Verwandt mit der Quint, aber zugleich wieder von besonderer Bedeu- tung, ist zunächst die (große) Terz. Sie eröffnet zwar nicht eine neue Reihe wie die Quint, sie gliedert die Reihe nicht direct, sondern blos mit- telbar durch die ihr zukommende Wichtigkeit, in Folge welcher sie eine wesentliche Tonstufe der normalen Tonreihe ist und ihr nicht fehlen darf. Ihre Hauptbedeutung ist eine ausfüllende; sie bietet eine nicht nur erleich- ternde, sondern eine wesentlich befriedigende, ja unentbehrliche Mittelstufe dar für den Uebergang von Prim zu Quint, der an sich bei aller Natür- lichkeit, die wir ihm zuerkennen müssen, eben doch, wenn gleich weit weniger als der von Octave zu Octave, immer noch ein Sprung ist und bleibt. Die Terz erst gewährt beim Auf- und Abgehen auf den Hauptintervallen der Tonreihe eine wahrhaft concrete Vermittlung; während bei längerem Auf- und Absteigen blos auf Grundton und Dominante doch wieder eine allzu einfache, einförmige, nichtssagende, leere, unnatürlich hüpfende Ton- folge entsteht, so wird dagegen durch Hinzunahme der Terz dieses Auf- und Absteigen ein zwar auch noch ganz simples und klares, aber doch zu- gleich natürlich vermitteltes, volllautendes, nirgends eine Lücke fühlen lassen- des Auf- und Abwärtssichbewegen, das ebendarum an sich selbst bereits musikalisch schön, bereits vollkommen ansprechender Wohllaut, das erste wohllautende Intervallverhältniß ist; wie die Octave, so ist auch die Quinte immer noch ein gar zu einfaches Tonverhältniß, Octav und Quint sind natürlich, aber sie sind nicht concret genug; concret wird alle Musik erst mit dem Terzintervall. Die große Terz steht aber auch, von dieser ihrer vermittelnden Bedeutung abgesehen, namentlich zum Grundton in einer Beziehung, die sie nicht minder wichtig macht. Es kann zwar mit ihr, wenn sie in die untere Octave verlegt ist, nicht so treffend wie mit der Dominante der Grundton von unten her eingeleitet werden, weil nur die Dominante unmittelbar und bestimmt auf den Haupt- ton gebieterisch hinweist. Wohl aber kann die Terz von oben her dem Grundton vorangeschickt oder mit ihr geradezu sowohl angefangen als ge- schlossen werden. Der Anfang mit der Terz macht einen ähnlichen, nur natürlichern und ruhigern Eindruck wie der mit der Quint, den Eindruck, daß man alsbald auf einen höhern Punct, als man eigentlich erwartete, gehoben wird, also wieder den des Freien, des Gehobenen, des nachdrücklich Hervortretenden; am Schluß hat auch sie, jedoch mit demselben Unterschied von der Quint wie vorhin und daher weit häufiger als diese anwendbar, die Wirkung des Nichtabschließenden, weniger Bestimmten, des Schweben- den, romantisch Verklingenden, Sehnsuchts- und Erwartungsvollen, des Hinausweisens in unbestimmte Fernen, es ist ein Schluß und ist doch keiner, es ist ein Stillhalten auf einer Stufe, die zur Höhe emporführt, von welcher es uns nach oben zieht und auf der wir doch wider Willen fest-
Verwandt mit der Quint, aber zugleich wieder von beſonderer Bedeu- tung, iſt zunächſt die (große) Terz. Sie eröffnet zwar nicht eine neue Reihe wie die Quint, ſie gliedert die Reihe nicht direct, ſondern blos mit- telbar durch die ihr zukommende Wichtigkeit, in Folge welcher ſie eine weſentliche Tonſtufe der normalen Tonreihe iſt und ihr nicht fehlen darf. Ihre Hauptbedeutung iſt eine ausfüllende; ſie bietet eine nicht nur erleich- ternde, ſondern eine weſentlich befriedigende, ja unentbehrliche Mittelſtufe dar für den Uebergang von Prim zu Quint, der an ſich bei aller Natür- lichkeit, die wir ihm zuerkennen müſſen, eben doch, wenn gleich weit weniger als der von Octave zu Octave, immer noch ein Sprung iſt und bleibt. Die Terz erſt gewährt beim Auf- und Abgehen auf den Hauptintervallen der Tonreihe eine wahrhaft concrete Vermittlung; während bei längerem Auf- und Abſteigen blos auf Grundton und Dominante doch wieder eine allzu einfache, einförmige, nichtsſagende, leere, unnatürlich hüpfende Ton- folge entſteht, ſo wird dagegen durch Hinzunahme der Terz dieſes Auf- und Abſteigen ein zwar auch noch ganz ſimples und klares, aber doch zu- gleich natürlich vermitteltes, volllautendes, nirgends eine Lücke fühlen laſſen- des Auf- und Abwärtsſichbewegen, das ebendarum an ſich ſelbſt bereits muſikaliſch ſchön, bereits vollkommen anſprechender Wohllaut, das erſte wohllautende Intervallverhältniß iſt; wie die Octave, ſo iſt auch die Quinte immer noch ein gar zu einfaches Tonverhältniß, Octav und Quint ſind natürlich, aber ſie ſind nicht concret genug; concret wird alle Muſik