildnerkunſt und die Malerei gemeſſen (§. 600 u. 650).
Aber Stein oder Erz und Farbſtoff auf körperlicher Fläche, obgleich dieſe
Stoffe als ſolche mit dem dargeſtellten Stoffe von Fleiſch, Knochen,
Blut u. ſ. w. nichts zu ſchaffen haben, gemahnen doch mit der Gewalt
ſinnlicher Gegenwart an die ſtoffartigen, phyſiologiſchen, phyſikaliſchen Be-
dingungen des Lebens, an den Durchmeſſer, und was die Muſik betrifft,
ſo ſetzt die Luftwelle den wirklichen Nerv ſo unmittelbar in’s Zittern, daß
eine höchſt pathologiſche Wirkung nahe liegt. Kurz: in allen andern Künſten
iſt die Materie noch nicht vollſtändig conſumirt und ſie verhalten ſich zur
Dichtkunſt wie eine Malerei, welche noch die Farben in ungebrochener
Stoffartigkeit verwendet, zu derjenigen, welche dieſelben wahrhaft concret
ineinander verarbeitet und ſo das Colorit zur Reife ſättigt. Das iſt die
Frucht davon, daß die Poeſie nur für das innere Auge und Ohr darſtellt,
den Geiſt zu dieſer camera obscura macht. Mit Geiſt in Geiſt malend
verwandelt ſie alle Schwere des Körperlebens in reine Geſtalt, alles Sein
in bloßes Ausſehen, bloßes Erſcheinen. Hier iſt daher Alles verkocht,
geiſtig durcharbeitet, durchbeizt. Sie iſt gefrorner Wein ohne das Eis, das
die andern Künſte mitgeben. Mit dieſer Geiſtigkeit ſteht nun die andere
Beſtimmung des vorh. §., daß die Poeſie das Vehikel der Sprache zu einem
Leiter lebendiger innerer Bilder zu geſtalten hat, ebenſowenig im Wider-
ſpruch, als der Grundbegriff des Schönen überhaupt einen ſolchen enthält;
das Element der Innerlichkeit hebt die Sinnlichkeit ſo wenig auf, daß viel-
mehr gerade die Poeſie außerordentlich ſtoffartiger, pathologiſcher Wirkung
fähig und leicht in Verſuchung iſt, zu ſolcher überzugehen. Wir haben ein
Aehnliches bei der Malerei geſehen, welche ſo viel geiſtig ſublimirter, ver-
mittelter iſt, als die naive Sculptur, und doch die Sinnlichkeit ſo viel tiefer
und heißer zu entzünden vermag, namentlich im Nackten. Es hat dieß
ſeinen Grund nicht nur in der Farbe, ſondern eben in der vertieften Inner-
lichkeit dieſer Kunſt überhaupt. Alle Leidenſchaft hat ihre wahre Stärke
gerade im innern Bilde, das glühend vor dem Geiſte ſchwebt, und die
Kunſt, die dieß ganz in der Gewalt hat, muß die heftigſten Erregungen,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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