In §. 533. 534 ist gezeigt, daß die Kunst in stufenförmigem Gange je das Material, worin das Leben umfassender und tiefer zur Darstellung gebracht werden kann, an die Stelle des beengenderen setzt, bis endlich alles Material, weil sein Charakter wesentlich die sinnliche Ausschließlichkeit ist, abgeworfen wird, und es ist nachgewiesen, daß daraus zunächst eine Zwei- theilung der gesammten Künste entsteht, indem der Gruppe derselben, welche sich sinnlichen Materials bedient, eine Kunst gegenübertritt, welche dieses Band zerschneidet. Darauf ist dann in §. 535 die Dreitheilung eingeführt durch diejenige Kunstform, welche den Moment des Uebergangs zu dieser völligen Lösung darstellt, indem sie ein sinnliches Material noch verwendet, aber nur als Voraussetzung, d. h. nur, um ihm das rein Bewegte, schon der Zeitform Angehörende, den Ton, zu entlocken. Daß nun die Abwerfung alles eigentlichen Materials mit der Poesie eintreten muß, folgt eben daraus, daß sie für alle Sinne und daß sie sowohl das innere, als das äußere Leben darstellt. Es ist schon bei der Verbindung von Künsten untereinander (§. 544) berührt, daß es Unnatur ist, Poesie, Musik und Malerei vereinigen zu wollen, der Unsinn der Verbindung voller Farbenwirkung und Form- wirkung ist bei den bildenden Künsten nachgewiesen. Der bloße Versuch, sich ein Werk der Kunst vorzustellen, worin die Erfassung des Gegenstands nach sämmtlichen Seiten der Erscheinung sich an ein Material bände, hebt sich von selbst auf: nachgeahmte Figuren, welche völlige Farbe haben, sich bewegen, singen, sprechen, dazu wirklich bewegte Lüfte, Wasser, Pflanzen, und auch diese in allen Verhältnissen des Lichts und der Farbe, sind un- denkbar. Die Kunst, die auf der ganzen innerlich gesetzten Sinnlichkeit ruht, kann sich auch nur an diese wenden, der volle Schein kann nur in der Einbildungskraft des Zuhörers oder Lesers hervorgerufen werden. Auch die bedingte Beziehung der Musik zu einem Körper als Material fällt daher weg: das Schöne kann mit dem, wodurch es vermittelt wird, nicht ebenso unmittelbar Eines sein, wie in der Musik mit dem Tone, den sie durch Anschlagen eines Körpers hervorbringt. Will ich nun, daß im Innern derjenigen, an die ich mich als Künstler wende, das Bild entstehe, das ich in meinem Innern trage, so bleibt als Mittel, als tragendes, über- führendes, von meinem Innern zu dem des Andern überleitendes Medium, d. h. als Behikel, nur die Sprache übrig. Die Sprache ist ein System articulirter Töne; die Zusammenschließung der Vocale durch Consonanten entnimmt den Ton dem bloßen Weben der Empfindung, bildet ihn im Worte zum Ausdruck des Bewußtseins, des Begriffs. Bewußtsein, Begriff: dieß bedeutet uns hier zunächst nur: Angabe bestimmter Objecte; wir untersuchen noch nicht die schwierige Frage, in welchem Sinne der Dichter allerdings auch an das Bewußtsein als eigentliches Denken des Allgemeinen sich wende. Die Sprache ist nun zwar schlechthin ein Verallgemeinern und das Wort
In §. 533. 534 iſt gezeigt, daß die Kunſt in ſtufenförmigem Gange je das Material, worin das Leben umfaſſender und tiefer zur Darſtellung gebracht werden kann, an die Stelle des beengenderen ſetzt, bis endlich alles Material, weil ſein Charakter weſentlich die ſinnliche Ausſchließlichkeit iſt, abgeworfen wird, und es iſt nachgewieſen, daß daraus zunächſt eine Zwei- theilung der geſammten Künſte entſteht, indem der Gruppe derſelben, welche ſich ſinnlichen Materials bedient, eine Kunſt gegenübertritt, welche dieſes Band zerſchneidet. Darauf iſt dann in §. 535 die Dreitheilung eingeführt durch diejenige Kunſtform, welche den Moment des Uebergangs zu dieſer völligen Löſung darſtellt, indem ſie ein ſinnliches Material noch verwendet, aber nur als Vorausſetzung, d. h. nur, um ihm das rein Bewegte, ſchon der Zeitform Angehörende, den Ton, zu entlocken. Daß nun die Abwerfung alles eigentlichen Materials mit der Poeſie eintreten muß, folgt eben daraus, daß ſie für alle Sinne und daß ſie ſowohl das innere, als das äußere Leben darſtellt. Es iſt ſchon bei der Verbindung von Künſten untereinander (§. 