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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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so zusammenschließen, daß ihre Vereinigung auf den Gliederbau Einer
Gestalt hinweist, wie ihn das Porträt gibt, nur daß nothwendig die Basis
sich mehr ausdehnt; andere künstlerische Bedingungen ziehen umgekehrt
das Viereck in die Länge bis zum Relief-artigen Streifen, man würde
auch hier ein Ungefähres über die damit zugleich gegebene Art der An-
ordnung im Bilde zu bestimmen suchen u. s. w. Allein die Motive sind
ja ebenso häufig zunächst rein äußerlich gegeben, als frei vom Künstler
bestimmt, damit dringt eine Mannigfaltigkeit von Formen ein, welche gar
nicht weiter verfolgt werden kann. Bei der Freske ist die architektonische
Fläche in unendlich verschiedenen Figuren, selbst Dreiecken, Kreis-Aus-
schnitten jeder Art und Abschließungen derselben mit der geraden Linie
gegeben; für das Oelbild ist es nicht nur eine besondere Construction wie
der Hochaltar, sondern in monumentalen oder Privatgebäuden ebenfalls
die Dehnung der Wand, was oft genug die Grundgestalt bestimmt; die
Venetianer z. B. haben ganz besonders die Längen-Composition geliebt
und demgemäß die Figuren mehr auseinandergezogen, als streng verbun-
den, eine starke Neigung, gebückt Anbetende aufzureihen, hängt damit
zusammen und bei einem Bassano läuft diese Neigung zuletzt dahin aus,
daß er durchaus seine Figuren zur Erde bückt und drückt: diese Neigung
der Schule scheint durch die häufige Aufgabe, die langen Wände der
Palastsäle mit großen Gemälden zu schmücken, veranlaßt zu sein. So
mögen sich stehende Gewohnheiten bilden, im Allgemeinen jedoch wird frei
nach Maaßgabe der einzelnen Aufgabe die äußere Bedingung dem Künst-
ler zu einem innern ästhetischen Motive werden, wofür es wohl kein
höheres Beispiel gibt, als die Composition der sixt. Madonna Raphaels,
wo mit der überhöhten Form der Prozessionsfahne einer der erhabensten
Kunstgedanken aller Zeit im Geiste des Künstlers zusammenwuchs; allein
die Umbildung eines äußern Motivs zu einem innern verändert nichts
an der unberechenbaren Natur des erstern, wie sie in der Mannigfaltig-
keit der Zufälle liegt, und somit mischt sich hier eine neue Beziehung ein,
wodurch die Seite der Composition, die etwa durch allgemeine Sätze be-
stimmbar ist, mit einer breiten Schichte von Unbestimmbarem umlagert wird.

2. Das Bildwerk nimmt sich wie alle Kunst ein Stück Welt und er-
höht es zum Ausdruck des Weltganzen, aber da es nur mit der geschlos-
senen organischen Gestalt zu thun hat, so schließt sich diese, zufrieden,
durch ein Postament vom gemeinen Boden getrennt zu sein, durch sich
selbst, durch ihre Kunstform von der Welt ab. Die Malerei aber, da sie zu
den Gestalten ihren Raum gibt, stellt im engeren Sinn einen Ausschnitt
aus der Welt vor uns hin; gerade, weil sie die organische Gestalt nicht
aus ihren Umgebungen herausschneidet, muß sie da durchschneiden, wo
doch das Object (Erde, Wasser, Luft u. s. w.) continuirlich weiter läuft.

ſo zuſammenſchließen, daß ihre Vereinigung auf den Gliederbau Einer
Geſtalt hinweist, wie ihn das Porträt gibt, nur daß nothwendig die Baſis
ſich mehr ausdehnt; andere künſtleriſche Bedingungen ziehen umgekehrt
das Viereck in die Länge bis zum Relief-artigen Streifen, man würde
auch hier ein Ungefähres über die damit zugleich gegebene Art der An-
ordnung im Bilde zu beſtimmen ſuchen u. ſ. w. Allein die Motive ſind
ja ebenſo häufig zunächſt rein äußerlich gegeben, als frei vom Künſtler
beſtimmt, damit dringt eine Mannigfaltigkeit von Formen ein, welche gar
nicht weiter verfolgt werden kann. Bei der Freske iſt die architektoniſche
Fläche in unendlich verſchiedenen Figuren, ſelbſt Dreiecken, Kreis-Aus-
ſchnitten jeder Art und Abſchließungen derſelben mit der geraden Linie
gegeben; für das Oelbild iſt es nicht nur eine beſondere Conſtruction wie
der Hochaltar, ſondern in monumentalen oder Privatgebäuden ebenfalls
die Dehnung der Wand, was oft genug die Grundgeſtalt beſtimmt; die
Venetianer z. B. haben ganz beſonders die Längen-Compoſition geliebt
und demgemäß die Figuren mehr auseinandergezogen, als ſtreng verbun-
den, eine ſtarke Neigung, gebückt Anbetende aufzureihen, hängt damit
zuſammen und bei einem Baſſano läuft dieſe Neigung zuletzt dahin aus,
daß er durchaus ſeine Figuren zur Erde bückt und drückt: dieſe Neigung
der Schule ſcheint durch die häufige Aufgabe, die langen Wände der
Palaſtſäle mit großen Gemälden zu ſchmücken, veranlaßt zu ſein. So
mögen ſich ſtehende Gewohnheiten bilden, im Allgemeinen jedoch wird frei
nach Maaßgabe der einzelnen Aufgabe die äußere Bedingung dem Künſt-
ler zu einem innern äſthetiſchen Motive werden, wofür es wohl kein
höheres Beiſpiel gibt, als die Compoſition der ſixt. Madonna Raphaels,
wo mit der überhöhten Form der Prozeſſionsfahne einer der erhabenſten
Kunſtgedanken aller Zeit im Geiſte des Künſtlers zuſammenwuchs; allein
die Umbildung eines äußern Motivs zu einem innern verändert nichts
an der unberechenbaren Natur des erſtern, wie ſie in der Mannigfaltig-
keit der Zufälle liegt, und ſomit miſcht ſich hier eine neue Beziehung ein,
wodurch die Seite der Compoſition, die etwa durch allgemeine Sätze be-
ſtimmbar iſt, mit einer breiten Schichte von Unbeſtimmbarem umlagert wird.

