kein Wort; wir sagen etwa: das fühlt sich so öde, so hart, so schwül, so dämmernd, so feucht, aber wir sind uns bewußt, wie ungenügend wir den Zustand bezeichnen. Nur so viel ist gewiß: der Maler, dessen Landschaft nicht so auf uns wirkt, daß uns irgendwie zu Muthe wird, hat nichts geleistet. Dieß ist nun ganz wie in der Musik, wo unser Herz voll ist und doch das Wort keinen Ausdruck dafür hat, oder wie in der Lyrik, wenn man von dem bestimmteren Inhalt absieht und nur das Tönen und Weben der Empfindung in's Auge faßt, das durch ein Gedicht geht. Es ist ein ästhetischer Fehler, wenn der Künstler, damit nicht zu- frieden, bestimmte Gedanken mit sichtbarer Ausdrücklichkeit in der Land- schaft andeutet, wie z. B. Lessing in seinem winterlichen Kirchhofe, ja selbst Rottmann, wo er die Stätten großer Erinnerungen so behandelt, daß man durch Gewitter und dergl. mit merklichem, symbolischem Finger- zeig auf die Geschichte hingewiesen wird: man fühlt die Absicht und wird dadurch aus jener Dämmerung des Leihens, wodurch wir der Natur Empfin- dungen unterlegen, gerade herausgeworfen, man fühlt, daß zu viel geliehen und daher das Unwillkührliche des Leihens aufgehoben ist. Dieß führt auf das Positive, was mit jenem Ausdrucke: geahnte Seelenstimmung gesagt sein soll. Hierüber ist jedoch bereits zu §. 240 das Nöthige bemerkt; dazu vergl. §. 270 von der Pflanze: das erste lebendige Individuum in der Natur, scheint sie dem ahnenden Menschen, welcher seine Empfindungen der unbeseelten Welt leihend unterlegt, vorzuempfinden, gibt bestimmteren Anhalt für dieses Leihen. In §. 654 ist gezeigt, wie diese psychische Be- dingung in der Auffassungsweise der Malerei nun eintritt. Auch in den Krit. Gängen des Verf. B. 1, S. 222 ist der innere Vorgang dargestellt: wir fühlen wohl in dunkler Weise, daß das Leihen ein bloßes Leihen ist, aber darum geben wir es nicht auf, sondern vollziehen nun die Vorstellung, als ob die Natur zu gleicher Zeit eine die Stimmungen des menschlichen Gemüths vorbildende und wiederholende Seele in sich bärge und dennoch in ungetrübter Objectivität und Gesetzmäßigkeit nicht um die Schmerzen des subjectiven Lebens wüßte, als ob sie eine Seele ohne Seele hätte, ein Gemüth ohne die Spannungen und Conflicte des Gemüths oder ein solches, das, wo es sie zu theilen, in Sturm und Zerstörung vor- zubilden scheint, trotz denselben einig mit sich bleibt. Das ist der Grund unserer sentimentalen Beziehung auf die Natur: wir suchen in ihr den noch ungetheilten Menschen. Das Seelenleben, wie es sich hier ge- spiegelt sieht, bleibt reines, naturnothwendiges Sein; dieß haben wir episch genannt und man sieht nun deutlicher, wie beide Bestimmungen, die des Lyrischen und des Epischen, sich vertragen. -- Uebrigens leuchtet nun ein, wie in diesem Gebiete mit ganz besonderer Kraft in Geltung tritt, was von der Bedeutung der allgemeinen Medien, vom Tone, von der
Vischer's Aesthetik. 3. Band. 43
kein Wort; wir ſagen etwa: das fühlt ſich ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo dämmernd, ſo feucht, aber wir ſind uns bewußt, wie ungenügend wir den Zuſtand bezeichnen. Nur ſo viel iſt gewiß: der Maler, deſſen Landſchaft nicht ſo auf uns wirkt, daß uns irgendwie zu Muthe wird, hat nichts geleiſtet. Dieß iſt nun ganz wie in der Muſik, wo unſer Herz voll iſt und doch das Wort keinen Ausdruck dafür hat, oder wie in der Lyrik, wenn man von dem beſtimmteren Inhalt abſieht und nur das Tönen und Weben der Empfindung in’s Auge faßt, das durch ein Gedicht geht. Es iſt ein äſthetiſcher Fehler, wenn der Künſtler, damit nicht zu- frieden, beſtimmte Gedanken mit ſichtbarer Ausdrücklichkeit in der Land- ſchaft andeutet, wie z. B. Leſſing in ſeinem winterlichen Kirchhofe, ja ſelbſt Rottmann, wo er die Stätten großer Erinnerungen ſo behandelt, daß man durch Gewitter und dergl. mit merklichem, ſymboliſchem Finger- zeig auf die Geſchichte hingewieſen wird: man fühlt die Abſicht und wird dadurch aus jener Dämmerung des Leihens, wodurch wir der Natur Empfin- dungen unterlegen, gerade herausgeworfen, man fühlt, daß zu viel geliehen und daher das Unwillkührliche des Leihens aufgehoben iſt. Dieß führt auf das Poſitive, was mit jenem Ausdrucke: geahnte Seelenſtimmung geſagt ſein ſoll. Hierüber iſt jedoch bereits zu §. 240 das Nöthige bemerkt; dazu vergl. §. 270 von der Pflanze: das erſte lebendige Individuum in der Natur, ſcheint ſie dem ahnenden Menſchen, welcher ſeine Empfindungen der unbeſeelten Welt leihend unterlegt, vorzuempfinden, gibt beſtimmteren Anhalt für dieſes Leihen. In §. 