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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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gen, um die es sich hier handelt: zum Staffeleibilde wird in neuerer Zeit
die Leinwand dem Holze vorgezogen, weil die mancherlei Zufälligkeiten,
von denen die Zubereitung, Größe und Dauer der Holztafel ab hängt, die
Schwierigkeit des Transports u. s. w. bei diesem Materiale wegfallen;
dagegen bietet das Holz allerdings den Vortheil, daß sich hier die Farbe
auf einem Kreidegrund auftragen läßt, der das überflüssige Oel nach hin-
ten absorbirt, so daß die Bilder hell bleiben, wogegen auf dem fetten
Grunde, den man der Leinwand geben muß, die Farbe leicht nachdunkelt,
weil derselbe ihr Oel nicht durchläßt. In Holz und Leinwand fühlt
sich nun der weichere, botanische Ursprung der Fläche durch und dieß wird
auf Darstellungs-Stoff und Styl, die sich an dieses Material knüpfen,
von Einfluß sein. Dagegen gibt sich in der Mauerwand mit ihrem Kalk-
überwurf, mit dem sich die Farbe ohne Fett bindet, die mineralische Qua-
lität mit einer gewissen Kälte, Härte zu fühlen, woraus sich bereits schlie-
ßen läßt, daß diese Art der Fläche einer andern, weniger in die Fülle
des Lebens eindringenden Auffassung und Darstellungsweise dienen werde,
als Holz und Leinwand. Doch hat das Material noch eine weitere
Seite, nach welcher es ästhetisch bedeutender mitwiegt. Die Mauerfläche
drängt sich dem Auge und Gefühl als ein dauernd Festes, massenhaft
Ausgedehntes auf; wird das Gemälde ihr anvertraut, so ist damit aus-
gesprochen, daß es dauernd sein soll; die meist bedeutende Ausdehnung
bringt größeren Maaßstab und umfangreichere Composition mit sich; es
kommt noch dazu, daß die großen Flächen der Mauerwand vorzüglich nach
Außen gewendet sind, durch welche das ihr übergebreitete Bild sich dem
Volke öffnet, den Charakter der Oeffentlichkeit gewinnt. Hiedurch erhält
das Wandgemälde die Bedeutung des Monumentalen. Die Malerei
kann im Ganzen ihres Wesens nicht mehr so ausdrücklich monumental
heißen, wie die Bildnerkunst (§. 605, 1.); eine Kunstform, welche in der
dargestellten Weise die Körper zum durchsichtigen Schleier des Innern
macht, wendet sich beweglich an die Gemüther und scheint daher, wie sie
uneigentlich eine Einkehr in's Innere ist, so auch eigentlich zur stillen Be-
trachtung im Innern der Gemächer aufzufordern, ihr Werk wird zwar
zu oft erneuter Vertiefung einladen, aber nicht so bestimmt den Anspruch
auf eine über die Generationen großartig hinausgreifenden Dauer machen.
Dennoch spaltet sie sich innerhalb dieses ihres allgemeinen Charakters durch
diesen Unterschied des Fläche-Materials in einen Zweig, der sich unmittel-
bar an die Architektur lehnt, um den im vollsten Sinn monumentalen
Charakter dieser Kunst mitzugenießen, und in einen heimlicheren, gemüth-
licheren, eingeschlosseneren, der sich an die leichtere, bescheidenere, dem
Kunstzwecke der Malerei ausschließlich zubereitete Fläche des Holzes, der
Leinwand heftet. Allein dieß findet seine wahre Beleuchtung erst, wenn

gen, um die es ſich hier handelt: zum Staffeleibilde wird in neuerer Zeit
die Leinwand dem Holze vorgezogen, weil die mancherlei Zufälligkeiten,
von denen die Zubereitung, Größe und Dauer der Holztafel ab hängt, die
Schwierigkeit des Transports u. ſ. w. bei dieſem Materiale wegfallen;
dagegen bietet das Holz allerdings den Vortheil, daß ſich hier die Farbe
auf einem Kreidegrund auftragen läßt, der das überflüſſige Oel nach hin-
ten abſorbirt, ſo daß die Bilder hell bleiben, wogegen auf dem fetten
Grunde, den man der Leinwand geben muß, die Farbe leicht nachdunkelt,
weil derſelbe ihr Oel nicht durchläßt. In Holz und Leinwand fühlt
ſich nun der weichere, botaniſche Urſprung der Fläche durch und dieß wird
auf Darſtellungs-Stoff und Styl, die ſich an dieſes Material knüpfen,
von Einfluß ſein. Dagegen gibt ſich in der Mauerwand mit ihrem Kalk-
überwurf, mit dem ſich die Farbe ohne Fett bindet, die mineraliſche Qua-
lität mit einer gewiſſen Kälte, Härte zu fühlen, woraus ſich bereits ſchlie-
ßen läßt, daß dieſe Art der Fläche einer andern, weniger in die Fülle
des Lebens eindringenden Auffaſſung und Darſtellungsweiſe dienen werde,
als Holz und Leinwand. Doch hat das Material noch eine weitere
Seite, nach welcher es äſthetiſch bedeutender mitwiegt. Die Mauerfläche
drängt ſich dem Auge und Gefühl als ein dauernd Feſtes, maſſenhaft
Ausgedehntes auf; wird das Gemälde ihr anvertraut, ſo iſt damit aus-
geſprochen, daß es dauernd ſein ſoll; die meiſt bedeutende Ausdehnung
bringt größeren Maaßſtab und umfangreichere Compoſition mit ſich; es
kommt noch dazu, daß die großen Flächen der Mauerwand vorzüglich nach
Außen gewendet ſind, durch welche das ihr übergebreitete Bild ſich dem
Volke öffnet, den Charakter der Oeffentlichkeit gewinnt. Hiedurch erhält
das Wandgemälde die Bedeutung des Monumentalen. Die Malerei
kann im Ganzen ihres Weſens nicht mehr ſo ausdrücklich monumental
heißen, wie die Bildnerkunſt (§. 605, 1.); eine Kunſtform, welche in der
dargeſtellten Weiſe die Körper zum durchſichtigen Schleier des Innern
macht, wendet ſich beweglich an die Gemüther und ſcheint daher, wie ſie
uneigentlich eine Einkehr in’s Innere iſt, ſo auch eigentlich zur ſtillen Be-
trachtung im Innern der Gemächer aufzufordern, ihr Werk wird zwar
zu oft erneuter Vertiefung einladen, aber nicht ſo beſtimmt den Anſpruch
auf eine über die Generationen großartig hinausgreifenden Dauer machen.
