stellung mit dem Tragischen ist Hebel der kräftigsten Contraste, dient als Folie wie die Blume am Abgrund oder wird in das Tragische hineinge- rissen -- wie Margarete in Göthe's Faust. Die Posse, der Witz, die milde Ironie, der naive Humor des Sittenbilds hat keinen Platz; das Drama der Geschichte läßt nur den großartigen Humor zu, der die innere Miß- gestalt des Bösen, wie M. Angelo nach Dante in den Teufeln, wie so viele alte Maler in den Pharisäern und Peinigern Christi, als äußere Fratze herauswendet, bei rein historischem Stoff aber in der Selbstzer- störung des menschlich Bösen, dem Fanatismus der Leidenschaft, dem Wahnsinn der Parteien, dem Falle menschlichen Uebermuths Oel in Fülle findet, seine Flamme zu nähren, seinem tiefen Gefühl der Widersprüche des Lebens ohne jene phantastische Ausschweifung Form zu geben. Eine tiefe Mäßigung ist immer nöthig, wenn nicht die Caricatur eintreten soll, von der wir seines Orts sprechen werden.
2. Im Sittenbilde ist der ächt malerische Styl naturgemäß im Vor- rechte der Herrschaft, der plastische hat sich daher auch erst spät entwickelt; im Geschichtsbilde verhält es sich umgekehrt: hier ist der Beruf des letzteren voller und unbezweifelter, als in irgend einem Zweige, denn wo es gilt, die großen geschichtlichen Momente in monumentalem Geiste zu verewigen, da ist auch ein Verfahren gefordert, das aus dem Umfange des Realen mit starker Zeichnerhand die wesentlichen Züge heraushebt und diejenigen ausscheidet, welche an die specielleren Lebensbedingungen erinnern. Allein der rein malerische Styl ist darum nichts weniger, als zu untergeordneter Rolle verwiesen, wie das Naturalisiren und Individualisiren in der Bildnerkunst; im Gegentheil hat er in der Geschichtsmalerei erst seinen ganzen Beruf zu erfüllen, indem er den plastisch auffassenden Gegner stets auf's Neue reizen und mahnen soll, daß er sich mit der Naturwärme und Indivi- dualität sättige und seiner Neigung zum Mythischen und Allegorischen nicht die Zügel lasse. Es ist nun dieß natürlich zugleich ein Verhältniß zwischen Freske und Oelmalerei; diese zwei Formen der Technik sind uns überall als Begleiter jenes Gegensatzes begegnet, hier aber erreichen sie mit ihm ihre ganze Bedeutung, sie werden geradezu Losungswörter des Kampfes der Style. Der Kampf ist dann allerdings zugleich einseitige Blüthe der Historienmalerei und Reaction gegen dieselbe; allein diese Seite führt schließlich ebendahin, wie der Kampf innerhalb der geschicht- lichen Malerei selbst, denn auch vom Sittenbilde und beziehungsweise von der Landschaft soll die plastische Einseitigkeit in der Historie zur innigeren Durchbildung des realen Scheins sich leiten lassen. -- Dieß Alles wird in der Geschichte der Malerei nun seinen Beleg, der Begriff den Körper finden, der ihn zugleich erläutert, und gerade der Schluß der letzteren wird auf diesen Schluß der Lehre von den Zweigen in gerader Linie zurückführen.
ſtellung mit dem Tragiſchen iſt Hebel der kräftigſten Contraſte, dient als Folie wie die Blume am Abgrund oder wird in das Tragiſche hineinge- riſſen — wie Margarete in Göthe’s Fauſt. Die Poſſe, der Witz, die milde Ironie, der naive Humor des Sittenbilds hat keinen Platz; das Drama der Geſchichte läßt nur den großartigen Humor zu, der die innere Miß- geſtalt des Böſen, wie M. Angelo nach Dante in den Teufeln, wie ſo viele alte Maler in den Phariſäern und Peinigern Chriſti, als äußere Fratze herauswendet, bei rein hiſtoriſchem Stoff aber in der Selbſtzer- ſtörung des menſchlich Böſen, dem Fanatismus der Leidenſchaft, dem Wahnſinn der Parteien, dem Falle menſchlichen Uebermuths Oel in Fülle findet, ſeine Flamme zu nähren, ſeinem tiefen Gefühl der Widerſprüche des Lebens ohne jene phantaſtiſche Ausſchweifung Form zu geben. Eine tiefe Mäßigung iſt immer nöthig, wenn nicht die Caricatur eintreten ſoll, von der wir ſeines Orts ſprechen werden.
