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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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selbst der streng wissenschaftliche Charakter rechtfertigt. Der erste Theil
mag zudem von der damaligen Stimmung des Verfassers nicht unbe-
rührt geblieben sein: der Vorwurf frivoler Leichtigkeit in der Behandlung
der Wissenschaft kann immerhin dazu verleiten, daß man denkt, man
wolle einmal zeigen, ob man es nicht auch schwer machen könne. --
Im Ganzen und Großen bedenke man aber wohl, daß ich durchaus
kein populäres Werk schreiben wollte. Es gibt eine Gemeinfaßlichkeit
edler Art, deren Werth, deren große Wichtigkeit für eine Zeit, zu deren
höchsten Aufgaben es gehört, dem Geiste Schloß und Riegel zu öffnen
und ihn in die Massen zu verbreiten, ich natürlich nicht bestreiten will;
aber daneben bleibt eine streng esoterische Form der Wissenschaft in
ihrem Recht, in ihrer Nothwendigkeit für alle Zukunft stehen. Es ist
ein anderes, zweites Geschäft, die strenge Form zu sprengen und den
Inhalt an möglichst Viele auszugeben, ein Geschäft mit anderer Technik,
anderen Werkzeugen, und diejenigen, die dem Arbeiter jener innersten
Werkstätte vorwerfen, daß er in Formeln sich bewege, die nicht gemein-
verständlich sind, kommen mir immer vor, wie Leute, die etwa dem
Goldschmiede vorrückten, daß er nicht der einfachen Hämmer, Zangen,
Meisel u. s. w. sich bediene, wie man sie in jedem Hause braucht und
kennt. Das Ausmünzen, Verarbeiten für die Masse ist denn ein ganz
ehrenwerthes, verdienstliches Geschäft, nur soll es auch redlich sein und
gestehen, woher der Inhalt geholt ist. Ich könnte hierüber allerhand
erzählen, begnüge mich aber mit der Bemerkung, daß ich nicht so geizig
bin, es für Diebstahl zu achten, wenn Einer nicht bei jedem Worte,
das er meinem Buch entnommen, die Anführungszeichen setzt, daß aber
wenigstens diejenigen Züchtigung verdienen, die einen Schriftsteller aus-
schreiben und ihm zum Danke dafür bei jeder Gelegenheit einen Stich
versetzen. Freilich mögen sich diese Unredlichen einer ziemlichen Sicherheit
erfreuen, da sie wohl wissen, daß man sich schwer entschließt, die
peinliche Mühe einer genauen Constatirung des Betrugs durch acten-
mäßigen Nachweis zu übernehmen, und daß sie, so lange man dieß
nicht thut, gegen jede Nennung protestiren können. Wenn ich aber
einmal recht viel Zeit übrig habe, gedenke ich doch ein Exempel zu
statuiren. -- Ich meines Theils habe mir zur Pflicht gemacht, kein
Wort eines Andern ohne Citat, und zwar, wo ich sie immer finden

ſelbſt der ſtreng wiſſenſchaftliche Charakter rechtfertigt. Der erſte Theil
mag zudem von der damaligen Stimmung des Verfaſſers nicht unbe-
rührt geblieben ſein: der Vorwurf frivoler Leichtigkeit in der Behandlung
der Wiſſenſchaft kann immerhin dazu verleiten, daß man denkt, man
wolle einmal zeigen, ob man es nicht auch ſchwer machen könne. —
Im Ganzen und Großen bedenke man aber wohl, daß ich durchaus
kein populäres Werk ſchreiben wollte. Es gibt eine Gemeinfaßlichkeit
edler Art, deren Werth, deren große Wichtigkeit für eine Zeit, zu deren
höchſten Aufgaben es gehört, dem Geiſte Schloß und Riegel zu öffnen
und ihn in die Maſſen zu verbreiten, ich natürlich nicht beſtreiten will;
aber daneben bleibt eine ſtreng eſoteriſche Form der Wiſſenſchaft in
ihrem Recht, in ihrer Nothwendigkeit für alle Zukunft ſtehen. Es iſt
ein anderes, zweites Geſchäft, die ſtrenge Form zu ſprengen und den
Inhalt an möglichſt Viele auszugeben, ein Geſchäft mit anderer Technik,
anderen Werkzeugen, und diejenigen, die dem Arbeiter jener innerſten
Werkſtätte vorwerfen, daß er in Formeln ſich bewege, die nicht gemein-
verſtändlich ſind, kommen mir immer vor, wie Leute, die etwa dem
Goldſchmiede vorrückten, daß er nicht der einfachen Hämmer, Zangen,
Meiſel u. ſ. w. ſich bediene, wie man ſie in jedem Hauſe braucht und
kennt. Das Ausmünzen, Verarbeiten für die Maſſe iſt denn ein ganz
ehrenwerthes, verdienſtliches Geſchäft, nur ſoll es auch redlich ſein und
geſtehen, woher der Inhalt geholt iſt. Ich könnte hierüber allerhand
erzählen, begnüge mich aber mit der Bemerkung, daß ich nicht ſo geizig
bin, es für Diebſtahl zu achten, wenn Einer nicht bei jedem Worte,
das er meinem Buch entnommen, die Anführungszeichen ſetzt, daß aber
wenigſtens diejenigen Züchtigung verdienen, die einen Schriftſteller aus-
ſchreiben und ihm zum Danke dafür bei jeder Gelegenheit einen Stich
verſetzen. Freilich mögen ſich dieſe Unredlichen einer ziemlichen Sicherheit
erfreuen, da ſie wohl wiſſen, daß man ſich ſchwer entſchließt, die
peinliche Mühe einer genauen Conſtatirung des Betrugs durch acten-
mäßigen Nachweis zu übernehmen, und daß ſie, ſo lange man dieß
nicht thut, gegen jede Nennung proteſtiren können. Wenn ich aber
einmal recht viel Zeit übrig habe, gedenke ich doch ein Exempel zu
ſtatuiren. — Ich meines Theils habe mir zur Pflicht gemacht, kein
Wort eines Andern ohne Citat, und zwar, wo ich ſie immer finden

