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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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doch viel von dem tief dunkel bewegten, springenden, dramatischen Style
der ächten Ballade, und etwa noch außer dem Handschuh, wo ähnliche
Bewegung waltet. Wählt er den Namen wegen des glücklichen Ausgangs
im Gegensatze mit der tragischen Schicksals-Idee in den andern, so wären
der Gang nach dem Eisenhammer, der Graf von Habsburg, die Bürgschaft
auch Romanzen zu nennen. Das Richtige wird sein, von Schiller's sämmt-
lichen episch lyrischen Gedichten zu sagen: sie haben von der Ballade den
stark bewegten dramatischen Gang, aber nicht das Helldunkel des reinen
Empfindungstons, der immer eine Verwandtschaft mit dem Volksliede auch
in der Kunstpoesie bewahrt, vielmehr neigen sie durch ihre lichte Bewußtheit
und Sentenziosität noch über die Helle der Romanze hinüber in die be-
trachtende Lyrik; zugleich aber seien sie durch die Fülle und Pracht ihrer
Schilderungen episch über das Maaß dieser Eigenschaft hinaus, wie wir sie
ebenfalls der Romanze zuerkannten, ja auch über das Maaß des Epos,
nämlich mit zu fühlbarer rhetorischer, declamatorischer Haltung; ein Ver-
hältniß der Kräfte, mit dem man sich, so oft der Mangel des Naiven,
ächt Liederartigen sich bis zum Ueberdruß aufzudrängen droht, doch immer
wieder versöhnt durch die Entschiedenheit des Einen Grundzugs, der drama-
tischen Energie, die ganz den wirklich dramatischen Dichter ankündigt.

Wir haben bis hieher abgesehen von den Begriffsbestimmungen, welche
Echtermeyer in der Abh.: "Unsere Balladen- und Romanzenpoesie" (Hall.
Jahrb. 1839, N. 96 ff.) gegeben hat, um weder unsere Entwicklung, noch
die Beurtheilung zu verwirren. Er geht vom Inhalt aus und erklärt die
Ballade für die Form, worin der noch natürlich bestimmte Volksgeist, der
Geist in seiner Naturbedingtheit sich ausspreche, wie er entweder den Ge-
walten der äußeren Natur unterliegt, oder seinen eigenen dunkeln Trieben
anheimfällt und von ihnen verschlungen wird, -- die Nachtseite des Geistes,
die denn eine düstere Stimmung und eine tragische Wendung begründe;
die Romanze dagegen soll, nicht mehr an einen bestimmten Volksgeist ge-
bunden, der rein menschlichen Bildung angehörig, das ideale Selbstbewußt-
sein, die freie sittliche Macht des Geistes verherrlichen. Daraus leitet er
dann den Styl-Unterschied ab und faßt ihn ähnlich unserer Bestimmung.
Es scheint dieß eine klare und einleuchtende Entscheidung der schwierigen
Frage; sieht man aber näher zu, so wird man finden, daß dieser Schein
täuscht. Für's Erste wird nicht Alles eingetheilt, was einzutheilen ist:
wohin soll die ganze große Welt des Gemüthslebens fallen, die weder der
düstern Nachtseite des unfreien, noch dem vollen Tage des sittlich selbst-
bewußten und wollenden Geistes angehört? Vor Allem die Welt der Liebe,
sofern sie nicht in ideales Denken erhoben und doch in sich frei, schön und
heiter ist? Der nordische Styl wird sie dunkel, ahnungsvoll, der südliche
wird sie licht und klar behandeln, dort wird eine Ballade, hier eine Romanze

doch viel von dem tief dunkel bewegten, ſpringenden, dramatiſchen Style
der ächten Ballade, und etwa noch außer dem Handſchuh, wo ähnliche
Bewegung waltet. Wählt er den Namen wegen des glücklichen Ausgangs
im Gegenſatze mit der tragiſchen Schickſals-Idee in den andern, ſo wären
der Gang nach dem Eiſenhammer, der Graf von Habsburg, die Bürgſchaft
auch Romanzen zu nennen. Das Richtige wird ſein, von Schiller’s ſämmt-
lichen epiſch lyriſchen Gedichten zu ſagen: ſie haben von der Ballade den
ſtark bewegten dramatiſchen Gang, aber nicht das Helldunkel des reinen
Empfindungstons, der immer eine Verwandtſchaft mit dem Volksliede auch
in der Kunſtpoeſie bewahrt, vielmehr neigen ſie durch ihre lichte Bewußtheit
und Sentenzioſität noch über die Helle der Romanze hinüber in die be-
trachtende Lyrik; zugleich aber ſeien ſie durch die Fülle und Pracht ihrer
Schilderungen epiſch über das Maaß dieſer Eigenſchaft hinaus, wie wir ſie
ebenfalls der Romanze zuerkannten, ja auch über das Maaß des Epos,
nämlich mit zu fühlbarer rhetoriſcher, declamatoriſcher Haltung; ein Ver-
hältniß der Kräfte, mit dem man ſich, ſo oft der Mangel des Naiven,
ächt Liederartigen ſich bis zum Ueberdruß aufzudrängen droht, doch immer
wieder verſöhnt durch die Entſchiedenheit des Einen Grundzugs, der drama-
tiſchen Energie, die ganz den wirklich dramatiſchen Dichter ankündigt.

