an sich, theils sofern im Gebiet der Instrumentalmusik bei einer die Eigen- thümlichkeit und Grenze des Organs überschreitenden Behandlung doch weniger Unnatur, Willkür und Widerspruch ist, als im Gebiet der von strenger zu- gemessenen Naturbedingungen abhängigen Vocalmusik.
Die Sätze, welche der §. aufstellt, haben den Zweck, dem Instrumental- solospiel, das durch das moderne Virtuosenthum vielfach in Verruf gekommen und neuerdings auch hievon ganz abgesehen von Wagner als höchste Spitze des "Egoismus" sich selbst isolirender Musik gebrandmarkt worden ist, theils sein begründetes Recht zuzusprechen, theils die Schranken zu bezeichnen, innerhalb welcher es sich zu bewegen hat. Vor Allem kann darüber kein Zweifel sein, daß das Solospiel den eigenthümlichen Vorzug hat, der un- mittelbarste Ausdruck der Stimmung des Subjects zu sein, der inner- halb der Instrumentalmusik möglich ist; das einzelne Instrument steht ganz unter der Gewalt seines Spielers und gibt den von ihm beabsichtigten Empfindungsgehalt vollkommen wieder mit einer Leichtigkeit und wechsel- vollen Beweglichkeit, mit einer Feinheit der Nüancirung, die für das Zu- sammenspiel Mehrerer nicht in gleichem Grad erreichbar ist, weil verschiedene Subjecte nie so zur Einheit weder eines kunstvoller bewegten Spieles noch des feinern Stimmungsausdrucks zusammenzugehen vermögen; das In- strumentalsolospiel steht dem unmittelbaren Gefühlsausdruck, dem Lied- und Ariengesange am nächsten und überbietet ihn noch weit durch die Freiheit der Technik; es kann daher so wenig als dieser verworfen werden. Sodann ist es gewiß in Ordnung, wenn der Umstand, daß jedes Instrument gewissen Stimmungskreisen vorzugsweise entspricht, praktisch gemacht, d. h. eine Stimmung auf einem ihr bestentsprechenden Instrument "gesungen" oder kunstreicher "gespielt" wird (S. 980). Die unendliche Mannigfaltigkeit der Stimmungen, Empfindungen, Erregungen verlangt in der Kunst nach adäquaten Ausdrucksmitteln; sind solche nicht da, so sind sie zu suchen; sind sie da, wie eben in den Instrumenten, so wäre es Thorheit, sie nicht in Thätigkeit zu setzen. Nicht jede Stimmung ist für Harmonie oder Orchester da; es gibt auch subjectivere, persönlichere, sowie in sich zurückgezogenere, einfachere, beschränktere, stillere Stimmungen, denen durch Vielstimmigkeit und Polyphonie ein falscher, entweder zu universeller oder zu kräftig voller Ausdruck gegeben würde. Welche Stimmungs-, Erregungskreise den einzelnen Instrumenten vorzugsweise zufallen, geht aus §. 805 u. f. von selbst hervor, und nur darauf ist hier noch hinzuweisen, daß eine strenge Ausschließlichkeit nicht stattfindet, daß vielmehr Lust und Unlust, idealischruhige und pathetischerregte Empfindung im Allgemeinen auf jedem für das Solospiel geeigneten Instrument dargestellt werden können, daß aber andrerseits auf jedem der Stimmungsausdruck wiederum sich eigenthümlich
an ſich, theils ſofern im Gebiet der Inſtrumentalmuſik bei einer die Eigen- thümlichkeit und Grenze des Organs überſchreitenden Behandlung doch weniger Unnatur, Willkür und Widerſpruch iſt, als im Gebiet der von ſtrenger zu- gemeſſenen Naturbedingungen abhängigen Vocalmuſik.