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[VI/0012] ſelbſt der ſtreng wiſſenſchaftliche Charakter rechtfertigt. Der erſte Theil mag zudem von der damaligen Stimmung des Verfaſſers nicht unbe- rührt geblieben ſein: der Vorwurf frivoler Leichtigkeit in der Behandlung der Wiſſenſchaft kann immerhin dazu verleiten, daß man denkt, man wolle einmal zeigen, ob man es nicht auch ſchwer machen könne. — Im Ganzen und Großen bedenke man aber wohl, daß ich durchaus kein populäres Werk ſchreiben wollte. Es gibt eine Gemeinfaßlichkeit edler Art, deren Werth, deren große Wichtigkeit für eine Zeit, zu deren höchſten Aufgaben es gehört, dem Geiſte Schloß und Riegel zu öffnen und ihn in die Maſſen zu verbreiten, ich natürlich nicht beſtreiten will; aber daneben bleibt eine ſtreng eſoteriſche Form der Wiſſenſchaft in ihrem Recht, in ihrer Nothwendigkeit für alle Zukunft ſtehen. Es iſt ein anderes, zweites Geſchäft, die ſtrenge Form zu ſprengen und den Inhalt an möglichſt Viele auszugeben, ein Geſchäft mit anderer Technik, anderen Werkzeugen, und diejenigen, die dem Arbeiter jener innerſten Werkſtätte vorwerfen, daß er in Formeln ſich bewege, die nicht gemein- verſtändlich ſind, kommen mir immer vor, wie Leute, die etwa dem Goldſchmiede vorrückten, daß er nicht der einfachen Hämmer, Zangen, Meiſel u. ſ. w. ſich bediene, wie man ſie in jedem Hauſe braucht und kennt. Das Ausmünzen, Verarbeiten für die Maſſe iſt denn ein ganz ehrenwerthes, verdienſtliches Geſchäft, nur ſoll es auch redlich ſein und geſtehen, woher der Inhalt geholt iſt. Ich könnte hierüber allerhand erzählen, begnüge mich aber mit der Bemerkung, daß ich nicht ſo geizig bin, es für Diebſtahl zu achten, wenn Einer nicht bei jedem Worte, das er meinem Buch entnommen, die Anführungszeichen ſetzt, daß aber wenigſtens diejenigen Züchtigung verdienen, die einen Schriftſteller aus- ſchreiben und ihm zum Danke dafür bei jeder Gelegenheit einen Stich verſetzen. Freilich mögen ſich dieſe Unredlichen einer ziemlichen Sicherheit erfreuen, da ſie wohl wiſſen, daß man ſich ſchwer entſchließt, die peinliche Mühe einer genauen Conſtatirung des Betrugs durch acten- mäßigen Nachweis zu übernehmen, und daß ſie, ſo lange man dieß nicht thut, gegen jede Nennung proteſtiren können. Wenn ich aber einmal recht viel Zeit übrig habe, gedenke ich doch ein Exempel zu ſtatuiren. — Ich meines Theils habe mir zur Pflicht gemacht, kein Wort eines Andern ohne Citat, und zwar, wo ich ſie immer finden

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/12>, abgerufen am 27.11.2024.