weiterer Grund dazu: die plastische Natur der Zeichnung macht sich wieder geltend und wird von den idealen Gestalten eines Homer angezogen, de- ren Sculpturartige, reine Formen mehr für die Linie, als für die volle Realität der Farbe sich eignen.
§. 665.
Das, von dem Ganzen des malerischen Verfahrens ebenfalls trennbare, zweite1. Moment ist die Herstellung des Scheins der vollen räumlichen Ausdehnung durch Licht- und Schattengebung. Sie hat das in §. 241--245 dargestellte Erscheinungsgebiet nachzubilden. Dabei bringt schon die Bestimmtheit der tech-2. nischen Mittel eine gewisse Abweichung vom Vorbilde mit sich; überdieß tritt aber die allgemeine Aufgabe der idealen Umbildung jedes Naturschönen hier mit neuen Forderungen auf, insbesondere mit der, daß die Beleuchtungs-Ver- hältnisse mit der Bedeutung der Gegenstände in Zusammenstimmung gebracht werden.
1. Obwohl der Umriß bereits den Keim der ganzen Gestalt enthält, den die Phantasie des Zuschauers sich selbst entwickeln kann, so muß nun doch die Malerei natürlich mit eigenen Mitteln das thun, was am Bild- werke das gegebene äußere Licht vollzieht: sie muß durch Licht und Schat- ten, die sie auf die Fläche legt, den bloßen Umriß ausfüllen und die Formen und Entfernungen der Gestalten aufzeigen. Da im Allgemeinen heller Grund der Fläche vorausgesetzt ist, so ist dieß Verfahren natürlich vorherrschend Schattiren, doch wird auch Aufsetzung von Lichtern nöthig. Auch dieser Schritt der Malerei kann sich von der Ergänzung durch die Farbe trennen als ausgeführte Zeichnung, als Darstellung mit flüssigen Mitteln (Touche u. s. w., auch Oelfarbe, wo denn das sogenannte Grau in Grau einen Anklang von Farbenton erhalten kann), dann in der ver- vielfältigenden Technik des Metallstichs, Holzschnitts, Steindrucks. Es können dabei verschiedene Stufen, von der blos leichten Andeutung bis zur vollen Ausführung des Schattens, eingehalten werden; jene liegt in der unmittelbaren Nähe der bloßen Zeichnung, diese nähert sich schon der Malerei mit Farbe. In der That ist in der ausführlichen Licht- und Schattengebung die Farbe als ein fühlbarer Anklang mitgesetzt, denn die Unterschiede der letzteren sind in ihrer spezifischen Qualification wesentlich zugleich Unterschiede des Dunkels und auch der schattirende Zeichner hat im Dunkel einen hellfarbigen Stoff, im Licht einen dunkelfarbigen wohl vom Gegentheil zu unterscheiden, zudem läßt Art und Strich der Lichter mit der Beschaffenheit der Stoffe zugleich auf ihre Farbe schließen. Durch die Fülle, welche demnach schon in den Licht- und Schattenverhältnissen
Vischer's Aesthetik. 3. Band. 37
weiterer Grund dazu: die plaſtiſche Natur der Zeichnung macht ſich wieder geltend und wird von den idealen Geſtalten eines Homer angezogen, de- ren Sculpturartige, reine Formen mehr für die Linie, als für die volle Realität der Farbe ſich eignen.
§. 665.
Das, von dem Ganzen des maleriſchen Verfahrens ebenfalls trennbare, zweite1. Moment iſt die Herſtellung des Scheins der vollen räumlichen Ausdehnung durch Licht- und Schattengebung. Sie hat das in §. 241—245 dargeſtellte Erſcheinungsgebiet nachzubilden. Dabei bringt ſchon die Beſtimmtheit der tech-2. niſchen Mittel eine gewiſſe Abweichung vom Vorbilde mit ſich; überdieß tritt aber die allgemeine Aufgabe der idealen Umbildung jedes Naturſchönen hier mit neuen Forderungen auf, insbeſondere mit der, daß die Beleuchtungs-Ver- hältniſſe mit der Bedeutung der Gegenſtände in Zuſammenſtimmung gebracht werden.
