der Octave, sondern ein die Quint vorbereitender und die Quintdistanz aus- füllender Vermittlungston, ein Verhältniß, das in dem Namen Dominante für Quint, Mediante für Terz passend ausgedrückt ist. Vergleichen wir diese drei Hauptintervalle, so ist das Octavenintervall einerseits das ein- fachste und faßlichste, andererseits das selbständigste, am meisten in sich befriedigte, sofern der Fortgang von Octave zu Octave nichts Wider- sprechendes, Unbehagliches an sich hat, sondern ganz natürlich und an- sprechend ist; in zweiter Linie steht das Quintenintervall, es ist bei aller Natürlichkeit doch weniger selbständig, weil das Gefühl, nachdem die Quint angeschlagen ist, doch hierauf den Grundton oder seine Octave lieber hört als eine zweite Quint, wie wenn es aus dem durch die Quint gesetzten Unterschied wieder zur Einheit, zum Tone, von dem es ausgegangen, zurück- strebte; in dritter Linie endlich das Terzintervall, sofern es der Quint ähnlich untergeordnet ist wie diese der Octave.
Mit allen diesen Sätzen, welche die unmittelbare musikalische Erfahrung, Beobachtung, Singpraxis an die Hand gibt, treffen nun, zum Beweise, daß hier keine Willkür stattfindet, die Entdeckungen der Physik über die mathe- matischen Verhältnisse dieser Intervalle sehr significant zusammen. Die Octave entsteht, wenn auf 1 Schwingung des untern Tons 2 des obern kommen, wenn z. B. eine Saite um's Doppelte schneller als eine andere ihr sonst gleiche erregt wird; bei der Quint kommen auf 2 Schwingungen unten 3 oben, bei der großen Terz 5 obere auf 4 untere. Bei der Octave also schwingt der obere Ton im Verhältniß zum untern mit 2facher, bei der Quint mit 1 1/2facher Schnelligkeit; in der Octav ist die Dauer der einzelnen obern Schwingung 2 mal, bei der Quint 1 1/2mal kürzer als die der untern. In der Octav kehrt also ganz dasselbe Schwingungsverhältniß wieder, wie bei der Prim, dasselbe nur verdoppelte Schwingungstempo, es ist qualitativ ganz dieselbe Erregung des Gehörorgans, nur um's Doppelte (4fache, 8fache u. s. f.) geschärft. Am nächsten verwandt ist das Schwingungs- und Erregungsverhältniß bei der Quint, indem hier zwar nicht Verdoppelung, aber 1 1/2fache Beschleunigung der Bewegung stattfindet, welche zwischen der einfachen und gedoppelten in der Mitte liegt. Nicht so ganz einfach verhält es sich bei der großen Terz, welche merkwürdiger Weise von den Alten, ja bis tief in's Mittelalter hinein für ein (beim Zusam- menklang) nicht consonirendes Intervall gehalten wurde, während sie uns schlechthin wohlgefällt. Ein so natürlich sich von selbst aufdrängendes Mittelglied, wie die Quint zwischen den beiden Octaventönen, ist sie aller- dings nicht, weder dem acustischen Eindruck noch dem Zahlenverhältniß nach; das Verhältniß 4 : 5 hat keine nähere Analogie zu 2 : 3, wie dieses sie hat zu 2 : 4 (1 : 2); blos die Aehnlichkeit findet statt, daß wie in der Quint den geraden Bewegungszahlen der Octaventöne eine ihnen nächstliegende
Vischer's Aesthetik. 4. Band. 56
der Octave, ſondern ein die Quint vorbereitender und die Quintdiſtanz aus- füllender Vermittlungston, ein Verhältniß, das in dem Namen Dominante für Quint, Mediante für Terz paſſend ausgedrückt iſt. Vergleichen wir dieſe drei Hauptintervalle, ſo iſt das Octavenintervall einerſeits das ein- fachſte und faßlichſte, andererſeits das ſelbſtändigſte, am meiſten in ſich befriedigte, ſofern der Fortgang von Octave zu Octave nichts Wider- ſprechendes, Unbehagliches an ſich hat, ſondern ganz natürlich und an- ſprechend iſt; in zweiter Linie ſteht das Quintenintervall, es iſt bei aller Natürlichkeit doch weniger ſelbſtändig, weil das Gefühl, nachdem die Quint angeſchlagen iſt, doch hierauf den Grundton oder ſeine Octave lieber hört als eine zweite Quint, wie wenn es aus dem durch die Quint geſetzten Unterſchied wieder zur Einheit, zum Tone, von dem es ausgegangen, zurück- ſtrebte; in dritter Linie endlich das Terzintervall, ſofern es der Quint ähnlich untergeordnet iſt wie dieſe der Octave.
