Ideales, hereintretend in die gewöhnliche Realität, unbeirrt durch sie hin- durchschreitend, unbedingt über sie übergreifend, was aus der Orgel uns entgegenzutönen scheint. Verstärkt wird dieser Eindruck der Idealität durch das schlechthin Mühelose ihrer Töne, das mit ihrer Construction gegeben ist, es ist kein Aufwand subjectiver Anstrengung, kein bloßes Streben nach Kraft, sondern die reine, volle, in majestätischer Hoheit oder lieblicher Ruhe sich äußernde, sich objectiv darstellende Kraft selbst, daher eben das eigent- lich Hohe sowie das von allem Drängenden, Pathetischen durchaus freie, ruhig an uns herankommende Liebliche der Orgel vorzugsweise eigen ist. Allein auch abgesehen von der Kraft hat die Orgel etwas Außergewöhn- liches, Transscendentobjectives. Es vollendet sich erst in ihr der Begriff des Instruments als objectiven Musikorgans in seinem reinen Ge- gensatze zur Menschenstimme; die Blasinstrumente sind eigentlich nur Er- weiterungen und Variationen der letztern selbst, die Saiteninstrumente haben mit ihr dieß ganz gemein, daß ihr Ton durch ein Ansetzen eines vom menschlichen Willen geleiteten Organes, wie dort des Mundes, so hier der Hand, entsteht; in der Orgel aber tönt endlich die, freilich durch menschliche Kunst dafür zubereitete, Materie selbst, ihre Töne sind nicht mehr subjectiv, in ihr erklingt Weltstoff durch Weltkraft in Bewegung gesetzt, in ihr ist die Musik ganz in's Gebiet der außermenschlichen Objectivität hinausverlegt, das Uni- versum redet aus ihr musikalisch, und sie ist daher auch eines ganz andern Eindrucks fähig als die übrigen Organe, des Eindrucks nicht eines subjectiv menschlichen, sondern eines objectiven, der Subjectivität vorausgehenden, an sie herankommenden, sie durchdringenden, sie aus sich heraus versetzenden, sie zum Object hinan hebenden Inhalts; sie ist das rechte Organ für eine Musik, aus welcher dem Menschen ein Höheres als er selbst, ein Ansich- seiendes, Substantielles, Universales entgegentönen soll. Die Objectivität der Orgel ist nach dieser Seite gegenüber der nur relativen des Claviers eine so absolute, daß hier beide Instrumente den völligsten Contrast bilden; wie das Clavier das Organ ist für die Subjectivität der freien musikalischen Phantasie, so die Orgel für die gebundene Phantasie, d. h. für die von einem objectiven Inhalt erfüllte, diesen objectiven Inhalt (sei es nun etwas Ideales, Religiöses oder mehr formell die Macht der Harmonie, der Reich- thum der Polyphonie u. s. w.) zur Darstellung bringenwollende Phantasie; empirisch ist natürlich ein freies Phantasiren auch auf der Orgel möglich, aber wenn es blos dieses ist, so ist es eben keine Orgelphantasie, sondern widerspricht selbst bei der eminentesten Technik dem Charakter des Instru- ments; denn seine Töne sind nun einmal nicht subjectiv gesetzte, sondern selbständige, durch das Subject nur zur Ansprache gebrachte Klangrealitäten, seine ganze Construction ist von der Art, daß durch sie die subjective Kraft und Freiheit eben in ihrer Kleinheit, Beschränktheit und Gebundenheit erscheint,
Ideales, hereintretend in die gewöhnliche Realität, unbeirrt durch ſie hin- durchſchreitend, unbedingt über ſie übergreifend, was aus der Orgel uns entgegenzutönen ſcheint. Verſtärkt wird dieſer Eindruck der Idealität durch das ſchlechthin Müheloſe ihrer Töne, das mit ihrer Conſtruction gegeben iſt, es iſt kein Aufwand ſubjectiver Anſtrengung, kein bloßes Streben nach Kraft, ſondern die reine, volle, in majeſtätiſcher Hoheit oder lieblicher Ruhe ſich äußernde, ſich objectiv darſtellende Kraft ſelbſt, daher eben das eigent- lich Hohe ſowie das von allem Drängenden, Pathetiſchen durchaus freie, ruhig an uns herankommende Liebliche der Orgel vorzugsweiſe eigen iſt. Allein auch abgeſehen von der Kraft hat die Orgel etwas Außergewöhn- liches, Transſcendentobjectives. Es vollendet ſich erſt in ihr der Begriff des Inſtruments als objectiven Muſikorgans in ſeinem reinen Ge- genſatze zur Menſchenſtimme; die Blasinſtrumente ſind eigentlich nur Er- weiterungen und Variationen der letztern ſelbſt, die Saiteninſtrumente haben mit ihr dieß ganz gemein, daß ihr Ton durch ein Anſetzen eines vom menſchlichen Willen geleiteten Organes, wie dort des Mundes, ſo hier der Hand, entſteht; in der Orgel aber tönt endlich die, freilich durch menſchliche Kunſt dafür zubereitete, Materie ſelbſt, ihre Töne ſind nicht mehr ſubjectiv, in ihr erklingt Weltſtoff durch Weltkraft in Bewegung geſetzt, in ihr iſt die Muſik ganz in’s Gebiet der außermenſchlichen Objectivität hinausverlegt, das Uni- verſum redet aus ihr muſikaliſch, und ſie iſt daher auch eines ganz andern Eindrucks fähig als die übrigen Organe, des Eindrucks nicht eines ſubjectiv menſchlichen, ſondern