544) berührt, daß es Unnatur iſt, Poeſie, Muſik und Malerei vereinigen zu wollen, der Unſinn der Verbindung voller Farbenwirkung und Form- wirkung iſt bei den bildenden Künſten nachgewieſen. Der bloße Verſuch, ſich ein Werk der Kunſt vorzuſtellen, worin die Erfaſſung des Gegenſtands nach ſämmtlichen Seiten der Erſcheinung ſich an ein Material bände, hebt ſich von ſelbſt auf: nachgeahmte Figuren, welche völlige Farbe haben, ſich bewegen, ſingen, ſprechen, dazu wirklich bewegte Lüfte, Waſſer, Pflanzen, und auch dieſe in allen Verhältniſſen des Lichts und der Farbe, ſind un- denkbar. Die Kunſt, die auf der ganzen innerlich geſetzten Sinnlichkeit ruht, kann ſich auch nur an dieſe wenden, der volle Schein kann nur in der Einbildungskraft des Zuhörers oder Leſers hervorgerufen werden. Auch die bedingte Beziehung der Muſik zu einem Körper als Material fällt daher weg: das Schöne kann mit dem, wodurch es vermittelt wird, nicht ebenſo unmittelbar Eines ſein, wie in der Muſik mit dem Tone, den ſie durch Anſchlagen eines Körpers hervorbringt. Will ich nun, daß im Innern derjenigen, an die ich mich als Künſtler wende, das Bild entſtehe, das ich in meinem Innern trage, ſo bleibt als Mittel, als tragendes, über- führendes, von meinem Innern zu dem des Andern überleitendes Medium, d. h. als Behikel, nur die Sprache übrig. Die Sprache iſt ein Syſtem articulirter Töne; die Zuſammenſchließung der Vocale durch Conſonanten entnimmt den Ton dem bloßen Weben der Empfindung, bildet ihn im Worte zum Ausdruck des Bewußtſeins, des Begriffs. Bewußtſein, Begriff: dieß bedeutet uns hier zunächſt nur: Angabe beſtimmter Objecte; wir unterſuchen noch nicht die ſchwierige Frage, in welchem Sinne der Dichter allerdings auch an das Bewußtſein als eigentliches Denken des Allgemeinen ſich wende. Die Sprache iſt nun zwar ſchlechthin ein Verallgemeinern und das Wort
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gebracht werden kann, an die Stelle des beengenderen ſetzt, bis endlich alles
Material, weil ſein Charakter weſentlich die ſinnliche Ausſchließlichkeit iſt,
abgeworfen wird, und es iſt nachgewieſen, daß daraus zunächſt eine Zwei-
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ſich ſinnlichen Materials bedient, eine Kunſt gegenübertritt, welche dieſes
Band zerſchneidet. Darauf iſt dann in §. 535 die Dreitheilung eingeführt
durch diejenige Kunſtform, welche den Moment des Uebergangs zu dieſer
völligen Löſung darſtellt, indem ſie ein ſinnliches Material noch verwendet,
aber nur als Vorausſetzung, d. h. nur, um ihm das rein Bewegte, ſchon
der Zeitform Angehörende, den Ton, zu entlocken. Daß nun die Abwerfung
alles eigentlichen Materials mit der Poeſie eintreten muß, folgt eben daraus,
daß ſie für alle Sinne und daß ſie ſowohl das innere, als das äußere
Leben darſtellt. Es iſt ſchon bei der Verbindung von Künſten untereinander
(§. 544) berührt, daß es Unnatur iſt, Poeſie, Muſik und Malerei vereinigen
zu wollen, der Unſinn der Verbindung voller Farbenwirkung und Form-
wirkung iſt bei den bildenden Künſten nachgewieſen. Der bloße Verſuch,
ſich ein Werk der Kunſt vorzuſtellen, worin die Erfaſſung des Gegenſtands
nach ſämmtlichen Seiten der Erſcheinung ſich an ein Material bände, hebt
ſich von ſelbſt auf: nachgeahmte Figuren, welche völlige Farbe haben, ſich
bewegen, ſingen, ſprechen, dazu wirklich bewegte Lüfte, Waſſer, Pflanzen,
und auch dieſe in allen Verhältniſſen des Lichts und der Farbe, ſind un-
denkbar. Die Kunſt, die auf der ganzen innerlich geſetzten Sinnlichkeit
ruht, kann ſich auch nur an dieſe wenden, der volle Schein kann nur
in der Einbildungskraft des Zuhörers oder Leſers hervorgerufen werden.
Auch die bedingte Beziehung der Muſik zu einem Körper als Material
fällt daher weg: das Schöne kann mit dem, wodurch es vermittelt wird,
nicht ebenſo unmittelbar Eines ſein, wie in der Muſik mit dem Tone, den
ſie durch Anſchlagen eines Körpers hervorbringt. Will ich nun, daß im
Innern derjenigen, an die ich mich als Künſtler wende, das Bild entſtehe,
das ich in meinem Innern trage, ſo bleibt als Mittel, als tragendes, über-
führendes, von meinem Innern zu dem des Andern überleitendes Medium,
d. h. als Behikel, nur die Sprache übrig. Die Sprache iſt ein Syſtem
articulirter Töne; die Zuſammenſchließung der Vocale durch Conſonanten
entnimmt den Ton dem bloßen Weben der Empfindung, bildet ihn im Worte
zum Ausdruck des Bewußtſeins, des Begriffs. Bewußtſein, Begriff: dieß
bedeutet uns hier zunächſt nur: Angabe beſtimmter Objecte; wir unterſuchen
noch nicht die ſchwierige Frage, in welchem Sinne der Dichter allerdings
auch an das Bewußtſein als eigentliches Denken des Allgemeinen ſich wende.
Die Sprache iſt nun zwar ſchlechthin ein Verallgemeinern und das Wort
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/28>, abgerufen am 24.11.2024.
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