ung durch höhere Kunst innerhalb der Volkspoesie zu Theil wurde, so daß sie als ein Ganzes aus verschiedenartigen Schichten überliefert sind: das persische und das deutsche. Das letztere unterscheidet sich dem Inhalte nach von dem griechischen namentlich durch einen intensiv tragischen Geist des Schicksals, mit dem der Heldencharakter zu einer finstern Größe zusammenwächst, steht ihm aber in seinen Grundbestandtheilen, sowie durch Scheidung in die zwei Formen (§. 874), ebenbürtiger gegenüber, als das Epos irgend eines andern Volkes.
In dem Zusammenhange, wie wir hier die logische Eintheilung und die geschichtliche Entwicklung ineinanderarbeiten, stellen sich die beiden Hel- dengedichte, von denen die Rede ist, an den Schluß der Lehre vom Epos im ursprünglichen Sinne des Wortes und an den Anfang der Poesie des Mittelalters, richtiger: zwischen heidnisches Alterthum und muhamedanisches, christliches Mittelalter so hinein, daß jenes den Kern, dieses (in Persien im zehnten, in Deutschland zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts) den formellen Abschluß gibt. Der große Unterschied ist nun freilich der, daß im Oriente Firdussi den ächt epischen Bestandtheil seines Schahname, die uralte Heldensage vom Kampfe zwischen Iran und Turan mit der herrlichen Heldengestalt Rusthems, ganz im Sinne eines Kunstepos voll Glanz und Reichthum der Phantasie, aber auch mit der grübelnden Künst- lichkeit der reifen muhamedanischen Bildung abschließt oder vielmehr zu dem kleineren Theile eines Ganzen von massenhaftem, den weitschichtigen Geschichtsstoff in sich fassenden Umfang herabsetzt, während dagegen die deutsche Heldensage im Volksliede fortlebt und ihren Abschluß Händen oder einer Hand verdankt, die sich nur ein kleines Maaß von Kunstbildung angeeignet. Der Prozeß der Entstehung des deutschen Epos wäre soweit immerhin demjenigen, wodurch die Homerischen Epen entstanden sind, ähn- lich genug. Auch der Stoff ist bei allem Unterschiede von tief verwandter, wahrhaft epischer Natur. So schlechthin kann Homer nicht Maaßstab sein, daß nicht eine Charakterwelt, die mit ungleich gröberer Form tiefer und härter in sich gedrängt ist, noch als ganz episch gelten könnte; eine Helden- statue aus dunklem Granit ist nicht so erfreulich, wie eine aus Marmor, kann aber immer noch monumental genug sein; die geringere Flüssigkeit, der Stempel einer kargeren, winterlicheren Natur, die derbe, pralle Haltung erscheint doch so ganz und ächt naiv, sächlich, fern von jener Subjectivität, die das Band der Unmittelbarkeit zerschneidet, der Geist so gediegen in- stinctiv, in Massen handelnd, Massen bewegend, mit Roß und Schwert im gesund realen Verkehr, kindlich all der Dinge, die schön und gewaltig sind, sich erfreuend, in alter Vätersitte einfach wurzelnd, daß man sich durchaus in der rechten epischen Luft befindet. Die Leidenschaft, hier die Rache, geht ihren breiten und langen Weg ächt heidnisch reflexionslos wie eine
ung durch höhere Kunſt innerhalb der Volkspoeſie zu Theil wurde, ſo daß ſie als ein Ganzes aus verſchiedenartigen Schichten überliefert ſind: das perſiſche und das deutſche. Das letztere unterſcheidet ſich dem Inhalte nach von dem griechiſchen namentlich durch einen intenſiv tragiſchen Geiſt des Schickſals, mit dem der Heldencharakter zu einer finſtern Größe zuſammenwächst, ſteht ihm aber in ſeinen Grundbeſtandtheilen, ſowie durch Scheidung in die zwei Formen (§. 874), ebenbürtiger gegenüber, als das Epos irgend eines andern Volkes.