Dennoch ſpaltet ſie ſich innerhalb dieſes ihres allgemeinen Charakters durch
dieſen Unterſchied des Fläche-Materials in einen Zweig, der ſich unmittel-
bar an die Architektur lehnt, um den im vollſten Sinn monumentalen
Charakter dieſer Kunſt mitzugenießen, und in einen heimlicheren, gemüth-
licheren, eingeſchloſſeneren, der ſich an die leichtere, beſcheidenere, dem
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[540/0048] gen, um die es ſich hier handelt: zum Staffeleibilde wird in neuerer Zeit die Leinwand dem Holze vorgezogen, weil die mancherlei Zufälligkeiten, von denen die Zubereitung, Größe und Dauer der Holztafel ab hängt, die Schwierigkeit des Transports u. ſ. w. bei dieſem Materiale wegfallen; dagegen bietet das Holz allerdings den Vortheil, daß ſich hier die Farbe auf einem Kreidegrund auftragen läßt, der das überflüſſige Oel nach hin- ten abſorbirt, ſo daß die Bilder hell bleiben, wogegen auf dem fetten Grunde, den man der Leinwand geben muß, die Farbe leicht nachdunkelt, weil derſelbe ihr Oel nicht durchläßt. In Holz und Leinwand fühlt ſich nun der weichere, botaniſche Urſprung der Fläche durch und dieß wird auf Darſtellungs-Stoff und Styl, die ſich an dieſes Material knüpfen, von Einfluß ſein. Dagegen gibt ſich in der Mauerwand mit ihrem Kalk- überwurf, mit dem ſich die Farbe ohne Fett bindet, die mineraliſche Qua- lität mit einer gewiſſen Kälte, Härte zu fühlen, woraus ſich bereits ſchlie- ßen läßt, daß dieſe Art der Fläche einer andern, weniger in die Fülle des Lebens eindringenden Auffaſſung und Darſtellungsweiſe dienen werde, als Holz und Leinwand. Doch hat das Material noch eine weitere Seite, nach welcher es äſthetiſch bedeutender mitwiegt. Die Mauerfläche drängt ſich dem Auge und Gefühl als ein dauernd Feſtes, maſſenhaft Ausgedehntes auf; wird das Gemälde ihr anvertraut, ſo iſt damit aus- geſprochen, daß es dauernd ſein ſoll; die meiſt bedeutende Ausdehnung bringt größeren Maaßſtab und umfangreichere Compoſition mit ſich; es kommt noch dazu, daß die großen Flächen der Mauerwand vorzüglich nach Außen gewendet ſind, durch welche das ihr übergebreitete Bild ſich dem Volke öffnet, den Charakter der Oeffentlichkeit gewinnt. Hiedurch erhält das Wandgemälde die Bedeutung des Monumentalen. Die Malerei kann im Ganzen ihres Weſens nicht mehr ſo ausdrücklich monumental heißen, wie die Bildnerkunſt (§. 605, 1.); eine Kunſtform, welche in der dargeſtellten Weiſe die Körper zum durchſichtigen Schleier des Innern macht, wendet ſich beweglich an die Gemüther und ſcheint daher, wie ſie uneigentlich eine Einkehr in’s Innere iſt, ſo auch eigentlich zur ſtillen Be- trachtung im Innern der Gemächer aufzufordern, ihr Werk wird zwar zu oft erneuter Vertiefung einladen, aber nicht ſo beſtimmt den Anſpruch auf eine über die Generationen großartig hinausgreifenden Dauer machen. Dennoch ſpaltet ſie ſich innerhalb dieſes ihres allgemeinen Charakters durch dieſen Unterſchied des Fläche-Materials in einen Zweig, der ſich unmittel- bar an die Architektur lehnt, um den im vollſten Sinn monumentalen Charakter dieſer Kunſt mitzugenießen, und in einen heimlicheren, gemüth- licheren, eingeſchloſſeneren, der ſich an die leichtere, beſcheidenere, dem Kunſtzwecke der Malerei ausſchließlich zubereitete Fläche des Holzes, der Leinwand heftet. Allein dieß findet ſeine wahre Beleuchtung erſt, wenn

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/48>, abgerufen am 19.04.2024.