2. Das Bildwerk nimmt ſich wie alle Kunſt ein Stück Welt und er-
höht es zum Ausdruck des Weltganzen, aber da es nur mit der geſchloſ-
ſenen organiſchen Geſtalt zu thun hat, ſo ſchließt ſich dieſe, zufrieden,
durch ein Poſtament vom gemeinen Boden getrennt zu ſein, durch ſich
ſelbſt, durch ihre Kunſtform von der Welt ab. Die Malerei aber, da ſie zu
den Geſtalten ihren Raum gibt, ſtellt im engeren Sinn einen Ausſchnitt
aus der Welt vor uns hin; gerade, weil ſie die organiſche Geſtalt nicht
aus ihren Umgebungen herausſchneidet, muß ſie da durchſchneiden, wo
doch das Object (Erde, Waſſer, Luft u. ſ. w.) continuirlich weiter läuft.

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[615/0123] ſo zuſammenſchließen, daß ihre Vereinigung auf den Gliederbau Einer Geſtalt hinweist, wie ihn das Porträt gibt, nur daß nothwendig die Baſis ſich mehr ausdehnt; andere künſtleriſche Bedingungen ziehen umgekehrt das Viereck in die Länge bis zum Relief-artigen Streifen, man würde auch hier ein Ungefähres über die damit zugleich gegebene Art der An- ordnung im Bilde zu beſtimmen ſuchen u. ſ. w. Allein die Motive ſind ja ebenſo häufig zunächſt rein äußerlich gegeben, als frei vom Künſtler beſtimmt, damit dringt eine Mannigfaltigkeit von Formen ein, welche gar nicht weiter verfolgt werden kann. Bei der Freske iſt die architektoniſche Fläche in unendlich verſchiedenen Figuren, ſelbſt Dreiecken, Kreis-Aus- ſchnitten jeder Art und Abſchließungen derſelben mit der geraden Linie gegeben; für das Oelbild iſt es nicht nur eine beſondere Conſtruction wie der Hochaltar, ſondern in monumentalen oder Privatgebäuden ebenfalls die Dehnung der Wand, was oft genug die Grundgeſtalt beſtimmt; die Venetianer z. B. haben ganz beſonders die Längen-Compoſition geliebt und demgemäß die Figuren mehr auseinandergezogen, als ſtreng verbun- den, eine ſtarke Neigung, gebückt Anbetende aufzureihen, hängt damit zuſammen und bei einem Baſſano läuft dieſe Neigung zuletzt dahin aus, daß er durchaus ſeine Figuren zur Erde bückt und drückt: dieſe Neigung der Schule ſcheint durch die häufige Aufgabe, die langen Wände der Palaſtſäle mit großen Gemälden zu ſchmücken, veranlaßt zu ſein. So mögen ſich ſtehende Gewohnheiten bilden, im Allgemeinen jedoch wird frei nach Maaßgabe der einzelnen Aufgabe die äußere Bedingung dem Künſt- ler zu einem innern äſthetiſchen Motive werden, wofür es wohl kein höheres Beiſpiel gibt, als die Compoſition der ſixt. Madonna Raphaels, wo mit der überhöhten Form der Prozeſſionsfahne einer der erhabenſten Kunſtgedanken aller Zeit im Geiſte des Künſtlers zuſammenwuchs; allein die Umbildung eines äußern Motivs zu einem innern verändert nichts an der unberechenbaren Natur des erſtern, wie ſie in der Mannigfaltig- keit der Zufälle liegt, und ſomit miſcht ſich hier eine neue Beziehung ein, wodurch die Seite der Compoſition, die etwa durch allgemeine Sätze be- ſtimmbar iſt, mit einer breiten Schichte von Unbeſtimmbarem umlagert wird. 2. Das Bildwerk nimmt ſich wie alle Kunſt ein Stück Welt und er- höht es zum Ausdruck des Weltganzen, aber da es nur mit der geſchloſ- ſenen organiſchen Geſtalt zu thun hat, ſo ſchließt ſich dieſe, zufrieden, durch ein Poſtament vom gemeinen Boden getrennt zu ſein, durch ſich ſelbſt, durch ihre Kunſtform von der Welt ab. Die Malerei aber, da ſie zu den Geſtalten ihren Raum gibt, ſtellt im engeren Sinn einen Ausſchnitt aus der Welt vor uns hin; gerade, weil ſie die organiſche Geſtalt nicht aus ihren Umgebungen herausſchneidet, muß ſie da durchſchneiden, wo doch das Object (Erde, Waſſer, Luft u. ſ. w.) continuirlich weiter läuft.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/123>, abgerufen am 24.11.2024.