Die Sätze, welche der §. aufſtellt, haben den Zweck, dem Inſtrumental- ſoloſpiel, das durch das moderne Virtuoſenthum vielfach in Verruf gekommen und neuerdings auch hievon ganz abgeſehen von Wagner als höchſte Spitze des „Egoismus“ ſich ſelbſt iſolirender Muſik gebrandmarkt worden iſt, theils ſein begründetes Recht zuzuſprechen, theils die Schranken zu bezeichnen, innerhalb welcher es ſich zu bewegen hat. Vor Allem kann darüber kein Zweifel ſein, daß das Soloſpiel den eigenthümlichen Vorzug hat, der un- mittelbarſte Ausdruck der Stimmung des Subjects zu ſein, der inner- halb der Inſtrumentalmuſik möglich iſt; das einzelne Inſtrument ſteht ganz unter der Gewalt ſeines Spielers und gibt den von ihm beabſichtigten Empfindungsgehalt vollkommen wieder mit einer Leichtigkeit und wechſel- vollen Beweglichkeit, mit einer Feinheit der Nüancirung, die für das Zu- ſammenſpiel Mehrerer nicht in gleichem Grad erreichbar iſt, weil verſchiedene Subjecte nie ſo zur Einheit weder eines kunſtvoller bewegten Spieles noch des feinern Stimmungsausdrucks zuſammenzugehen vermögen; das In- ſtrumentalſoloſpiel ſteht dem unmittelbaren Gefühlsausdruck, dem Lied- und Ariengeſange am nächſten und überbietet ihn noch weit durch die Freiheit der Technik; es kann daher ſo wenig als dieſer verworfen werden. Sodann iſt es gewiß in Ordnung, wenn der Umſtand, daß jedes Inſtrument gewiſſen Stimmungskreiſen vorzugsweiſe entſpricht, praktiſch gemacht, d. h. eine Stimmung auf einem ihr beſtentſprechenden Inſtrument „geſungen“ oder kunſtreicher „geſpielt“ wird (S. 980). Die unendliche Mannigfaltigkeit der Stimmungen, Empfindungen, Erregungen verlangt in der Kunſt nach adäquaten Ausdrucksmitteln; ſind ſolche nicht da, ſo ſind ſie zu ſuchen; ſind ſie da, wie eben in den Inſtrumenten, ſo wäre es Thorheit, ſie nicht in Thätigkeit zu ſetzen. Nicht jede Stimmung iſt für Harmonie oder Orcheſter da; es gibt auch ſubjectivere, perſönlichere, ſowie in ſich zurückgezogenere, einfachere, beſchränktere, ſtillere Stimmungen, denen durch Vielſtimmigkeit und Polyphonie ein falſcher, entweder zu univerſeller oder zu kräftig voller Ausdruck gegeben würde. Welche Stimmungs-, Erregungskreiſe den einzelnen Inſtrumenten vorzugsweiſe zufallen, geht aus §. 805 u. f. von ſelbſt hervor, und nur darauf iſt hier noch hinzuweiſen, daß eine ſtrenge Ausſchließlichkeit nicht ſtattfindet, daß vielmehr Luſt und Unluſt, idealiſchruhige und pathetiſcherregte Empfindung im Allgemeinen auf jedem für das Soloſpiel geeigneten Inſtrument dargeſtellt werden können, daß aber andrerſeits auf jedem der Stimmungsausdruck wiederum ſich eigenthümlich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#fr"><pbfacs="#f0289"n="1051"/>
an ſich, theils ſofern im Gebiet der Inſtrumentalmuſik bei einer die Eigen-<lb/>
thümlichkeit und Grenze des Organs überſchreitenden Behandlung doch weniger<lb/>
Unnatur, Willkür und Widerſpruch iſt, als im Gebiet der von ſtrenger zu-<lb/>
gemeſſenen Naturbedingungen abhängigen Vocalmuſik.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Die Sätze, welche der §. aufſtellt, haben den Zweck, dem Inſtrumental-<lb/>ſoloſpiel, das durch das moderne Virtuoſenthum vielfach in Verruf gekommen<lb/>