1. Obwohl der Umriß bereits den Keim der ganzen Geſtalt enthält, den die Phantaſie des Zuſchauers ſich ſelbſt entwickeln kann, ſo muß nun doch die Malerei natürlich mit eigenen Mitteln das thun, was am Bild- werke das gegebene äußere Licht vollzieht: ſie muß durch Licht und Schat- ten, die ſie auf die Fläche legt, den bloßen Umriß ausfüllen und die Formen und Entfernungen der Geſtalten aufzeigen. Da im Allgemeinen heller Grund der Fläche vorausgeſetzt iſt, ſo iſt dieß Verfahren natürlich vorherrſchend Schattiren, doch wird auch Aufſetzung von Lichtern nöthig. Auch dieſer Schritt der Malerei kann ſich von der Ergänzung durch die Farbe trennen als ausgeführte Zeichnung, als Darſtellung mit flüſſigen Mitteln (Touche u. ſ. w., auch Oelfarbe, wo denn das ſogenannte Grau in Grau einen Anklang von Farbenton erhalten kann), dann in der ver- vielfältigenden Technik des Metallſtichs, Holzſchnitts, Steindrucks. Es können dabei verſchiedene Stufen, von der blos leichten Andeutung bis zur vollen Ausführung des Schattens, eingehalten werden; jene liegt in der unmittelbaren Nähe der bloßen Zeichnung, dieſe nähert ſich ſchon der Malerei mit Farbe. In der That iſt in der ausführlichen Licht- und Schattengebung die Farbe als ein fühlbarer Anklang mitgeſetzt, denn die Unterſchiede der letzteren ſind in ihrer ſpezifiſchen Qualification weſentlich zugleich Unterſchiede des Dunkels und auch der ſchattirende Zeichner hat im Dunkel einen hellfarbigen Stoff, im Licht einen dunkelfarbigen wohl vom Gegentheil zu unterſcheiden, zudem läßt Art und Strich der Lichter mit der Beſchaffenheit der Stoffe zugleich auf ihre Farbe ſchließen. Durch die Fülle, welche demnach ſchon in den Licht- und Schattenverhältniſſen
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 37
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[553/0061]
weiterer Grund dazu: die plaſtiſche Natur der Zeichnung macht ſich wieder
geltend und wird von den idealen Geſtalten eines Homer angezogen, de-
ren Sculpturartige, reine Formen mehr für die Linie, als für die volle
Realität der Farbe ſich eignen.
§. 665.
Das, von dem Ganzen des maleriſchen Verfahrens ebenfalls trennbare, zweite
Moment iſt die Herſtellung des Scheins der vollen räumlichen Ausdehnung durch
Licht- und Schattengebung. Sie hat das in §. 241—245 dargeſtellte
Erſcheinungsgebiet nachzubilden. Dabei bringt ſchon die Beſtimmtheit der tech-
niſchen Mittel eine gewiſſe Abweichung vom Vorbilde mit ſich; überdieß tritt
aber die allgemeine Aufgabe der idealen Umbildung jedes Naturſchönen hier
mit neuen Forderungen auf, insbeſondere mit der, daß die Beleuchtungs-Ver-
hältniſſe mit der Bedeutung der Gegenſtände in Zuſammenſtimmung gebracht
werden.
1. Obwohl der Umriß bereits den Keim der ganzen Geſtalt enthält,
den die Phantaſie des Zuſchauers ſich ſelbſt entwickeln kann, ſo muß nun
doch die Malerei natürlich mit eigenen Mitteln das thun, was am Bild-
werke das gegebene äußere Licht vollzieht: ſie muß durch Licht und Schat-
ten, die ſie auf die Fläche legt, den bloßen Umriß ausfüllen und die
Formen und Entfernungen der Geſtalten aufzeigen. Da im Allgemeinen
heller Grund der Fläche vorausgeſetzt iſt, ſo iſt dieß Verfahren natürlich
vorherrſchend Schattiren, doch wird auch Aufſetzung von Lichtern nöthig.
Auch dieſer Schritt der Malerei kann ſich von der Ergänzung durch die
Farbe trennen als ausgeführte Zeichnung, als Darſtellung mit flüſſigen
Mitteln (Touche u. ſ. w., auch Oelfarbe, wo denn das ſogenannte Grau
in Grau einen Anklang von Farbenton erhalten kann), dann in der ver-
vielfältigenden Technik des Metallſtichs, Holzſchnitts, Steindrucks. Es
können dabei verſchiedene Stufen, von der blos leichten Andeutung bis
zur vollen Ausführung des Schattens, eingehalten werden; jene liegt in
der unmittelbaren Nähe der bloßen Zeichnung, dieſe nähert ſich ſchon der
Malerei mit Farbe. In der That iſt in der ausführlichen Licht- und
Schattengebung die Farbe als ein fühlbarer Anklang mitgeſetzt, denn die
Unterſchiede der letzteren ſind in ihrer ſpezifiſchen Qualification weſentlich
zugleich Unterſchiede des Dunkels und auch der ſchattirende Zeichner hat
im Dunkel einen hellfarbigen Stoff, im Licht einen dunkelfarbigen wohl
vom Gegentheil zu unterſcheiden, zudem läßt Art und Strich der Lichter
mit der Beſchaffenheit der Stoffe zugleich auf ihre Farbe ſchließen. Durch
die Fülle, welche demnach ſchon in den Licht- und Schattenverhältniſſen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/61>, abgerufen am 05.07.2024.
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