erſt mit dem Terzintervall. Die große Terz ſteht aber auch, von dieſer ihrer vermittelnden Bedeutung abgeſehen, namentlich zum Grundton in einer Beziehung, die ſie nicht minder wichtig macht. Es kann zwar mit ihr, wenn ſie in die untere Octave verlegt iſt, nicht ſo treffend wie mit der Dominante der Grundton von unten her eingeleitet werden, weil nur die Dominante unmittelbar und beſtimmt auf den Haupt- ton gebieteriſch hinweist. Wohl aber kann die Terz von oben her dem Grundton vorangeſchickt oder mit ihr geradezu ſowohl angefangen als ge- ſchloſſen werden. Der Anfang mit der Terz macht einen ähnlichen, nur natürlichern und ruhigern Eindruck wie der mit der Quint, den Eindruck, daß man alsbald auf einen höhern Punct, als man eigentlich erwartete, gehoben wird, alſo wieder den des Freien, des Gehobenen, des nachdrücklich Hervortretenden; am Schluß hat auch ſie, jedoch mit demſelben Unterſchied von der Quint wie vorhin und daher weit häufiger als dieſe anwendbar, die Wirkung des Nichtabſchließenden, weniger Beſtimmten, des Schweben- den, romantiſch Verklingenden, Sehnſuchts- und Erwartungsvollen, des Hinausweiſens in unbeſtimmte Fernen, es iſt ein Schluß und iſt doch keiner, es iſt ein Stillhalten auf einer Stufe, die zur Höhe emporführt, von welcher es uns nach oben zieht und auf der wir doch wider Willen feſt-
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[862/0100]
Verwandt mit der Quint, aber zugleich wieder von beſonderer Bedeu-
tung, iſt zunächſt die (große) Terz. Sie eröffnet zwar nicht eine neue
Reihe wie die Quint, ſie gliedert die Reihe nicht direct, ſondern blos mit-
telbar durch die ihr zukommende Wichtigkeit, in Folge welcher ſie eine
weſentliche Tonſtufe der normalen Tonreihe iſt und ihr nicht fehlen darf.
Ihre Hauptbedeutung iſt eine ausfüllende; ſie bietet eine nicht nur erleich-
ternde, ſondern eine weſentlich befriedigende, ja unentbehrliche Mittelſtufe
dar für den Uebergang von Prim zu Quint, der an ſich bei aller Natür-
lichkeit, die wir ihm zuerkennen müſſen, eben doch, wenn gleich weit weniger
als der von Octave zu Octave, immer noch ein Sprung iſt und bleibt.
Die Terz erſt gewährt beim Auf- und Abgehen auf den Hauptintervallen
der Tonreihe eine wahrhaft concrete Vermittlung; während bei längerem
Auf- und Abſteigen blos auf Grundton und Dominante doch wieder eine
allzu einfache, einförmige, nichtsſagende, leere, unnatürlich hüpfende Ton-
folge entſteht, ſo wird dagegen durch Hinzunahme der Terz dieſes Auf-
und Abſteigen ein zwar auch noch ganz ſimples und klares, aber doch zu-
gleich natürlich vermitteltes, volllautendes, nirgends eine Lücke fühlen laſſen-
des Auf- und Abwärtsſichbewegen, das ebendarum an ſich ſelbſt bereits
muſikaliſch ſchön, bereits vollkommen anſprechender Wohllaut, das erſte
wohllautende Intervallverhältniß iſt; wie die Octave, ſo iſt
auch die Quinte immer noch ein gar zu einfaches Tonverhältniß, Octav
und Quint ſind natürlich, aber ſie ſind nicht concret genug; concret wird
alle Muſik erſt mit dem Terzintervall. Die große Terz ſteht aber
auch, von dieſer ihrer vermittelnden Bedeutung abgeſehen, namentlich zum
Grundton in einer Beziehung, die ſie nicht minder wichtig macht. Es
kann zwar mit ihr, wenn ſie in die untere Octave verlegt iſt, nicht ſo
treffend wie mit der Dominante der Grundton von unten her eingeleitet
werden, weil nur die Dominante unmittelbar und beſtimmt auf den Haupt-
ton gebieteriſch hinweist. Wohl aber kann die Terz von oben her dem
Grundton vorangeſchickt oder mit ihr geradezu ſowohl angefangen als ge-
ſchloſſen werden. Der Anfang mit der Terz macht einen ähnlichen, nur
natürlichern und ruhigern Eindruck wie der mit der Quint, den Eindruck,
daß man alsbald auf einen höhern Punct, als man eigentlich erwartete,
gehoben wird, alſo wieder den des Freien, des Gehobenen, des nachdrücklich
Hervortretenden; am Schluß hat auch ſie, jedoch mit demſelben Unterſchied
von der Quint wie vorhin und daher weit häufiger als dieſe anwendbar,
die Wirkung des Nichtabſchließenden, weniger Beſtimmten, des Schweben-
den, romantiſch Verklingenden, Sehnſuchts- und Erwartungsvollen, des
Hinausweiſens in unbeſtimmte Fernen, es iſt ein Schluß und iſt doch keiner,
es iſt ein Stillhalten auf einer Stufe, die zur Höhe emporführt, von
welcher es uns nach oben zieht und auf der wir doch wider Willen feſt-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 862. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/100>, abgerufen am 22.11.2024.
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