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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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als eine solche, worin entschieden Eine Kunst herrscht, die andere, oder die
andern nur mitwirken; die Verschüttung dieser festen Gesetze ist moderner
Ueberreiz und führt praktisch zum überladenen, phantastischen Opernpompe. --
Auf die untergeordneten Formen, worin Poesie mit Gesang und Musik
wechselt, die Mischgattungen zwischen Oper und Drama: Melodrama, Sing-
spiel, Vaudeville konnten wir uns bei dem Umfang der großen Aufgabe
nicht einlassen. -- Die Musik wirkt denn in dieser Verbindung der Künste
nur als Stimmungsmittel vor und zwischen den Acten, vorbereitend, auf-
lösend mit. Was die Bühnen-Einrichtung betrifft, so können wir nur im
Ganzen und Großen hervorheben, wie sich der Gegensatz der Style auch
hier ausspricht. Das Tageslicht gehört wesentlich zu dem plastischen
Style der antiken Mimik; das Lampenlicht ist malerisch, wird auf die
Bühne concentrirt und beleuchtet mit berechneter Sammlung der Strahlen
das detaillirende Spiel. Malerisch ist auch die größere Tiefe der modernen
Bühne und ihre vollere Scenerie; die antike kannte nur offene Räume,
diese stellt ebensosehr, ja häufiger innere Wohnräume dar und weist dadurch
Hand in Hand mit der Poesie auf die Ausbildung des Innerlichen im
Privatleben. Von den Extremen der Dürftigkeit und des falschen Pomps
auf unsern Theatern ist in Kritik und Aesthetik oft und hinreichend ge-
sprochen. Uns beschäftigt hier die wesentliche innere Bedeutung einer An-
stalt, welche alle sinnlichen Mittel zusammenfaßt, um den geistigen Gehalt
der Poesie mit der Macht des Augenblicks und den Wirkungen für Auge
und Ohr in tausende von Gemüthern zu werfen. Wir haben schon die
dramatische Poesie an sich als die Spitze aufgefaßt, mit welcher das System
der Künste in sich zurückläuft und seine Gegensätze in erfüllte Einheit zu-
sammenschließt (§. 895); in ihrer Verbindung mit Schauspielkunst und
Bühne gestaltet sich dieser Zusammenschluß noch spezieller, indem das sub-
jective geistige Weltbild nicht nur für die innere Vorstellung, sondern auch
für die äußeren Sinne objectiv wird, und auch dieß nicht in unbewegter
Ruhe, sondern mit wirklicher Bewegung und wirklich tönender Sprache.
Da diese nun wesentlich ist, da nicht mehr, wie in der Poesie an sich, die
Schrift genügen kann, so ist das Element der Musik, der Ton, wiewohl
in der veränderten Potenz der Sprache, im eigentlichen Sinne des Worts
mit der Dichtkunst vereinigt, und ebenso, was wichtiger ist, in Architektur
und Scenerie die bildende Kunst mit ihrer eigentlichen Wirkung auf das
äußere Auge. Durch die theatralische Execution des Drama's biegt sich
also die Kunst auf ihrem geistigsten Gipfel auch in dieser unmittelbaren
Bedeutung zu ihrem Anfang, zu ihrer ersten Hauptform um. So entlädt
sich nun hier der höchste Kunst-Inhalt als Blitz der augenblicklichen, vollen,
ganz geistigen und ganz sinnlichen Wirkung und hiemit öffnet sich wie in
keiner andern Form die Kunst in das Leben. Sie kann nicht weiter inner-

als eine ſolche, worin entſchieden Eine Kunſt herrſcht, die andere, oder die
andern nur mitwirken; die Verſchüttung dieſer feſten Geſetze iſt moderner
Ueberreiz und führt praktiſch zum überladenen, phantaſtiſchen Opernpompe. —
Auf die untergeordneten Formen, worin Poeſie mit Geſang und Muſik
wechſelt, die Miſchgattungen zwiſchen Oper und Drama: Melodrama, Sing-
ſpiel, Vaudeville konnten wir uns bei dem Umfang der großen Aufgabe
nicht einlaſſen. — Die Muſik wirkt denn in dieſer Verbindung der Künſte
nur als Stimmungsmittel vor und zwiſchen den Acten, vorbereitend, auf-
löſend mit. Was die Bühnen-Einrichtung betrifft, ſo können wir nur im
Ganzen und Großen hervorheben, wie ſich der Gegenſatz der Style auch
hier ausſpricht. Das Tageslicht gehört weſentlich zu dem plaſtiſchen
Style der antiken Mimik; das Lampenlicht iſt maleriſch, wird auf die
Bühne concentrirt und beleuchtet mit berechneter Sammlung der Strahlen
das detaillirende Spiel. Maleriſch iſt auch die größere Tiefe der modernen
Bühne und ihre vollere Scenerie; die antike kannte nur offene Räume,
dieſe ſtellt ebenſoſehr, ja häufiger innere Wohnräume dar und weist dadurch
Hand in Hand mit der Poeſie auf die Ausbildung des Innerlichen im
Privatleben. Von den Extremen der Dürftigkeit und des falſchen Pomps
auf unſern Theatern iſt in Kritik und Aeſthetik oft und hinreichend ge-
ſprochen. Uns beſchäftigt hier die weſentliche innere Bedeutung einer An-
ſtalt, welche alle ſinnlichen Mittel zuſammenfaßt, um den geiſtigen Gehalt
der Poeſie mit der Macht des Augenblicks und den Wirkungen für Auge
und Ohr in tauſende von Gemüthern zu werfen. Wir haben ſchon die
dramatiſche Poeſie an ſich als die Spitze aufgefaßt, mit welcher das Syſtem
der Künſte in ſich zurückläuft und ſeine Gegenſätze in erfüllte Einheit zu-
ſammenſchließt (§. 895); in ihrer Verbindung mit Schauſpielkunſt und
Bühne geſtaltet ſich dieſer Zuſammenſchluß noch ſpezieller, indem das ſub-
jective geiſtige Weltbild nicht nur für die innere Vorſtellung, ſondern auch
für die äußeren Sinne objectiv wird, und auch dieß nicht in unbewegter
Ruhe, ſondern mit wirklicher Bewegung und wirklich tönender Sprache.