und neuerdings auch hievon ganz abgeſehen von Wagner als höchſte Spitze<lb/>
des „Egoismus“ſich ſelbſt iſolirender Muſik gebrandmarkt worden iſt, theils<lb/>ſein begründetes Recht zuzuſprechen, theils die Schranken zu bezeichnen,<lb/>
innerhalb welcher es ſich zu bewegen hat. Vor Allem kann darüber kein<lb/>
Zweifel ſein, daß das Soloſpiel den eigenthümlichen Vorzug hat, der un-<lb/>
mittelbarſte Ausdruck der <hirendition="#g">Stimmung des Subjects</hi> zu ſein, der inner-<lb/>
halb der Inſtrumentalmuſik möglich iſt; das einzelne Inſtrument ſteht ganz<lb/>
unter der Gewalt ſeines Spielers und gibt den von ihm beabſichtigten<lb/>
Empfindungsgehalt vollkommen wieder mit einer Leichtigkeit und wechſel-<lb/>
vollen Beweglichkeit, mit einer Feinheit der Nüancirung, die für das Zu-<lb/>ſammenſpiel Mehrerer nicht in gleichem Grad erreichbar iſt, weil verſchiedene<lb/>
Subjecte nie ſo zur Einheit weder eines kunſtvoller bewegten Spieles noch<lb/>
des feinern Stimmungsausdrucks zuſammenzugehen vermögen; das In-<lb/>ſtrumentalſoloſpiel ſteht dem unmittelbaren Gefühlsausdruck, dem Lied- und<lb/>
Ariengeſange am nächſten und überbietet ihn noch weit durch die Freiheit<lb/>
der Technik; es kann daher ſo wenig als dieſer verworfen werden. Sodann<lb/>
iſt es gewiß in Ordnung, wenn der Umſtand, daß jedes Inſtrument gewiſſen<lb/>
Stimmungskreiſen vorzugsweiſe entſpricht, praktiſch gemacht, d. h. eine<lb/>
Stimmung auf einem ihr beſtentſprechenden Inſtrument „geſungen“ oder<lb/>
kunſtreicher „geſpielt“ wird (S. 980). Die unendliche Mannigfaltigkeit<lb/>
der Stimmungen, Empfindungen, Erregungen verlangt in der Kunſt nach<lb/>
adäquaten Ausdrucksmitteln; ſind ſolche nicht da, ſo ſind ſie zu ſuchen;<lb/>ſind ſie da, wie eben in den Inſtrumenten, ſo wäre es Thorheit, ſie nicht<lb/>
in Thätigkeit zu ſetzen. Nicht jede Stimmung iſt für Harmonie oder<lb/>
Orcheſter da; es gibt auch <hirendition="#g">ſubjectivere</hi>, perſönlichere, ſowie in ſich<lb/>
zurückgezogenere, <hirendition="#g">einfachere</hi>, beſchränktere, ſtillere Stimmungen, denen<lb/>
durch Vielſtimmigkeit und Polyphonie ein falſcher, entweder zu univerſeller<lb/>
oder zu kräftig voller Ausdruck gegeben würde. Welche Stimmungs-,<lb/>
Erregungskreiſe den einzelnen Inſtrumenten vorzugsweiſe zufallen, geht aus<lb/>
§. 805 u. f. von ſelbſt hervor, und nur darauf iſt hier noch hinzuweiſen, daß<lb/>
eine ſtrenge Ausſchließlichkeit nicht ſtattfindet, daß vielmehr Luſt und Unluſt,<lb/>
idealiſchruhige und pathetiſcherregte Empfindung im Allgemeinen auf jedem<lb/>
für das Soloſpiel geeigneten Inſtrument dargeſtellt werden können, daß aber<lb/>
andrerſeits auf jedem der Stimmungsausdruck wiederum ſich eigenthümlich<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1051/0289]
an ſich, theils ſofern im Gebiet der Inſtrumentalmuſik bei einer die Eigen-
thümlichkeit und Grenze des Organs überſchreitenden Behandlung doch weniger
Unnatur, Willkür und Widerſpruch iſt, als im Gebiet der von ſtrenger zu-
gemeſſenen Naturbedingungen abhängigen Vocalmuſik.
