sein. Das Bewußtsein ist der Act, wodurch das Subject in klarer Gegen- überstellung sein Ich und das von außen gegebene Object auseinanderhält und in der Unterscheidung zugleich zusammenfaßt. Es erwacht an der Hand der sinnlichen Wahrnehmung, d. h. insbesondere an der Thätigkeit des Ge- sichtsinnes, denn dieser ist es, der Grenzen aufzeigt und die Raumvorstellung vermittelt, welche die nächste Bedingung jenes unterscheidenden Actes ist; wogegen die Sinne, welche auf unmittelbarer Berührung mit dem Gegen- stand und seiner Auflösung und Verflüchtigung beruhen: Tastsinn, Geruch und Geschmack, als Sinne der nicht unterscheidenden unmittelbaren Empfin- dung tiefer im Gebiete der reinen, dunkeln Sinnlichkeit liegen. Nur der Tastsinn, sofern er uns durch den Stoß auf das Feste überhaupt von Körpern überzeugt, hat näheren Antheil an jener Bedeutung des Gesichtsinns. Das Bewußtsein ist nun wohl klare, geistige Gegenüberstellung und Zusammen- greifung des Subjects und Objects, aber noch kein Act höherer Einheits- bildung. Das Ich geht noch nicht in sich, um sich als das wahrhaft Thätige in diesem Acte zu erfassen, sondern erscheint sich nur in und mit dem Ob- jecte, das ihm ein von außen gegebenes ist; es ist Antithese mit blos äußer- licher Synthese, denn es bleibt ganz unentwickelt, ob in der Synthese das Ich nur ein Aufnehmendes oder vielmehr ein wahrhaft Thätiges sei, ganz ähnlich, wie im physischen Sehen ohne Zutritt des Denkens die positive Thätigkeit des Auges unbewußt vor sich geht und der Gegenstand einfach diesem Organe sich zu geben scheint. Den Begriff der Antithese mit unvoll- kommener Synthese haben wir in d. Anm. zu §. 746 schon auf das Ver- halten des Geistes in der bildenden Kunst angewandt, und wirklich steht diese, obwohl mit unendlichem Gehalt erfüllt, noch auf dem Standpuncte des bloßen Bewußtseins. Wir kommen darauf zurück. -- Das Selbstbe- wußtsein dagegen ist der absolute Act der Reflexion des Ich auf sich selbst, in welchem die Antithese gegen ein von außen gegebenes Object nebst der blos äußerlichen Synthese abgeworfen und so das Ich nur sein eigenes Object ist. Daß in dem Ich, wiefern es in dieser Einheit des Unterschiedenen Object ist, die ganze Welt der eigentlichen Objecte eingeschlossen liegt, daß das Ich die unentfaltete Welteinheit ist, dieß bleibt in dem abstracten Uract des Geistes, den wir Selbstbewußtsein nennen, noch unerschlossen, als bloße Möglichkeit zurückgehalten. In der That kann das Universum nicht anders begriffen werden, denn als ein in unendlichem Ueberbau von Formen auf Formen sich wiederholendes Auseinanderlegen, Zusammenfassen und In- einanderschieben, Wieder-Auseinanderlegen und Ineinsbilden eines ewig geeinigten Gegensatzes von zwei Gliedern, die wir je nach der Form und Stufe verschieden, schließlich aber als Subject und Object bezeichnen. Im Selbstbewußtsein ist diese gegensätzliche Weltbewegung in die einfache Einheit des nur sich selbst in sich gegenübertretenden Ich zusammengespannt. Soll
ſein. Das Bewußtſein iſt der Act, wodurch das Subject in klarer Gegen- überſtellung ſein Ich und das von außen gegebene Object auseinanderhält und in der Unterſcheidung zugleich zuſammenfaßt. Es erwacht an der Hand der ſinnlichen Wahrnehmung, d. h. insbeſondere an der Thätigkeit des Ge- ſichtſinnes, denn dieſer iſt es, der Grenzen aufzeigt und die Raumvorſtellung vermittelt, welche die nächſte Bedingung jenes unterſcheidenden Actes iſt; wogegen die Sinne, welche auf unmittelbarer Berührung mit dem Gegen- ſtand und ſeiner Auflöſung und Verflüchtigung beruhen: Taſtſinn, Geruch und Geſchmack, als Sinne der nicht unterſcheidenden unmittelbaren Empfin- dung tiefer im Gebiete der reinen, dunkeln Sinnlichkeit liegen. Nur der Taſtſinn, ſofern er uns durch den Stoß auf das Feſte überhaupt von Körpern überzeugt, hat näheren Antheil an jener Bedeutung des Geſichtſinns. Das Bewußtſein iſt nun wohl klare, geiſtige Gegenüberſtellung und Zuſammen- greifung des Subjects und Objects, aber noch kein Act höherer Einheits- bildung. Das Ich geht noch nicht in ſich, um ſich als das wahrhaft Thätige in dieſem Acte zu erfaſſen, ſondern erſcheint ſich nur in und mit dem Ob- jecte, das ihm ein von außen gegebenes iſt; es iſt Antitheſe mit blos äußer- licher Syntheſe, denn es bleibt ganz unentwickelt, ob in der Syntheſe das Ich nur ein Aufnehmendes oder vielmehr ein wahrhaft Thätiges ſei, ganz ähnlich, wie im phyſiſchen Sehen ohne Zutritt des Denkens die poſitive Thätigkeit des Auges unbewußt vor ſich geht und der Gegenſtand einfach dieſem Organe ſich zu geben ſcheint. Den Begriff der Antitheſe mit unvoll- kommener Syntheſe haben wir in d. Anm. zu §. 