von der Prosa des gewöhnlichen Lebens zu der Feierlichkeit oder künstlerischen Darstellung, die vor sich gehen soll, sie thut dieß, indem sie ein ihrem Zwecke gemäß eng begrenztes, aber qualitativ um so sprechenderes Bild der Stimmung gibt, welche aus der zu erwartenden Handlung uns entgegen- treten und in welche ebendamit sie selbst uns versetzen wird; auf das Letztere, auf das Hervorrufen der der Handlung entsprechenden subjectiven Stimmung, ist es bei der Festouvertüre, die mehr praktisches Mittel für das Fest selbst ist, auf das Erstere, auf objective Veranschaulichung der der Handlung selbst ihren Charakter gebenden Stimmung, ist es bei der Ouvertüre zum Drama abgesehen (indem wir die zum "Epos" noch bei Seite lassen); jene ist rein lyrisch, diese zugleich oder vorzugsweise dramatisch schildernd, jene steht noch in Einer Kategorie mit Tanz und Marsch, diese aber stellt das Moment des Charakteristischen, des Inhalts so entschieden in den Vordergrund, daß sie über jene Formen bereits weit hinausgreift in das Gebiet des concreten Tongemäldes, das zunächst nicht unmittelbar auf die Stimmung des Hörers einwirken, sondern seiner Phantasie ein Bild einer bestimmten Handlung, d. h. der Stimmung oder der Mannigfaltigkeit von Stimmungen, welche in einer Handlung enthalten sind, entgegenbringen will. Es ließe sich auch eine Ouvertüre zu einem Drama denken, welche die Stimmung wiedergeben wollte, in welche der Zuschauer durch die Handlung und ihren Verlauf versetzt werden wird; aber man bekäme damit nur einen sehr beschränkten Kreis von Ouvertüren, traurige und heitere, tragische und komische, erhebende und rührende; die Ouvertüre würde zu wenig Bestimmtes bieten, sie würde von dem unrichtigen Prinzip ausgehen, als ob es beim Drama nur um eine subjective Stimmung, um Rührung, Ergötzung u. s. w. zu thun wäre; die Ouvertüre muß also objectiv, Charakterbild einer Handlung sein. Dieß vermag sie nun aber allerdings nur dadurch, daß sie die Em- pfindungen, Affecte, Erregungen, Leidenschaften, kurz die Stimmungen malt, von denen die Handlung ausgeht, deren unmittelbares Abbild sie ist, die Stimmungen, in deren Umkreis sie sich bewegt, die in ihr rege werden, in ihr zusammen und auf einander treffen, ebenso für's Zweite solche Stimmungen, die sich innerhalb des Verlaufs der Handlung an einzelnen Orten durch dieses Aufeinandertreffen der Personen mit ihren Affecten, Leidenschaften u. s. w. erzeugen, und für's Dritte die allgemeine Stimmungs- species, unter welche die ganze Handlung durch den in ihr vorherrschenden Stimmungsgehalt sich einreiht. Diese Arten von Stimmungen sind wesentlich zu unterscheiden; die erstern sind die activen Stimmungen, die in einer Handlung agiren und wenn sie auch erst durch sie angeregt sind doch thätig in sie eingreifen, die zweiter Art sind passive Stimmungen, die durch den Gang der Handlung in den Handelnden und Leidenden erzeugt werden, sie sind wiederum lyrisch, das lyrische Resultat des Ganzen, so z. B. die
von der Proſa des gewöhnlichen Lebens zu der Feierlichkeit oder künſtleriſchen Darſtellung, die vor ſich gehen ſoll, ſie thut dieß, indem ſie ein ihrem Zwecke gemäß eng begrenztes, aber qualitativ um ſo ſprechenderes Bild der Stimmung gibt, welche aus der zu erwartenden Handlung uns entgegen- treten und in welche ebendamit ſie ſelbſt uns verſetzen wird; auf das Letztere, auf das Hervorrufen der der Handlung entſprechenden ſubjectiven Stimmung, iſt es bei der Feſtouvertüre, die mehr praktiſches Mittel für das Feſt ſelbſt iſt, auf das Erſtere, auf objective Veranſchaulichung der der Handlung ſelbſt ihren Charakter gebenden Stimmung, iſt es bei der Ouvertüre zum Drama abgeſehen (indem wir die zum „Epos“ noch bei Seite laſſen); jene iſt rein lyriſch, dieſe zugleich oder vorzugsweiſe dramatiſch ſchildernd, jene ſteht noch in Einer Kategorie mit Tanz und Marſch, dieſe aber ſtellt das Moment des Charakteriſtiſchen, des Inhalts ſo entſchieden in den Vordergrund, daß ſie über jene Formen bereits weit hinausgreift in das Gebiet des concreten Tongemäldes, das zunächſt nicht unmittelbar auf die Stimmung des Hörers einwirken, ſondern ſeiner Phantaſie ein Bild einer beſtimmten Handlung, d. h. der Stimmung oder der Mannigfaltigkeit von Stimmungen, welche in einer Handlung enthalten ſind, entgegenbringen will. Es ließe ſich auch eine Ouvertüre zu einem Drama denken, welche die Stimmung wiedergeben wollte, in welche der Zuſchauer durch die Handlung und ihren Verlauf verſetzt werden wird; aber man bekäme damit nur einen ſehr beſchränkten Kreis von Ouvertüren, traurige