In dem Zuſammenhange, wie wir hier die logiſche Eintheilung und die geſchichtliche Entwicklung ineinanderarbeiten, ſtellen ſich die beiden Hel- dengedichte, von denen die Rede iſt, an den Schluß der Lehre vom Epos im urſprünglichen Sinne des Wortes und an den Anfang der Poeſie des Mittelalters, richtiger: zwiſchen heidniſches Alterthum und muhamedaniſches, chriſtliches Mittelalter ſo hinein, daß jenes den Kern, dieſes (in Perſien im zehnten, in Deutſchland zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts) den formellen Abſchluß gibt. Der große Unterſchied iſt nun freilich der, daß im Oriente Firduſſi den ächt epiſchen Beſtandtheil ſeines Schahname, die uralte Heldenſage vom Kampfe zwiſchen Iran und Turan mit der herrlichen Heldengeſtalt Ruſthems, ganz im Sinne eines Kunſtepos voll Glanz und Reichthum der Phantaſie, aber auch mit der grübelnden Künſt- lichkeit der reifen muhamedaniſchen Bildung abſchließt oder vielmehr zu dem kleineren Theile eines Ganzen von maſſenhaftem, den weitſchichtigen Geſchichtsſtoff in ſich faſſenden Umfang herabſetzt, während dagegen die deutſche Heldenſage im Volksliede fortlebt und ihren Abſchluß Händen oder einer Hand verdankt, die ſich nur ein kleines Maaß von Kunſtbildung angeeignet. Der Prozeß der Entſtehung des deutſchen Epos wäre ſoweit immerhin demjenigen, wodurch die Homeriſchen Epen entſtanden ſind, ähn- lich genug. Auch der Stoff iſt bei allem Unterſchiede von tief verwandter, wahrhaft epiſcher Natur. So ſchlechthin kann Homer nicht Maaßſtab ſein, daß nicht eine Charakterwelt, die mit ungleich gröberer Form tiefer und härter in ſich gedrängt iſt, noch als ganz epiſch gelten könnte; eine Helden- ſtatue aus dunklem Granit iſt nicht ſo erfreulich, wie eine aus Marmor, kann aber immer noch monumental genug ſein; die geringere Flüſſigkeit, der Stempel einer kargeren, winterlicheren Natur, die derbe, pralle Haltung erſcheint doch ſo ganz und ächt naiv, ſächlich, fern von jener Subjectivität, die das Band der Unmittelbarkeit zerſchneidet, der Geiſt ſo gediegen in- ſtinctiv, in Maſſen handelnd, Maſſen bewegend, mit Roß und Schwert im geſund realen Verkehr, kindlich all der Dinge, die ſchön und gewaltig ſind, ſich erfreuend, in alter Väterſitte einfach wurzelnd, daß man ſich durchaus in der rechten epiſchen Luft befindet. Die Leidenſchaft, hier die Rache, geht ihren breiten und langen Weg ächt heidniſch reflexionslos wie eine
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ung durch höhere Kunſt innerhalb der Volkspoeſie zu Theil wurde, ſo daß ſie
als ein Ganzes aus verſchiedenartigen Schichten überliefert ſind: das perſiſche
und das deutſche. Das letztere unterſcheidet ſich dem Inhalte nach von dem
griechiſchen namentlich durch einen intenſiv tragiſchen Geiſt des Schickſals, mit
dem der Heldencharakter zu einer finſtern Größe zuſammenwächst, ſteht ihm
aber in ſeinen Grundbeſtandtheilen, ſowie durch Scheidung in die zwei Formen
(§. 874), ebenbürtiger gegenüber, als das Epos irgend eines andern Volkes.
In dem Zuſammenhange, wie wir hier die logiſche Eintheilung und
die geſchichtliche Entwicklung ineinanderarbeiten, ſtellen ſich die beiden Hel-
dengedichte, von denen die Rede iſt, an den Schluß der Lehre vom Epos
im urſprünglichen Sinne des Wortes und an den Anfang der Poeſie des
Mittelalters, richtiger: zwiſchen heidniſches Alterthum und muhamedaniſches,
chriſtliches Mittelalter ſo hinein, daß jenes den Kern, dieſes (in Perſien
im zehnten, in Deutſchland zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts)
den formellen Abſchluß gibt. Der große Unterſchied iſt nun freilich der,
daß im Oriente Firduſſi den ächt epiſchen Beſtandtheil ſeines Schahname,
die uralte Heldenſage vom Kampfe zwiſchen Iran und Turan mit der
herrlichen Heldengeſtalt Ruſthems, ganz im Sinne eines Kunſtepos voll
Glanz und Reichthum der Phantaſie, aber auch mit der grübelnden Künſt-
lichkeit der reifen muhamedaniſchen Bildung abſchließt oder vielmehr zu
dem kleineren Theile eines Ganzen von maſſenhaftem, den weitſchichtigen
Geſchichtsſtoff in ſich faſſenden Umfang herabſetzt, während dagegen die
deutſche Heldenſage im Volksliede fortlebt und ihren Abſchluß Händen oder
einer Hand verdankt, die ſich nur ein kleines Maaß von Kunſtbildung
angeeignet. Der Prozeß der Entſtehung des deutſchen Epos wäre ſoweit
immerhin demjenigen, wodurch die Homeriſchen Epen entſtanden ſind, ähn-
lich genug. Auch der Stoff iſt bei allem Unterſchiede von tief verwandter,
wahrhaft epiſcher Natur. So ſchlechthin kann Homer nicht Maaßſtab ſein,
daß nicht eine Charakterwelt, die mit ungleich gröberer Form tiefer und
härter in ſich gedrängt iſt, noch als ganz epiſch gelten könnte; eine Helden-
ſtatue aus dunklem Granit iſt nicht ſo erfreulich, wie eine aus Marmor,
kann aber immer noch monumental genug ſein; die geringere Flüſſigkeit,
der Stempel einer kargeren, winterlicheren Natur, die derbe, pralle Haltung
erſcheint doch ſo ganz und ächt naiv, ſächlich, fern von jener Subjectivität,
die das Band der Unmittelbarkeit zerſchneidet, der Geiſt ſo gediegen in-
ſtinctiv, in Maſſen handelnd, Maſſen bewegend, mit Roß und Schwert im
geſund realen Verkehr, kindlich all der Dinge, die ſchön und gewaltig ſind,
ſich erfreuend, in alter Väterſitte einfach wurzelnd, daß man ſich durchaus
in der rechten epiſchen Luft befindet. Die Leidenſchaft, hier die Rache,
geht ihren breiten und langen Weg ächt heidniſch reflexionslos wie eine
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/157>, abgerufen am 04.12.2024.
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