Da dieſe nun weſentlich iſt, da nicht mehr, wie in der Poeſie an ſich, die
Schrift genügen kann, ſo iſt das Element der Muſik, der Ton, wiewohl
in der veränderten Potenz der Sprache, im eigentlichen Sinne des Worts
mit der Dichtkunſt vereinigt, und ebenſo, was wichtiger iſt, in Architektur
und Scenerie die bildende Kunſt mit ihrer eigentlichen Wirkung auf das
äußere Auge. Durch die theatraliſche Execution des Drama’s biegt ſich
alſo die Kunſt auf ihrem geiſtigſten Gipfel auch in dieſer unmittelbaren
Bedeutung zu ihrem Anfang, zu ihrer erſten Hauptform um. So entlädt
ſich nun hier der höchſte Kunſt-Inhalt als Blitz der augenblicklichen, vollen,
ganz geiſtigen und ganz ſinnlichen Wirkung und hiemit öffnet ſich wie in
keiner andern Form die Kunſt in das Leben. Sie kann nicht weiter inner-

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[1454/0318] als eine ſolche, worin entſchieden Eine Kunſt herrſcht, die andere, oder die andern nur mitwirken; die Verſchüttung dieſer feſten Geſetze iſt moderner Ueberreiz und führt praktiſch zum überladenen, phantaſtiſchen Opernpompe. — Auf die untergeordneten Formen, worin Poeſie mit Geſang und Muſik wechſelt, die Miſchgattungen zwiſchen Oper und Drama: Melodrama, Sing- ſpiel, Vaudeville konnten wir uns bei dem Umfang der großen Aufgabe nicht einlaſſen. — Die Muſik wirkt denn in dieſer Verbindung der Künſte nur als Stimmungsmittel vor und zwiſchen den Acten, vorbereitend, auf- löſend mit. Was die Bühnen-Einrichtung betrifft, ſo können wir nur im Ganzen und Großen hervorheben, wie ſich der Gegenſatz der Style auch hier ausſpricht. Das Tageslicht gehört weſentlich zu dem plaſtiſchen Style der antiken Mimik; das Lampenlicht iſt maleriſch, wird auf die Bühne concentrirt und beleuchtet mit berechneter Sammlung der Strahlen das detaillirende Spiel. Maleriſch iſt auch die größere Tiefe der modernen Bühne und ihre vollere Scenerie; die antike kannte nur offene Räume, dieſe ſtellt ebenſoſehr, ja häufiger innere Wohnräume dar und weist dadurch Hand in Hand mit der Poeſie auf die Ausbildung des Innerlichen im Privatleben. Von den Extremen der Dürftigkeit und des falſchen Pomps auf unſern Theatern iſt in Kritik und Aeſthetik oft und hinreichend ge- ſprochen. Uns beſchäftigt hier die weſentliche innere Bedeutung einer An- ſtalt, welche alle ſinnlichen Mittel zuſammenfaßt, um den geiſtigen Gehalt der Poeſie mit der Macht des Augenblicks und den Wirkungen für Auge und Ohr in tauſende von Gemüthern zu werfen. Wir haben ſchon die dramatiſche Poeſie an ſich als die Spitze aufgefaßt, mit welcher das Syſtem der Künſte in ſich zurückläuft und ſeine Gegenſätze in erfüllte Einheit zu- ſammenſchließt (§. 895); in ihrer Verbindung mit Schauſpielkunſt und Bühne geſtaltet ſich dieſer Zuſammenſchluß noch ſpezieller, indem das ſub- jective geiſtige Weltbild nicht nur für die innere Vorſtellung, ſondern auch für die äußeren Sinne objectiv wird, und auch dieß nicht in unbewegter Ruhe, ſondern mit wirklicher Bewegung und wirklich tönender Sprache. Da dieſe nun weſentlich iſt, da nicht mehr, wie in der Poeſie an ſich, die Schrift genügen kann, ſo iſt das Element der Muſik, der Ton, wiewohl in der veränderten Potenz der Sprache, im eigentlichen Sinne des Worts mit der Dichtkunſt vereinigt, und ebenſo, was wichtiger iſt, in Architektur und Scenerie die bildende Kunſt mit ihrer eigentlichen Wirkung auf das äußere Auge. Durch die theatraliſche Execution des Drama’s biegt ſich alſo die Kunſt auf ihrem geiſtigſten Gipfel auch in dieſer unmittelbaren Bedeutung zu ihrem Anfang, zu ihrer erſten Hauptform um. So entlädt ſich nun hier der höchſte Kunſt-Inhalt als Blitz der augenblicklichen, vollen, ganz geiſtigen und ganz ſinnlichen Wirkung und hiemit öffnet ſich wie in keiner andern Form die Kunſt in das Leben. Sie kann nicht weiter inner-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/318>, abgerufen am 24.11.2024.