Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.sie den Sinn ihrer Auffassung, daß hier ein Wohnsitz für große Menschen ſie den Sinn ihrer Auffaſſung, daß hier ein Wohnſitz für große Menſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0160" n="652"/> <hi rendition="#et">ſie den Sinn ihrer Auffaſſung, daß hier ein Wohnſitz für große Menſchen<lb/> ſich entfalte, das Pathos, das in dieſer Auffaſſung die Natur durchſtrömte,<lb/> ausdrücklich auch in Menſchen- oder Götter-Form und Thaten niederlegen<lb/> zu müſſen. Durch Tempel und Paläſte in der Pracht der Neuheit ſprach<lb/> ſie denſelben Gedanken aus und wenn ſie Ruinen vorzog, ſo wies ſie doch<lb/> in der Staffage um ſo deutlicher auf ein idylliſches Glück, das ſich neben<lb/> verfallener Herrlichkeit niedergelaſſen. In der Compoſition war ſie rein<lb/> idealiſtiſch: ſie erdichtete und ordnete das Ganze frei mit Hülfe weniger<lb/> Localſtudien; örtliche Phyſiognomie erſchien ihr, genau wie der Plaſtik die<lb/> Beſtimmtheit des Natürlichen und Individuellen, als Trübung eines Na-<lb/> tur-Ideals, worin jede Form und Lebenskraft zur Vollkommenheit ent-<lb/> wickelt, worin auch das Einzelne ohne Mangel ſein ſollte, einer Welt<lb/> von Götterbergen, Götterbäumen, Götterlüften, eines Mythus der Natur.<lb/> Was die beſondern Formen, Erdbildung, Vegetation betrifft, ſo grenzte<lb/> die Behandlung derſelben nahe an eine Regelmäßigkeit, die bei den Nach-<lb/> ahmern ſammt jener Freiheit der Compoſition unaufhaltſam in eine con-<lb/> ventionell generaliſirende Manier und von da in das Decorations-artige,<lb/> Tapetenmäßige überging, wo denn die Wärme der Naturwahrheit dadurch<lb/> nicht gerettet wurde, daß man als Staffage im Verlauf zerfetztes, zer-<lb/> ſchliſſenes Lazzaroni-Volk in ſeltſamem Fehlgriff einer richtigen Ahnung<lb/> des Romantiſchen der Nationaltracht anfieng vorzuziehen. Wie neben dem<lb/> großen Anfänger Titian und den berühmten Vollendern dieſer Gattung,<lb/> den beiden Pouſſin und Claude Lorrain, ſchon die Schule der Caracci<lb/> und die Naturaliſten Neapels, vor Allem Salvator Roſa, ein ſtärkeres<lb/> Maaß der Naturzufälligkeit in dieſe Auffaſſung einführten, ſo haben in neue-<lb/> rer Zeit Koch und Reinhard dem großartig Idealen auch den beſtimmteren<lb/> Local-Charakter italieniſcher Gegenden eingeſchmolzen, ohne jedoch die<lb/> übrigen Eigenſchaften der heroiſchen Landſchaft aufzugeben und daher auch<lb/> ohne dieſe Gattung bleibend neu beleben zu können. Denn in Wahrheit<lb/> fehlt ihr jenes Maaß des Naturaliſtiſchen und Individuellen, der Phy-<lb/> ſiognomik, welches die Malerei trotz der Berechtigung des plaſtiſchen Styls<lb/> fordert. Der Gegenſatz gegen den rein maleriſchen Styl, der aus här-<lb/> terer Form, localerem Gepräge, verhüllterer, gebrochnerer Farbe nnd<lb/> ſtärkerem Walten des Helldunkels ohne die Mithülfe einer zu pathetiſchen<lb/> oder überhaupt zu bedeutenden Staffage die Idealität als Stimmung,<lb/> als Seele reſultiren läßt und nach dem Vorgang eines Rubens zuerſt in<lb/> J. Ruysdael ſich in ſeiner ganzen Macht zuſammenfaßt, iſt immer noch<lb/> ſtark genug, wenn man, wie Rottmann, ein ideal erfaßtes, plaſtiſch durch-<lb/> gebildetes Porträt einer beſtimmten Gegend von großartig reinen Formen<lb/> und Farben gibt, die Zufälligkeit in feiner Linie walten läßt, Götter,<lb/> Heroen, Patriarchen, Prunk der Tempel, Paläſte, pathetiſcher Ruinen<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [652/0160]
