Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.in der weichen und runden Zeichnung würde es aber dabei bleiben, daß im §. 728. Der in §. 727 geschilderte Styl wird in Flandern durch den Erfinder Die Entdeckung oder entscheidende Verbesserung des Oels als Binde- in der weichen und runden Zeichnung würde es aber dabei bleiben, daß im §. 728. Der in §. 727 geſchilderte Styl wird in Flandern durch den Erfinder Die Entdeckung oder entſcheidende Verbeſſerung des Oels als Binde- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <pb facs="#f0238" n="730"/> <hi rendition="#et">in der weichen und runden Zeichnung würde es aber dabei bleiben, daß im<lb/> Unterſchied von Italien der ächt maleriſche Styl die erſte, größere Rolle<lb/> ſpielte und von einem entgegengeſetzten zum ſanfteren Adel der Form nun<lb/> auch die Kraft derſelben, die Energie, zum Lyriſchen das Dramatiſche<lb/> lernte und in ſich aufnähme. Allein ſo iſt es nicht; es bilden nicht etwa<lb/> die Nürnberger mit ihrem ſchärferen Formſinn einen gleichzeitigen, ergänzen-<lb/> den, compacten Gegenſatz, wie dort die Florentiner, ſondern ſie haben in<lb/> dieſer Epoche auch noch den milden, weichen Styl und nachher tritt, wie<lb/> wir ſehen werden, jene Eigenſchaft nicht in der Weiſe hervor, daß ſie<lb/> mit dieſem ſich verſöhnte. Und ſo, obwohl die bezeichneten Eigenſchaften<lb/> maleriſch waren, wird dieſer Styl, im Uebrigen plaſtiſch ohne Kraft, von<lb/> einem im engſten Sinne maleriſchen, der dieſen Reſt plaſtiſcher Schönheit,<lb/> welcher ſich da und dort noch regt, aber nicht zur rechten Zeit ſich zu<lb/> ſtärken gewußt hat, nothwendig verſchlungen. Das Leibhafte dringt herein<lb/> über die zarte, liebliche Geiſterwelt, der es zu ſehr an Fleiſch und Knochen<lb/> gebricht, um gegen die Herbe und Schärfe ihres Gegners zu kämpfen<lb/> und ihm einen Theil ihrer Schönheit aufzunöthigen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 728.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Der in §. 727 geſchilderte Styl wird in <hi rendition="#g">Flandern</hi> durch den Erfinder<lb/> der Oelmalerei, <hi rendition="#g">Hubert van Eyck</hi> und ſeinen Bruder <hi rendition="#g">Johann</hi> gegründet.<lb/> Die Grundbedingungen des maleriſchen Verfahrens ſind raſch zu großer Reife<lb/> durchgebildet, die Sorgfalt der Ausführung iſt miniaturartig. Die Schule ſchreitet<lb/> auf der Grundlage treuen Naturſtudiums fort in Richtigkeit der Zeichnung,<lb/> Vollendung der Farbe, Vielfältigkeit des Ausdrucks, völligem Hereinrücken der<lb/> mythiſchen Stoffe in die Wirklichkeit, aber der nothwendige Schritt zu neuer,<lb/> tieferer Aneignung des antik plaſtiſchen Formſinus bleibt aus und ſo verſtärken<lb/> ſich im Fortſchritt auch alle Mängel dieſes Styls; insbeſondere dringt das <hi rendition="#g">Eckige</hi><lb/> in die Zeichnung ein.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die Entdeckung oder entſcheidende Verbeſſerung des Oels als Binde-<lb/> mittels iſt das techniſche Motiv, wodurch die Malerei ſo raſch erſtarkt<lb/> und ſo früh (ſchon im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts) dieſe wunder-<lb/> bare, farbenglühende, kryſtalliſch gebildete Blume treibt. Der Drang zur<lb/> Wirklichkeit, zum vollen Scheine ruft mit der Herrlichkeit und Intenſität<lb/> der Farbe ſchnell die Modellirung, die Linear- und Luftperſpective, das<lb/> Studium der Reflexe, Spieglungen, der Geheimniſſe des Incarnats zur<lb/> Reife. Wir haben den innern Geiſt, Auffaſſung, Styl nicht weiter zu<lb/> ſchildern, ſondern nur einzelne Züge zu dem gegebenen Bild hinzuzufügen.