und heitere, tragiſche und komiſche, erhebende und rührende; die Ouvertüre würde zu wenig Beſtimmtes bieten, ſie würde von dem unrichtigen Prinzip ausgehen, als ob es beim Drama nur um eine ſubjective Stimmung, um Rührung, Ergötzung u. ſ. w. zu thun wäre; die Ouvertüre muß alſo objectiv, Charakterbild einer Handlung ſein. Dieß vermag ſie nun aber allerdings nur dadurch, daß ſie die Em- pfindungen, Affecte, Erregungen, Leidenſchaften, kurz die Stimmungen malt, von denen die Handlung ausgeht, deren unmittelbares Abbild ſie iſt, die Stimmungen, in deren Umkreis ſie ſich bewegt, die in ihr rege werden, in ihr zuſammen und auf einander treffen, ebenſo für’s Zweite ſolche Stimmungen, die ſich innerhalb des Verlaufs der Handlung an einzelnen Orten durch dieſes Aufeinandertreffen der Perſonen mit ihren Affecten, Leidenſchaften u. ſ. w. erzeugen, und für’s Dritte die allgemeine Stimmungs- ſpecies, unter welche die ganze Handlung durch den in ihr vorherrſchenden Stimmungsgehalt ſich einreiht. Dieſe Arten von Stimmungen ſind weſentlich zu unterſcheiden; die erſtern ſind die activen Stimmungen, die in einer Handlung agiren und wenn ſie auch erſt durch ſie angeregt ſind doch thätig in ſie eingreifen, die zweiter Art ſind paſſive Stimmungen, die durch den Gang der Handlung in den Handelnden und Leidenden erzeugt werden, ſie ſind wiederum lyriſch, das lyriſche Reſultat des Ganzen, ſo z. B. die
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[1075/0313]
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Zwecke gemäß eng begrenztes, aber qualitativ um ſo ſprechenderes Bild der
Stimmung gibt, welche aus der zu erwartenden Handlung uns entgegen-
treten und in welche ebendamit ſie ſelbſt uns verſetzen wird; auf das Letztere,
auf das Hervorrufen der der Handlung entſprechenden ſubjectiven Stimmung,
iſt es bei der Feſtouvertüre, die mehr praktiſches Mittel für das Feſt ſelbſt
iſt, auf das Erſtere, auf objective Veranſchaulichung der der Handlung ſelbſt
ihren Charakter gebenden Stimmung, iſt es bei der Ouvertüre zum Drama
abgeſehen (indem wir die zum „Epos“ noch bei Seite laſſen); jene iſt rein
lyriſch, dieſe zugleich oder vorzugsweiſe dramatiſch ſchildernd, jene ſteht noch
in Einer Kategorie mit Tanz und Marſch, dieſe aber ſtellt das Moment
des Charakteriſtiſchen, des Inhalts ſo entſchieden in den Vordergrund, daß
ſie über jene Formen bereits weit hinausgreift in das Gebiet des concreten
Tongemäldes, das zunächſt nicht unmittelbar auf die Stimmung des Hörers
einwirken, ſondern ſeiner Phantaſie ein Bild einer beſtimmten Handlung,
d. h. der Stimmung oder der Mannigfaltigkeit von Stimmungen, welche
in einer Handlung enthalten ſind, entgegenbringen will. Es ließe ſich auch
eine Ouvertüre zu einem Drama denken, welche die Stimmung wiedergeben
wollte, in welche der Zuſchauer durch die Handlung und ihren Verlauf
verſetzt werden wird; aber man bekäme damit nur einen ſehr beſchränkten
Kreis von Ouvertüren, traurige und heitere, tragiſche und komiſche, erhebende
und rührende; die Ouvertüre würde zu wenig Beſtimmtes bieten, ſie würde
von dem unrichtigen Prinzip ausgehen, als ob es beim Drama nur um
eine ſubjective Stimmung, um Rührung, Ergötzung u. ſ. w. zu thun wäre;
die Ouvertüre muß alſo objectiv, Charakterbild einer Handlung
ſein. Dieß vermag ſie nun aber allerdings nur dadurch, daß ſie die Em-
pfindungen, Affecte, Erregungen, Leidenſchaften, kurz die Stimmungen
malt, von denen die Handlung ausgeht, deren unmittelbares Abbild ſie iſt,
die Stimmungen, in deren Umkreis ſie ſich bewegt, die in ihr rege werden,
in ihr zuſammen und auf einander treffen, ebenſo für’s Zweite ſolche
Stimmungen, die ſich innerhalb des Verlaufs der Handlung an einzelnen
Orten durch dieſes Aufeinandertreffen der Perſonen mit ihren Affecten,
Leidenſchaften u. ſ. w. erzeugen, und für’s Dritte die allgemeine Stimmungs-
ſpecies, unter welche die ganze Handlung durch den in ihr vorherrſchenden
Stimmungsgehalt ſich einreiht. Dieſe Arten von Stimmungen ſind weſentlich
zu unterſcheiden; die erſtern ſind die activen Stimmungen, die in einer
Handlung agiren und wenn ſie auch erſt durch ſie angeregt ſind doch thätig
in ſie eingreifen, die zweiter Art ſind paſſive Stimmungen, die durch
den Gang der Handlung in den Handelnden und Leidenden erzeugt werden,
ſie ſind wiederum lyriſch, das lyriſche Reſultat des Ganzen, ſo z. B. die
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1075. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/313>, abgerufen am 21.11.2024.
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