654 iſt gezeigt, wie dieſe pſychiſche Be- dingung in der Auffaſſungsweiſe der Malerei nun eintritt. Auch in den Krit. Gängen des Verf. B. 1, S. 222 iſt der innere Vorgang dargeſtellt: wir fühlen wohl in dunkler Weiſe, daß das Leihen ein bloßes Leihen iſt, aber darum geben wir es nicht auf, ſondern vollziehen nun die Vorſtellung, als ob die Natur zu gleicher Zeit eine die Stimmungen des menſchlichen Gemüths vorbildende und wiederholende Seele in ſich bärge und dennoch in ungetrübter Objectivität und Geſetzmäßigkeit nicht um die Schmerzen des ſubjectiven Lebens wüßte, als ob ſie eine Seele ohne Seele hätte, ein Gemüth ohne die Spannungen und Conflicte des Gemüths oder ein ſolches, das, wo es ſie zu theilen, in Sturm und Zerſtörung vor- zubilden ſcheint, trotz denſelben einig mit ſich bleibt. Das iſt der Grund unſerer ſentimentalen Beziehung auf die Natur: wir ſuchen in ihr den noch ungetheilten Menſchen. Das Seelenleben, wie es ſich hier ge- ſpiegelt ſieht, bleibt reines, naturnothwendiges Sein; dieß haben wir epiſch genannt und man ſieht nun deutlicher, wie beide Beſtimmungen, die des Lyriſchen und des Epiſchen, ſich vertragen. — Uebrigens leuchtet nun ein, wie in dieſem Gebiete mit ganz beſonderer Kraft in Geltung tritt, was von der Bedeutung der allgemeinen Medien, vom Tone, von der
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 43
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kein Wort; wir ſagen etwa: das fühlt ſich ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo
dämmernd, ſo feucht, aber wir ſind uns bewußt, wie ungenügend wir den
Zuſtand bezeichnen. Nur ſo viel iſt gewiß: der Maler, deſſen Landſchaft
nicht ſo auf uns wirkt, daß uns irgendwie zu Muthe wird, hat
nichts geleiſtet. Dieß iſt nun ganz wie in der Muſik, wo unſer Herz
voll iſt und doch das Wort keinen Ausdruck dafür hat, oder wie in der
Lyrik, wenn man von dem beſtimmteren Inhalt abſieht und nur das
Tönen und Weben der Empfindung in’s Auge faßt, das durch ein Gedicht
geht. Es iſt ein äſthetiſcher Fehler, wenn der Künſtler, damit nicht zu-
frieden, beſtimmte Gedanken mit ſichtbarer Ausdrücklichkeit in der Land-
ſchaft andeutet, wie z. B. Leſſing in ſeinem winterlichen Kirchhofe, ja
ſelbſt Rottmann, wo er die Stätten großer Erinnerungen ſo behandelt,
daß man durch Gewitter und dergl. mit merklichem, ſymboliſchem Finger-
zeig auf die Geſchichte hingewieſen wird: man fühlt die Abſicht und wird
dadurch aus jener Dämmerung des Leihens, wodurch wir der Natur Empfin-
dungen unterlegen, gerade herausgeworfen, man fühlt, daß zu viel geliehen
und daher das Unwillkührliche des Leihens aufgehoben iſt. Dieß führt
auf das Poſitive, was mit jenem Ausdrucke: geahnte Seelenſtimmung
geſagt ſein ſoll. Hierüber iſt jedoch bereits zu §. 240 das Nöthige bemerkt;
dazu vergl. §. 270 von der Pflanze: das erſte lebendige Individuum in
der Natur, ſcheint ſie dem ahnenden Menſchen, welcher ſeine Empfindungen
der unbeſeelten Welt leihend unterlegt, vorzuempfinden, gibt beſtimmteren
Anhalt für dieſes Leihen. In §. 654 iſt gezeigt, wie dieſe pſychiſche Be-
dingung in der Auffaſſungsweiſe der Malerei nun eintritt. Auch in den
Krit. Gängen des Verf. B. 1, S. 222 iſt der innere Vorgang dargeſtellt:
wir fühlen wohl in dunkler Weiſe, daß das Leihen ein bloßes Leihen iſt,
aber darum geben wir es nicht auf, ſondern vollziehen nun die Vorſtellung,
als ob die Natur zu gleicher Zeit eine die Stimmungen des menſchlichen
Gemüths vorbildende und wiederholende Seele in ſich bärge und dennoch
in ungetrübter Objectivität und Geſetzmäßigkeit nicht um die Schmerzen
des ſubjectiven Lebens wüßte, als ob ſie eine Seele ohne Seele hätte,
ein Gemüth ohne die Spannungen und Conflicte des Gemüths oder
ein ſolches, das, wo es ſie zu theilen, in Sturm und Zerſtörung vor-
zubilden ſcheint, trotz denſelben einig mit ſich bleibt. Das iſt der Grund
unſerer ſentimentalen Beziehung auf die Natur: wir ſuchen in ihr den
noch ungetheilten Menſchen. Das Seelenleben, wie es ſich hier ge-
ſpiegelt ſieht, bleibt reines, naturnothwendiges Sein; dieß haben wir
epiſch genannt und man ſieht nun deutlicher, wie beide Beſtimmungen,
die des Lyriſchen und des Epiſchen, ſich vertragen. — Uebrigens leuchtet nun
ein, wie in dieſem Gebiete mit ganz beſonderer Kraft in Geltung tritt,
was von der Bedeutung der allgemeinen Medien, vom Tone, von der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/157>, abgerufen am 05.07.2024.
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