<lb/><hi rendition="#g">Hubert</hi> hat bekanntlich noch weichere, rundere, breitere Formenbildung,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [730/0238]
in der weichen und runden Zeichnung würde es aber dabei bleiben, daß im
Unterſchied von Italien der ächt maleriſche Styl die erſte, größere Rolle
ſpielte und von einem entgegengeſetzten zum ſanfteren Adel der Form nun
auch die Kraft derſelben, die Energie, zum Lyriſchen das Dramatiſche
lernte und in ſich aufnähme. Allein ſo iſt es nicht; es bilden nicht etwa
die Nürnberger mit ihrem ſchärferen Formſinn einen gleichzeitigen, ergänzen-
den, compacten Gegenſatz, wie dort die Florentiner, ſondern ſie haben in
dieſer Epoche auch noch den milden, weichen Styl und nachher tritt, wie
wir ſehen werden, jene Eigenſchaft nicht in der Weiſe hervor, daß ſie
mit dieſem ſich verſöhnte. Und ſo, obwohl die bezeichneten Eigenſchaften
maleriſch waren, wird dieſer Styl, im Uebrigen plaſtiſch ohne Kraft, von
einem im engſten Sinne maleriſchen, der dieſen Reſt plaſtiſcher Schönheit,
welcher ſich da und dort noch regt, aber nicht zur rechten Zeit ſich zu
ſtärken gewußt hat, nothwendig verſchlungen. Das Leibhafte dringt herein
über die zarte, liebliche Geiſterwelt, der es zu ſehr an Fleiſch und Knochen
gebricht, um gegen die Herbe und Schärfe ihres Gegners zu kämpfen
und ihm einen Theil ihrer Schönheit aufzunöthigen.
§. 728.
Der in §. 727 geſchilderte Styl wird in Flandern durch den Erfinder
der Oelmalerei, Hubert van Eyck und ſeinen Bruder Johann gegründet.
Die Grundbedingungen des maleriſchen Verfahrens ſind raſch zu großer Reife
durchgebildet, die Sorgfalt der Ausführung iſt miniaturartig. Die Schule ſchreitet
auf der Grundlage treuen Naturſtudiums fort in Richtigkeit der Zeichnung,
Vollendung der Farbe, Vielfältigkeit des Ausdrucks, völligem Hereinrücken der
mythiſchen Stoffe in die Wirklichkeit, aber der nothwendige Schritt zu neuer,
tieferer Aneignung des antik plaſtiſchen Formſinus bleibt aus und ſo verſtärken
ſich im Fortſchritt auch alle Mängel dieſes Styls; insbeſondere dringt das Eckige
in die Zeichnung ein.
Die Entdeckung oder entſcheidende Verbeſſerung des Oels als Binde-
mittels iſt das techniſche Motiv, wodurch die Malerei ſo raſch erſtarkt
und ſo früh (ſchon im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts) dieſe wunder-
bare, farbenglühende, kryſtalliſch gebildete Blume treibt. Der Drang zur
Wirklichkeit, zum vollen Scheine ruft mit der Herrlichkeit und Intenſität
der Farbe ſchnell die Modellirung, die Linear- und Luftperſpective, das
Studium der Reflexe, Spieglungen, der Geheimniſſe des Incarnats zur
Reife. Wir haben den innern Geiſt, Auffaſſung, Styl nicht weiter zu
ſchildern, ſondern nur einzelne Züge zu dem gegebenen Bild hinzuzufügen.
Hubert hat bekanntlich noch weichere, rundere, breitere Formenbildung,
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