Allgemeine, Ewige und den naturwarmen Blick des gegenwärtigen, ath- menden Judividuums ineinander zu schmelzen.
Auch das Gebiet des Bildnisses wird von einigen der Theilungs-Linien durchschnitten, die wir durch die andern Zweige gezogen haben. Wichtig ist vor Allem der Moment: unbewegte, statuarische Ruhe, bewegtere Si- tuation vom spannungslosen Geschäfte (z. B. Lesen, Schreiben) oder nai- ver Nachlässigkeit (wie Raphaels herrlicher blonder Jüngling in Paris, der den Kopf in die Hand stützt) ansteigend zur bewegteren, empfundneren, die nur nie bis zur dramatischen, wie zu einer entscheidenden Handlung gespannten fortgehen darf. Das beste Bildniß bleibt doch immer das einfach ruhige. Der prahlerische, Effekt haschende, auffahrende Wurf nach dem Zuschauer ist hier doppelt widerlich, weil er auch stoffartig gegen die Eitelkeit und Affectation einnimmt. Kleine, zufällige Bewegun- gen sollen nicht von der Art sein, daß man den Eindruck hat, es sei schwer, darin zu verweilen. -- Mit dem Unterschiede der Situation hängt nun natürlich der Grad des Umfangs auch hier auf's Engste zusammen. Zunächst ist zu bemerken, daß, wie die Statue (§. 632), so und noch viel mehr auch das Porträt, selbst das von mehreren Figuren, sich auf einen Theil der Gestalt beschränken kann: Brustbild, Kniestück u. s. w. Es wird dieß sogar gewöhnlich vorgezogen werden, ein natürliches Ergebniß davon, daß hier nur die vorzüglich sprechenden Theile wirken sollen; es bedarf einer etwas belebteren Situation mit ausführlicherer Darstellung des Umgebenden, überdieß gewisser Formen der Tracht, welche die Bildung des Beins für das Auge beleben, um die ganze Figur zu rechtfertigen. Wir führen hier gelegentlich an, daß auch das Sittenbild und die Ge- schichtsmalerei halbe Figur vorziehen kann, wenn Moment und Ausdruck die über den ganzen Köper ergossene Mimik nicht wesentlich fordert. -- Es geht nun auch die Bildnißmalerei dem Grade des Umfangs nach von der einzelnen Figur zur Gruppe von zwei, drei Personen, ja zu größeren, insbesondere Familiengruppen, fort und ebenso gibt sie als Grund bald nur einen Farbenton, ein Helldunkel, bald Landschaft, Zimmer mit Geräthen, wohl auch mit einem Hausthiere. Wie das Alles mit dem Unterschiede des gewählten Moments sich verbindet, sich gegenseitig bedingt, wäre interessant zu verfolgen; hier aber ist die Betrachtung abzuschließen mit der Unterscheidung des Stylbilds und Stimmungsbilds. Es ist klar, daß dieser Gegensatz in dem Gebiete der Bildnißmalerei schwächer auf- treten wird, als in den andern Zweigen, weil der ächt malerische Styl mit seiner spezialisirenden, bewegteren, mehr lyrischen, mit vollen Mitteln der Farbe wirkenden Auffassung und Ausführung hier recht in seinem Element ist. Dennoch ist der Spielraum groß genug, dem höheren Sty- lisiren, der Herrschaft der Form und der Wirkung der wesentlichen Grund-
Allgemeine, Ewige und den naturwarmen Blick des gegenwärtigen, ath- menden Judividuums ineinander zu ſchmelzen.
Auch das Gebiet des Bildniſſes wird von einigen der Theilungs-Linien durchſchnitten, die wir durch die andern Zweige gezogen haben. Wichtig iſt vor Allem der Moment: unbewegte, ſtatuariſche Ruhe, bewegtere Si- tuation vom ſpannungsloſen Geſchäfte (z. B. Leſen, Schreiben) oder nai- ver Nachläſſigkeit (wie Raphaels herrlicher blonder Jüngling in Paris, der den Kopf in die Hand ſtützt) anſteigend zur bewegteren, empfundneren, die nur nie bis zur dramatiſchen, wie zu einer entſcheidenden Handlung geſpannten fortgehen darf. Das beſte Bildniß bleibt doch immer das einfach ruhige. Der prahleriſche, Effekt haſchende, auffahrende Wurf nach dem Zuſchauer iſt hier doppelt widerlich, weil er auch ſtoffartig gegen die Eitelkeit und Affectation einnimmt. Kleine, zufällige Bewegun- gen ſollen nicht von der Art ſein, daß man den Eindruck hat, es ſei ſchwer, darin zu verweilen. — Mit dem Unterſchiede der Situation hängt nun natürlich der Grad des Umfangs auch hier auf’s Engſte zuſammen. Zunächſt iſt zu bemerken, daß, wie die Statue (§. 