Die Sätze, welche der §. aufſtellt, haben den Zweck, dem Inſtrumental-
ſoloſpiel, das durch das moderne Virtuoſenthum vielfach in Verruf gekommen
und neuerdings auch hievon ganz abgeſehen von Wagner als höchſte Spitze
des „Egoismus“ ſich ſelbſt iſolirender Muſik gebrandmarkt worden iſt, theils
ſein begründetes Recht zuzuſprechen, theils die Schranken zu bezeichnen,
innerhalb welcher es ſich zu bewegen hat. Vor Allem kann darüber kein
Zweifel ſein, daß das Soloſpiel den eigenthümlichen Vorzug hat, der un-
mittelbarſte Ausdruck der Stimmung des Subjects zu ſein, der inner-
halb der Inſtrumentalmuſik möglich iſt; das einzelne Inſtrument ſteht ganz
unter der Gewalt ſeines Spielers und gibt den von ihm beabſichtigten
Empfindungsgehalt vollkommen wieder mit einer Leichtigkeit und wechſel-
vollen Beweglichkeit, mit einer Feinheit der Nüancirung, die für das Zu-
ſammenſpiel Mehrerer nicht in gleichem Grad erreichbar iſt, weil verſchiedene
Subjecte nie ſo zur Einheit weder eines kunſtvoller bewegten Spieles noch
des feinern Stimmungsausdrucks zuſammenzugehen vermögen; das In-
ſtrumentalſoloſpiel ſteht dem unmittelbaren Gefühlsausdruck, dem Lied- und
Ariengeſange am nächſten und überbietet ihn noch weit durch die Freiheit
der Technik; es kann daher ſo wenig als dieſer verworfen werden. Sodann
iſt es gewiß in Ordnung, wenn der Umſtand, daß jedes Inſtrument gewiſſen
Stimmungskreiſen vorzugsweiſe entſpricht, praktiſch gemacht, d. h. eine
Stimmung auf einem ihr beſtentſprechenden Inſtrument „geſungen“ oder
kunſtreicher „geſpielt“ wird (S. 980). Die unendliche Mannigfaltigkeit
der Stimmungen, Empfindungen, Erregungen verlangt in der Kunſt nach
adäquaten Ausdrucksmitteln; ſind ſolche nicht da, ſo ſind ſie zu ſuchen;
ſind ſie da, wie eben in den Inſtrumenten, ſo wäre es Thorheit, ſie nicht
in Thätigkeit zu ſetzen. Nicht jede Stimmung iſt für Harmonie oder
Orcheſter da; es gibt auch ſubjectivere, perſönlichere, ſowie in ſich
zurückgezogenere, einfachere, beſchränktere, ſtillere Stimmungen, denen
durch Vielſtimmigkeit und Polyphonie ein falſcher, entweder zu univerſeller
oder zu kräftig voller Ausdruck gegeben würde. Welche Stimmungs-,
Erregungskreiſe den einzelnen Inſtrumenten vorzugsweiſe zufallen, geht aus
§. 805 u. f. von ſelbſt hervor, und nur darauf iſt hier noch hinzuweiſen, daß
eine ſtrenge Ausſchließlichkeit nicht ſtattfindet, daß vielmehr Luſt und Unluſt,
idealiſchruhige und pathetiſcherregte Empfindung im Allgemeinen auf jedem
für das Soloſpiel geeigneten Inſtrument dargeſtellt werden können, daß aber
andrerſeits auf jedem der Stimmungsausdruck wiederum ſich eigenthümlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1051. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/289>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.