Wir haben bis hieher abgeſehen von den Begriffsbeſtimmungen, welche
Echtermeyer in der Abh.: „Unſere Balladen- und Romanzenpoeſie“ (Hall.
Jahrb. 1839, N. 96 ff.) gegeben hat, um weder unſere Entwicklung, noch
die Beurtheilung zu verwirren. Er geht vom Inhalt aus und erklärt die
Ballade für die Form, worin der noch natürlich beſtimmte Volksgeiſt, der
Geiſt in ſeiner Naturbedingtheit ſich ausſpreche, wie er entweder den Ge-
walten der äußeren Natur unterliegt, oder ſeinen eigenen dunkeln Trieben
anheimfällt und von ihnen verſchlungen wird, — die Nachtſeite des Geiſtes,
die denn eine düſtere Stimmung und eine tragiſche Wendung begründe;
die Romanze dagegen ſoll, nicht mehr an einen beſtimmten Volksgeiſt ge-
bunden, der rein menſchlichen Bildung angehörig, das ideale Selbſtbewußt-
ſein, die freie ſittliche Macht des Geiſtes verherrlichen. Daraus leitet er
dann den Styl-Unterſchied ab und faßt ihn ähnlich unſerer Beſtimmung.
Es ſcheint dieß eine klare und einleuchtende Entſcheidung der ſchwierigen
Frage; ſieht man aber näher zu, ſo wird man finden, daß dieſer Schein
täuſcht. Für’s Erſte wird nicht Alles eingetheilt, was einzutheilen iſt:
wohin ſoll die ganze große Welt des Gemüthslebens fallen, die weder der
düſtern Nachtſeite des unfreien, noch dem vollen Tage des ſittlich ſelbſt-
bewußten und wollenden Geiſtes angehört? Vor Allem die Welt der Liebe,
ſofern ſie nicht in ideales Denken erhoben und doch in ſich frei, ſchön und
heiter iſt? Der nordiſche Styl wird ſie dunkel, ahnungsvoll, der ſüdliche
wird ſie licht und klar behandeln, dort wird eine Ballade, hier eine Romanze

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[1365/0229] doch viel von dem tief dunkel bewegten, ſpringenden, dramatiſchen Style der ächten Ballade, und etwa noch außer dem Handſchuh, wo ähnliche Bewegung waltet. Wählt er den Namen wegen des glücklichen Ausgangs im Gegenſatze mit der tragiſchen Schickſals-Idee in den andern, ſo wären der Gang nach dem Eiſenhammer, der Graf von Habsburg, die Bürgſchaft auch Romanzen zu nennen. Das Richtige wird ſein, von Schiller’s ſämmt- lichen epiſch lyriſchen Gedichten zu ſagen: ſie haben von der Ballade den ſtark bewegten dramatiſchen Gang, aber nicht das Helldunkel des reinen Empfindungstons, der immer eine Verwandtſchaft mit dem Volksliede auch in der Kunſtpoeſie bewahrt, vielmehr neigen ſie durch ihre lichte Bewußtheit und Sentenzioſität noch über die Helle der Romanze hinüber in die be- trachtende Lyrik; zugleich aber ſeien ſie durch die Fülle und Pracht ihrer Schilderungen epiſch über das Maaß dieſer Eigenſchaft hinaus, wie wir ſie ebenfalls der Romanze zuerkannten, ja auch über das Maaß des Epos, nämlich mit zu fühlbarer rhetoriſcher, declamatoriſcher Haltung; ein Ver- hältniß der Kräfte, mit dem man ſich, ſo oft der Mangel des Naiven, ächt Liederartigen ſich bis zum Ueberdruß aufzudrängen droht, doch immer wieder verſöhnt durch die Entſchiedenheit des Einen Grundzugs, der drama- tiſchen Energie, die ganz den wirklich dramatiſchen Dichter ankündigt. Wir haben bis hieher abgeſehen von den Begriffsbeſtimmungen, welche Echtermeyer in der Abh.: „Unſere Balladen- und Romanzenpoeſie“ (Hall. Jahrb. 1839, N. 96 ff.) gegeben hat, um weder unſere Entwicklung, noch die Beurtheilung zu verwirren. Er geht vom Inhalt aus und erklärt die Ballade für die Form, worin der noch natürlich beſtimmte Volksgeiſt, der Geiſt in ſeiner Naturbedingtheit ſich ausſpreche, wie er entweder den Ge- walten der äußeren Natur unterliegt, oder ſeinen eigenen dunkeln Trieben anheimfällt und von ihnen verſchlungen wird, — die Nachtſeite des Geiſtes, die denn eine düſtere Stimmung und eine tragiſche Wendung begründe; die Romanze dagegen ſoll, nicht mehr an einen beſtimmten Volksgeiſt ge- bunden, der rein menſchlichen Bildung angehörig, das ideale Selbſtbewußt- ſein, die freie ſittliche Macht des Geiſtes verherrlichen. Daraus leitet er dann den Styl-Unterſchied ab und faßt ihn ähnlich unſerer Beſtimmung. Es ſcheint dieß eine klare und einleuchtende Entſcheidung der ſchwierigen Frage; ſieht man aber näher zu, ſo wird man finden, daß dieſer Schein täuſcht. Für’s Erſte wird nicht Alles eingetheilt, was einzutheilen iſt: wohin ſoll die ganze große Welt des Gemüthslebens fallen, die weder der düſtern Nachtſeite des unfreien, noch dem vollen Tage des ſittlich ſelbſt- bewußten und wollenden Geiſtes angehört? Vor Allem die Welt der Liebe, ſofern ſie nicht in ideales Denken erhoben und doch in ſich frei, ſchön und heiter iſt? Der nordiſche Styl wird ſie dunkel, ahnungsvoll, der ſüdliche wird ſie licht und klar behandeln, dort wird eine Ballade, hier eine Romanze

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/229>, abgerufen am 23.11.2024.