ſie den Sinn ihrer Auffaſſung, daß hier ein Wohnſitz für große Menſchen
ſich entfalte, das Pathos, das in dieſer Auffaſſung die Natur durchſtrömte,
ausdrücklich auch in Menſchen- oder Götter-Form und Thaten niederlegen
zu müſſen. Durch Tempel und Paläſte in der Pracht der Neuheit ſprach
ſie denſelben Gedanken aus und wenn ſie Ruinen vorzog, ſo wies ſie doch
in der Staffage um ſo deutlicher auf ein idylliſches Glück, das ſich neben
verfallener Herrlichkeit niedergelaſſen. In der Compoſition war ſie rein
idealiſtiſch: ſie erdichtete und ordnete das Ganze frei mit Hülfe weniger
Localſtudien; örtliche Phyſiognomie erſchien ihr, genau wie der Plaſtik die
Beſtimmtheit des Natürlichen und Individuellen, als Trübung eines Na-
tur-Ideals, worin jede Form und Lebenskraft zur Vollkommenheit ent-
wickelt, worin auch das Einzelne ohne Mangel ſein ſollte, einer Welt
von Götterbergen, Götterbäumen, Götterlüften, eines Mythus der Natur.
Was die beſondern Formen, Erdbildung, Vegetation betrifft, ſo grenzte
die Behandlung derſelben nahe an eine Regelmäßigkeit, die bei den Nach-
ahmern ſammt jener Freiheit der Compoſition unaufhaltſam in eine con-
ventionell generaliſirende Manier und von da in das Decorations-artige,
Tapetenmäßige überging, wo denn die Wärme der Naturwahrheit dadurch
nicht gerettet wurde, daß man als Staffage im Verlauf zerfetztes, zer-
ſchliſſenes Lazzaroni-Volk in ſeltſamem Fehlgriff einer richtigen Ahnung
des Romantiſchen der Nationaltracht anfieng vorzuziehen. Wie neben dem
großen Anfänger Titian und den berühmten Vollendern dieſer Gattung,
den beiden Pouſſin und Claude Lorrain, ſchon die Schule der Caracci
und die Naturaliſten Neapels, vor Allem Salvator Roſa, ein ſtärkeres
Maaß der Naturzufälligkeit in dieſe Auffaſſung einführten, ſo haben in neue-
rer Zeit Koch und Reinhard dem großartig Idealen auch den beſtimmteren
Local-Charakter italieniſcher Gegenden eingeſchmolzen, ohne jedoch die
übrigen Eigenſchaften der heroiſchen Landſchaft aufzugeben und daher auch
ohne dieſe Gattung bleibend neu beleben zu können. Denn in Wahrheit
fehlt ihr jenes Maaß des Naturaliſtiſchen und Individuellen, der Phy-
ſiognomik, welches die Malerei trotz der Berechtigung des plaſtiſchen Styls
fordert. Der Gegenſatz gegen den rein maleriſchen Styl, der aus här-
terer Form, localerem Gepräge, verhüllterer, gebrochnerer Farbe nnd
ſtärkerem Walten des Helldunkels ohne die Mithülfe einer zu pathetiſchen
oder überhaupt zu bedeutenden Staffage die Idealität als Stimmung,
als Seele reſultiren läßt und nach dem Vorgang eines Rubens zuerſt in
J. Ruysdael ſich in ſeiner ganzen Macht zuſammenfaßt, iſt immer noch
ſtark genug, wenn man, wie Rottmann, ein ideal erfaßtes, plaſtiſch durch-
gebildetes Porträt einer beſtimmten Gegend von großartig reinen Formen
und Farben gibt, die Zufälligkeit in feiner Linie walten läßt, Götter,
Heroen, Patriarchen, Prunk der Tempel, Paläſte, pathetiſcher Ruinen
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