2. Im Sittenbilde iſt der ächt maleriſche Styl naturgemäß im Vor- rechte der Herrſchaft, der plaſtiſche hat ſich daher auch erſt ſpät entwickelt; im Geſchichtsbilde verhält es ſich umgekehrt: hier iſt der Beruf des letzteren voller und unbezweifelter, als in irgend einem Zweige, denn wo es gilt, die großen geſchichtlichen Momente in monumentalem Geiſte zu verewigen, da iſt auch ein Verfahren gefordert, das aus dem Umfange des Realen mit ſtarker Zeichnerhand die weſentlichen Züge heraushebt und diejenigen ausſcheidet, welche an die ſpecielleren Lebensbedingungen erinnern. Allein der rein maleriſche Styl iſt darum nichts weniger, als zu untergeordneter Rolle verwieſen, wie das Naturaliſiren und Individualiſiren in der Bildnerkunſt; im Gegentheil hat er in der Geſchichtsmalerei erſt ſeinen ganzen Beruf zu erfüllen, indem er den plaſtiſch auffaſſenden Gegner ſtets auf’s Neue reizen und mahnen ſoll, daß er ſich mit der Naturwärme und Indivi- dualität ſättige und ſeiner Neigung zum Mythiſchen und Allegoriſchen nicht die Zügel laſſe. Es iſt nun dieß natürlich zugleich ein Verhältniß zwiſchen Freske und Oelmalerei; dieſe zwei Formen der Technik ſind uns überall als Begleiter jenes Gegenſatzes begegnet, hier aber erreichen ſie mit ihm ihre ganze Bedeutung, ſie werden geradezu Loſungswörter des Kampfes der Style. Der Kampf iſt dann allerdings zugleich einſeitige Blüthe der Hiſtorienmalerei und Reaction gegen dieſelbe; allein dieſe Seite führt ſchließlich ebendahin, wie der Kampf innerhalb der geſchicht- lichen Malerei ſelbſt, denn auch vom Sittenbilde und beziehungsweiſe von der Landſchaft ſoll die plaſtiſche Einſeitigkeit in der Hiſtorie zur innigeren Durchbildung des realen Scheins ſich leiten laſſen. — Dieß Alles wird in der Geſchichte der Malerei nun ſeinen Beleg, der Begriff den Körper finden, der ihn zugleich erläutert, und gerade der Schluß der letzteren wird auf dieſen Schluß der Lehre von den Zweigen in gerader Linie zurückführen.
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Folie wie die Blume am Abgrund oder wird in das Tragiſche hineinge-
riſſen — wie Margarete in Göthe’s Fauſt. Die Poſſe, der Witz, die milde
Ironie, der naive Humor des Sittenbilds hat keinen Platz; das Drama
der Geſchichte läßt nur den großartigen Humor zu, der die innere Miß-
geſtalt des Böſen, wie M. Angelo nach Dante in den Teufeln, wie ſo
viele alte Maler in den Phariſäern und Peinigern Chriſti, als äußere
Fratze herauswendet, bei rein hiſtoriſchem Stoff aber in der Selbſtzer-
ſtörung des menſchlich Böſen, dem Fanatismus der Leidenſchaft, dem
Wahnſinn der Parteien, dem Falle menſchlichen Uebermuths Oel in Fülle
findet, ſeine Flamme zu nähren, ſeinem tiefen Gefühl der Widerſprüche
des Lebens ohne jene phantaſtiſche Ausſchweifung Form zu geben. Eine
tiefe Mäßigung iſt immer nöthig, wenn nicht die Caricatur eintreten ſoll,
von der wir ſeines Orts ſprechen werden.
2. Im Sittenbilde iſt der ächt maleriſche Styl naturgemäß im Vor-
rechte der Herrſchaft, der plaſtiſche hat ſich daher auch erſt ſpät entwickelt;
im Geſchichtsbilde verhält es ſich umgekehrt: hier iſt der Beruf des letzteren
voller und unbezweifelter, als in irgend einem Zweige, denn wo es gilt,
die großen geſchichtlichen Momente in monumentalem Geiſte zu verewigen,
da iſt auch ein Verfahren gefordert, das aus dem Umfange des Realen
mit ſtarker Zeichnerhand die weſentlichen Züge heraushebt und diejenigen
ausſcheidet, welche an die ſpecielleren Lebensbedingungen erinnern. Allein der
rein maleriſche Styl iſt darum nichts weniger, als zu untergeordneter Rolle
verwieſen, wie das Naturaliſiren und Individualiſiren in der Bildnerkunſt;
im Gegentheil hat er in der Geſchichtsmalerei erſt ſeinen ganzen Beruf
zu erfüllen, indem er den plaſtiſch auffaſſenden Gegner ſtets auf’s Neue
reizen und mahnen ſoll, daß er ſich mit der Naturwärme und Indivi-
dualität ſättige und ſeiner Neigung zum Mythiſchen und Allegoriſchen
nicht die Zügel laſſe. Es iſt nun dieß natürlich zugleich ein Verhältniß
zwiſchen Freske und Oelmalerei; dieſe zwei Formen der Technik ſind uns
überall als Begleiter jenes Gegenſatzes begegnet, hier aber erreichen ſie
mit ihm ihre ganze Bedeutung, ſie werden geradezu Loſungswörter des
Kampfes der Style. Der Kampf iſt dann allerdings zugleich einſeitige
Blüthe der Hiſtorienmalerei und Reaction gegen dieſelbe; allein dieſe
Seite führt ſchließlich ebendahin, wie der Kampf innerhalb der geſchicht-
lichen Malerei ſelbſt, denn auch vom Sittenbilde und beziehungsweiſe von
der Landſchaft ſoll die plaſtiſche Einſeitigkeit in der Hiſtorie zur innigeren
Durchbildung des realen Scheins ſich leiten laſſen. — Dieß Alles wird
in der Geſchichte der Malerei nun ſeinen Beleg, der Begriff den Körper
finden, der ihn zugleich erläutert, und gerade der Schluß der letzteren wird
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/199>, abgerufen am 05.07.2024.
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