746 ſchon auf das Ver- halten des Geiſtes in der bildenden Kunſt angewandt, und wirklich ſteht dieſe, obwohl mit unendlichem Gehalt erfüllt, noch auf dem Standpuncte des bloßen Bewußtſeins. Wir kommen darauf zurück. — Das Selbſtbe- wußtſein dagegen iſt der abſolute Act der Reflexion des Ich auf ſich ſelbſt, in welchem die Antitheſe gegen ein von außen gegebenes Object nebſt der blos äußerlichen Syntheſe abgeworfen und ſo das Ich nur ſein eigenes Object iſt. Daß in dem Ich, wiefern es in dieſer Einheit des Unterſchiedenen Object iſt, die ganze Welt der eigentlichen Objecte eingeſchloſſen liegt, daß das Ich die unentfaltete Welteinheit iſt, dieß bleibt in dem abſtracten Uract des Geiſtes, den wir Selbſtbewußtſein nennen, noch unerſchloſſen, als bloße Möglichkeit zurückgehalten. In der That kann das Univerſum nicht anders begriffen werden, denn als ein in unendlichem Ueberbau von Formen auf Formen ſich wiederholendes Auseinanderlegen, Zuſammenfaſſen und In- einanderſchieben, Wieder-Auseinanderlegen und Ineinsbilden eines ewig geeinigten Gegenſatzes von zwei Gliedern, die wir je nach der Form und Stufe verſchieden, ſchließlich aber als Subject und Object bezeichnen. Im Selbſtbewußtſein iſt dieſe gegenſätzliche Weltbewegung in die einfache Einheit des nur ſich ſelbſt in ſich gegenübertretenden Ich zuſammengeſpannt. Soll
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ſein. Das Bewußtſein iſt der Act, wodurch das Subject in klarer Gegen-
überſtellung ſein Ich und das von außen gegebene Object auseinanderhält
und in der Unterſcheidung zugleich zuſammenfaßt. Es erwacht an der Hand
der ſinnlichen Wahrnehmung, d. h. insbeſondere an der Thätigkeit des Ge-
ſichtſinnes, denn dieſer iſt es, der Grenzen aufzeigt und die Raumvorſtellung
vermittelt, welche die nächſte Bedingung jenes unterſcheidenden Actes iſt;
wogegen die Sinne, welche auf unmittelbarer Berührung mit dem Gegen-
ſtand und ſeiner Auflöſung und Verflüchtigung beruhen: Taſtſinn, Geruch
und Geſchmack, als Sinne der nicht unterſcheidenden unmittelbaren Empfin-
dung tiefer im Gebiete der reinen, dunkeln Sinnlichkeit liegen. Nur der
Taſtſinn, ſofern er uns durch den Stoß auf das Feſte überhaupt von Körpern
überzeugt, hat näheren Antheil an jener Bedeutung des Geſichtſinns. Das
Bewußtſein iſt nun wohl klare, geiſtige Gegenüberſtellung und Zuſammen-
greifung des Subjects und Objects, aber noch kein Act höherer Einheits-
bildung. Das Ich geht noch nicht in ſich, um ſich als das wahrhaft Thätige
in dieſem Acte zu erfaſſen, ſondern erſcheint ſich nur in und mit dem Ob-
jecte, das ihm ein von außen gegebenes iſt; es iſt Antitheſe mit blos äußer-
licher Syntheſe, denn es bleibt ganz unentwickelt, ob in der Syntheſe das
Ich nur ein Aufnehmendes oder vielmehr ein wahrhaft Thätiges ſei, ganz
ähnlich, wie im phyſiſchen Sehen ohne Zutritt des Denkens die poſitive
Thätigkeit des Auges unbewußt vor ſich geht und der Gegenſtand einfach
dieſem Organe ſich zu geben ſcheint. Den Begriff der Antitheſe mit unvoll-
kommener Syntheſe haben wir in d. Anm. zu §. 746 ſchon auf das Ver-
halten des Geiſtes in der bildenden Kunſt angewandt, und wirklich ſteht
dieſe, obwohl mit unendlichem Gehalt erfüllt, noch auf dem Standpuncte
des bloßen Bewußtſeins. Wir kommen darauf zurück. — Das Selbſtbe-
wußtſein dagegen iſt der abſolute Act der Reflexion des Ich auf ſich ſelbſt,
in welchem die Antitheſe gegen ein von außen gegebenes Object nebſt der
blos äußerlichen Syntheſe abgeworfen und ſo das Ich nur ſein eigenes
Object iſt. Daß in dem Ich, wiefern es in dieſer Einheit des Unterſchiedenen
Object iſt, die ganze Welt der eigentlichen Objecte eingeſchloſſen liegt, daß
das Ich die unentfaltete Welteinheit iſt, dieß bleibt in dem abſtracten Uract
des Geiſtes, den wir Selbſtbewußtſein nennen, noch unerſchloſſen, als bloße
Möglichkeit zurückgehalten. In der That kann das Univerſum nicht anders
begriffen werden, denn als ein in unendlichem Ueberbau von Formen auf
Formen ſich wiederholendes Auseinanderlegen, Zuſammenfaſſen und In-
einanderſchieben, Wieder-Auseinanderlegen und Ineinsbilden eines ewig
geeinigten Gegenſatzes von zwei Gliedern, die wir je nach der Form und
Stufe verſchieden, ſchließlich aber als Subject und Object bezeichnen. Im
Selbſtbewußtſein iſt dieſe gegenſätzliche Weltbewegung in die einfache Einheit
des nur ſich ſelbſt in ſich gegenübertretenden Ich zuſammengeſpannt. Soll
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 781. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/19>, abgerufen am 22.11.2024.
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