eines objectiven, der Subjectivität vorausgehenden, an ſie herankommenden, ſie durchdringenden, ſie aus ſich heraus verſetzenden, ſie zum Object hinan hebenden Inhalts; ſie iſt das rechte Organ für eine Muſik, aus welcher dem Menſchen ein Höheres als er ſelbſt, ein Anſich- ſeiendes, Subſtantielles, Univerſales entgegentönen ſoll. Die Objectivität der Orgel iſt nach dieſer Seite gegenüber der nur relativen des Claviers eine ſo abſolute, daß hier beide Inſtrumente den völligſten Contraſt bilden; wie das Clavier das Organ iſt für die Subjectivität der freien muſikaliſchen Phantaſie, ſo die Orgel für die gebundene Phantaſie, d. h. für die von einem objectiven Inhalt erfüllte, dieſen objectiven Inhalt (ſei es nun etwas Ideales, Religiöſes oder mehr formell die Macht der Harmonie, der Reich- thum der Polyphonie u. ſ. w.) zur Darſtellung bringenwollende Phantaſie; empiriſch iſt natürlich ein freies Phantaſiren auch auf der Orgel möglich, aber wenn es blos dieſes iſt, ſo iſt es eben keine Orgelphantaſie, ſondern widerſpricht ſelbſt bei der eminenteſten Technik dem Charakter des Inſtru- ments; denn ſeine Töne ſind nun einmal nicht ſubjectiv geſetzte, ſondern ſelbſtändige, durch das Subject nur zur Anſprache gebrachte Klangrealitäten, ſeine ganze Conſtruction iſt von der Art, daß durch ſie die ſubjective Kraft und Freiheit eben in ihrer Kleinheit, Beſchränktheit und Gebundenheit erſcheint,
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Ideales, hereintretend in die gewöhnliche Realität, unbeirrt durch ſie hin-
durchſchreitend, unbedingt über ſie übergreifend, was aus der Orgel uns
entgegenzutönen ſcheint. Verſtärkt wird dieſer Eindruck der Idealität durch
das ſchlechthin Müheloſe ihrer Töne, das mit ihrer Conſtruction gegeben
iſt, es iſt kein Aufwand ſubjectiver Anſtrengung, kein bloßes Streben nach
Kraft, ſondern die reine, volle, in majeſtätiſcher Hoheit oder lieblicher Ruhe
ſich äußernde, ſich objectiv darſtellende Kraft ſelbſt, daher eben das eigent-
lich Hohe ſowie das von allem Drängenden, Pathetiſchen durchaus freie,
ruhig an uns herankommende Liebliche der Orgel vorzugsweiſe eigen iſt.
Allein auch abgeſehen von der Kraft hat die Orgel etwas Außergewöhn-
liches, Transſcendentobjectives. Es vollendet ſich erſt in ihr der
Begriff des Inſtruments als objectiven Muſikorgans in ſeinem reinen Ge-
genſatze zur Menſchenſtimme; die Blasinſtrumente ſind eigentlich nur Er-
weiterungen und Variationen der letztern ſelbſt, die Saiteninſtrumente haben
mit ihr dieß ganz gemein, daß ihr Ton durch ein Anſetzen eines vom
menſchlichen Willen geleiteten Organes, wie dort des Mundes, ſo hier der
Hand, entſteht; in der Orgel aber tönt endlich die, freilich durch menſchliche
Kunſt dafür zubereitete, Materie ſelbſt, ihre Töne ſind nicht mehr ſubjectiv, in ihr
erklingt Weltſtoff durch Weltkraft in Bewegung geſetzt, in ihr iſt die Muſik
ganz in’s Gebiet der außermenſchlichen Objectivität hinausverlegt, das Uni-
verſum redet aus ihr muſikaliſch, und ſie iſt daher auch eines ganz andern
Eindrucks fähig als die übrigen Organe, des Eindrucks nicht eines ſubjectiv
menſchlichen, ſondern eines objectiven, der Subjectivität vorausgehenden,
an ſie herankommenden, ſie durchdringenden, ſie aus ſich heraus verſetzenden,
ſie zum Object hinan hebenden Inhalts; ſie iſt das rechte Organ für eine
Muſik, aus welcher dem Menſchen ein Höheres als er ſelbſt, ein Anſich-
ſeiendes, Subſtantielles, Univerſales entgegentönen ſoll. Die Objectivität
der Orgel iſt nach dieſer Seite gegenüber der nur relativen des Claviers
eine ſo abſolute, daß hier beide Inſtrumente den völligſten Contraſt bilden;
wie das Clavier das Organ iſt für die Subjectivität der freien muſikaliſchen
Phantaſie, ſo die Orgel für die gebundene Phantaſie, d. h. für die von
einem objectiven Inhalt erfüllte, dieſen objectiven Inhalt (ſei es nun etwas
Ideales, Religiöſes oder mehr formell die Macht der Harmonie, der Reich-
thum der Polyphonie u. ſ. w.) zur Darſtellung bringenwollende Phantaſie;
empiriſch iſt natürlich ein freies Phantaſiren auch auf der Orgel möglich,
aber wenn es blos dieſes iſt, ſo iſt es eben keine Orgelphantaſie, ſondern
widerſpricht ſelbſt bei der eminenteſten Technik dem Charakter des Inſtru-
ments; denn ſeine Töne ſind nun einmal nicht ſubjectiv geſetzte, ſondern
ſelbſtändige, durch das Subject nur zur Anſprache gebrachte Klangrealitäten,
ſeine ganze Conſtruction iſt von der Art, daß durch ſie die ſubjective Kraft und
Freiheit eben in ihrer Kleinheit, Beſchränktheit und Gebundenheit erſcheint,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1043. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/281>, abgerufen am 22.11.2024.
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