632), ſo und noch viel mehr auch das Porträt, ſelbſt das von mehreren Figuren, ſich auf einen Theil der Geſtalt beſchränken kann: Bruſtbild, Knieſtück u. ſ. w. Es wird dieß ſogar gewöhnlich vorgezogen werden, ein natürliches Ergebniß davon, daß hier nur die vorzüglich ſprechenden Theile wirken ſollen; es bedarf einer etwas belebteren Situation mit ausführlicherer Darſtellung des Umgebenden, überdieß gewiſſer Formen der Tracht, welche die Bildung des Beins für das Auge beleben, um die ganze Figur zu rechtfertigen. Wir führen hier gelegentlich an, daß auch das Sittenbild und die Ge- ſchichtsmalerei halbe Figur vorziehen kann, wenn Moment und Ausdruck die über den ganzen Köper ergoſſene Mimik nicht weſentlich fordert. — Es geht nun auch die Bildnißmalerei dem Grade des Umfangs nach von der einzelnen Figur zur Gruppe von zwei, drei Perſonen, ja zu größeren, insbeſondere Familiengruppen, fort und ebenſo gibt ſie als Grund bald nur einen Farbenton, ein Helldunkel, bald Landſchaft, Zimmer mit Geräthen, wohl auch mit einem Hausthiere. Wie das Alles mit dem Unterſchiede des gewählten Moments ſich verbindet, ſich gegenſeitig bedingt, wäre intereſſant zu verfolgen; hier aber iſt die Betrachtung abzuſchließen mit der Unterſcheidung des Stylbilds und Stimmungsbilds. Es iſt klar, daß dieſer Gegenſatz in dem Gebiete der Bildnißmalerei ſchwächer auf- treten wird, als in den andern Zweigen, weil der ächt maleriſche Styl mit ſeiner ſpezialiſirenden, bewegteren, mehr lyriſchen, mit vollen Mitteln der Farbe wirkenden Auffaſſung und Ausführung hier recht in ſeinem Element iſt. Dennoch iſt der Spielraum groß genug, dem höheren Sty- liſiren, der Herrſchaft der Form und der Wirkung der weſentlichen Grund-
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Allgemeine, Ewige und den naturwarmen Blick des gegenwärtigen, ath-
menden Judividuums ineinander zu ſchmelzen.
Auch das Gebiet des Bildniſſes wird von einigen der Theilungs-Linien
durchſchnitten, die wir durch die andern Zweige gezogen haben. Wichtig
iſt vor Allem der Moment: unbewegte, ſtatuariſche Ruhe, bewegtere Si-
tuation vom ſpannungsloſen Geſchäfte (z. B. Leſen, Schreiben) oder nai-
ver Nachläſſigkeit (wie Raphaels herrlicher blonder Jüngling in Paris,
der den Kopf in die Hand ſtützt) anſteigend zur bewegteren, empfundneren,
die nur nie bis zur dramatiſchen, wie zu einer entſcheidenden Handlung
geſpannten fortgehen darf. Das beſte Bildniß bleibt doch immer das
einfach ruhige. Der prahleriſche, Effekt haſchende, auffahrende Wurf
nach dem Zuſchauer iſt hier doppelt widerlich, weil er auch ſtoffartig
gegen die Eitelkeit und Affectation einnimmt. Kleine, zufällige Bewegun-
gen ſollen nicht von der Art ſein, daß man den Eindruck hat, es ſei
ſchwer, darin zu verweilen. — Mit dem Unterſchiede der Situation hängt
nun natürlich der Grad des Umfangs auch hier auf’s Engſte zuſammen.
Zunächſt iſt zu bemerken, daß, wie die Statue (§. 632), ſo und noch viel
mehr auch das Porträt, ſelbſt das von mehreren Figuren, ſich auf einen
Theil der Geſtalt beſchränken kann: Bruſtbild, Knieſtück u. ſ. w. Es
wird dieß ſogar gewöhnlich vorgezogen werden, ein natürliches Ergebniß
davon, daß hier nur die vorzüglich ſprechenden Theile wirken ſollen; es
bedarf einer etwas belebteren Situation mit ausführlicherer Darſtellung
des Umgebenden, überdieß gewiſſer Formen der Tracht, welche die Bildung
des Beins für das Auge beleben, um die ganze Figur zu rechtfertigen.
Wir führen hier gelegentlich an, daß auch das Sittenbild und die Ge-
ſchichtsmalerei halbe Figur vorziehen kann, wenn Moment und Ausdruck
die über den ganzen Köper ergoſſene Mimik nicht weſentlich fordert. —
Es geht nun auch die Bildnißmalerei dem Grade des Umfangs nach
von der einzelnen Figur zur Gruppe von zwei, drei Perſonen, ja zu
größeren, insbeſondere Familiengruppen, fort und ebenſo gibt ſie als Grund
bald nur einen Farbenton, ein Helldunkel, bald Landſchaft, Zimmer mit
Geräthen, wohl auch mit einem Hausthiere. Wie das Alles mit dem
Unterſchiede des gewählten Moments ſich verbindet, ſich gegenſeitig bedingt,
wäre intereſſant zu verfolgen; hier aber iſt die Betrachtung abzuſchließen
mit der Unterſcheidung des Stylbilds und Stimmungsbilds. Es iſt klar,
daß dieſer Gegenſatz in dem Gebiete der Bildnißmalerei ſchwächer auf-
treten wird, als in den andern Zweigen, weil der ächt maleriſche Styl
mit ſeiner ſpezialiſirenden, bewegteren, mehr lyriſchen, mit vollen Mitteln
der Farbe wirkenden Auffaſſung und Ausführung hier recht in ſeinem
Element iſt. Dennoch iſt der Spielraum groß genug, dem höheren Sty-
liſiren, der Herrſchaft der Form und der Wirkung der weſentlichen Grund-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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