Mit allen dieſen Sätzen, welche die unmittelbare muſikaliſche Erfahrung, Beobachtung, Singpraxis an die Hand gibt, treffen nun, zum Beweiſe, daß hier keine Willkür ſtattfindet, die Entdeckungen der Phyſik über die mathe- matiſchen Verhältniſſe dieſer Intervalle ſehr ſignificant zuſammen. Die Octave entſteht, wenn auf 1 Schwingung des untern Tons 2 des obern kommen, wenn z. B. eine Saite um’s Doppelte ſchneller als eine andere ihr ſonſt gleiche erregt wird; bei der Quint kommen auf 2 Schwingungen unten 3 oben, bei der großen Terz 5 obere auf 4 untere. Bei der Octave alſo ſchwingt der obere Ton im Verhältniß zum untern mit 2facher, bei der Quint mit 1 ½facher Schnelligkeit; in der Octav iſt die Dauer der einzelnen obern Schwingung 2 mal, bei der Quint 1 ½mal kürzer als die der untern. In der Octav kehrt alſo ganz daſſelbe Schwingungsverhältniß wieder, wie bei der Prim, daſſelbe nur verdoppelte Schwingungstempo, es iſt qualitativ ganz dieſelbe Erregung des Gehörorgans, nur um’s Doppelte (4fache, 8fache u. ſ. f.) geſchärft. Am nächſten verwandt iſt das Schwingungs- und Erregungsverhältniß bei der Quint, indem hier zwar nicht Verdoppelung, aber 1 ½fache Beſchleunigung der Bewegung ſtattfindet, welche zwiſchen der einfachen und gedoppelten in der Mitte liegt. Nicht ſo ganz einfach verhält es ſich bei der großen Terz, welche merkwürdiger Weiſe von den Alten, ja bis tief in’s Mittelalter hinein für ein (beim Zuſam- menklang) nicht conſonirendes Intervall gehalten wurde, während ſie uns ſchlechthin wohlgefällt. Ein ſo natürlich ſich von ſelbſt aufdrängendes Mittelglied, wie die Quint zwiſchen den beiden Octaventönen, iſt ſie aller- dings nicht, weder dem acuſtiſchen Eindruck noch dem Zahlenverhältniß nach; das Verhältniß 4 : 5 hat keine nähere Analogie zu 2 : 3, wie dieſes ſie hat zu 2 : 4 (1 : 2); blos die Aehnlichkeit findet ſtatt, daß wie in der Quint den geraden Bewegungszahlen der Octaventöne eine ihnen nächſtliegende
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 56
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[855/0093]
der Octave, ſondern ein die Quint vorbereitender und die Quintdiſtanz aus-
füllender Vermittlungston, ein Verhältniß, das in dem Namen Dominante
für Quint, Mediante für Terz paſſend ausgedrückt iſt. Vergleichen wir
dieſe drei Hauptintervalle, ſo iſt das Octavenintervall einerſeits das ein-
fachſte und faßlichſte, andererſeits das ſelbſtändigſte, am meiſten in ſich
befriedigte, ſofern der Fortgang von Octave zu Octave nichts Wider-
ſprechendes, Unbehagliches an ſich hat, ſondern ganz natürlich und an-
ſprechend iſt; in zweiter Linie ſteht das Quintenintervall, es iſt bei aller
Natürlichkeit doch weniger ſelbſtändig, weil das Gefühl, nachdem die Quint
angeſchlagen iſt, doch hierauf den Grundton oder ſeine Octave lieber hört
als eine zweite Quint, wie wenn es aus dem durch die Quint geſetzten
Unterſchied wieder zur Einheit, zum Tone, von dem es ausgegangen, zurück-
ſtrebte; in dritter Linie endlich das Terzintervall, ſofern es der Quint
ähnlich untergeordnet iſt wie dieſe der Octave.
Mit allen dieſen Sätzen, welche die unmittelbare muſikaliſche Erfahrung,
Beobachtung, Singpraxis an die Hand gibt, treffen nun, zum Beweiſe, daß
hier keine Willkür ſtattfindet, die Entdeckungen der Phyſik über die mathe-
matiſchen Verhältniſſe dieſer Intervalle ſehr ſignificant zuſammen. Die
Octave entſteht, wenn auf 1 Schwingung des untern Tons 2 des obern
kommen, wenn z. B. eine Saite um’s Doppelte ſchneller als eine andere
ihr ſonſt gleiche erregt wird; bei der Quint kommen auf 2 Schwingungen
unten 3 oben, bei der großen Terz 5 obere auf 4 untere. Bei der Octave
alſo ſchwingt der obere Ton im Verhältniß zum untern mit 2facher, bei
der Quint mit 1 ½facher Schnelligkeit; in der Octav iſt die Dauer der
einzelnen obern Schwingung 2 mal, bei der Quint 1 ½mal kürzer als die
der untern. In der Octav kehrt alſo ganz daſſelbe Schwingungsverhältniß
wieder, wie bei der Prim, daſſelbe nur verdoppelte Schwingungstempo,
es iſt qualitativ ganz dieſelbe Erregung des Gehörorgans, nur um’s
Doppelte (4fache, 8fache u. ſ. f.) geſchärft. Am nächſten verwandt iſt das
Schwingungs- und Erregungsverhältniß bei der Quint, indem hier zwar
nicht Verdoppelung, aber 1 ½fache Beſchleunigung der Bewegung ſtattfindet,
welche zwiſchen der einfachen und gedoppelten in der Mitte liegt. Nicht ſo
ganz einfach verhält es ſich bei der großen Terz, welche merkwürdiger Weiſe
von den Alten, ja bis tief in’s Mittelalter hinein für ein (beim Zuſam-
menklang) nicht conſonirendes Intervall gehalten wurde, während ſie uns
ſchlechthin wohlgefällt. Ein ſo natürlich ſich von ſelbſt aufdrängendes
Mittelglied, wie die Quint zwiſchen den beiden Octaventönen, iſt ſie aller-
dings nicht, weder dem acuſtiſchen Eindruck noch dem Zahlenverhältniß nach;
das Verhältniß 4 : 5 hat keine nähere Analogie zu 2 : 3, wie dieſes ſie hat
zu 2 : 4 (1 : 2); blos die Aehnlichkeit findet ſtatt, daß wie in der Quint
den geraden Bewegungszahlen der Octaventöne eine ihnen nächſtliegende
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 855. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/93>, abgerufen am 23.11.2024.
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