gemeinen Medien der höhere Werth gelegt ist, sind allgemeine Feststellungen von solcher Bestimmtheit, wie in der Plastik, nicht möglich.
In der Herrschaft der Linien-Verhältnisse bei der bildnerischen Com- position haben wir einen Ausdruck ihrer innern Verwandtschaft mit der Baukunst gefunden (§. 626, 1.). Man sagt nun wohl auch von einem Gemälde: es baut sich schön, aber es muß sich nicht nothwendig schön bauen; wenn Anderes, was neben der Linienbildung die Harmonie des Ganzen zu begründen hat, auf eine befriedigende Weise wirkt, so mögen die Linien an sich immerhin weniger schön, im Einzelnen selbst nicht schön, ja unschön sein, man sagt dennoch nicht: es baut sich nicht schön, weil man von dem sich Bauen jetzt absieht; tritt aber dieß Andere nicht als Ersatz ein, dann sagt man es. Als das erste Moment, das die Aesthetik der Linie beschränkt, führt der §. die mitdargestellte räumliche Umgebung auf. In Raphaels Schule von Athen treten Plato und Aristoteles als die Hauptfiguren hervor; sie stehen auch oben auf der Treppe, über welche die ganze Composition sich ausbreitet, aber nicht allein, sondern umgeben von Schülern und weiteren zur Seite aufgestellten Gruppen. Nach plastischem Gesetz müßte ihre Bedeutung viel entschiedener durch die Wirkung der Höhe ausgedrückt sein, sie müßten weit bestimmter die Spitze einer ungefähren Pyra- mide darstellen. Nun aber wölbt sich über dieser obersten Gruppe die pracht- volle Halle und das Auge fühlt die herrliche Wölbung wie eine Art von räumlich dargestellter Erweiterung der geistigen Größe der zwei Haupt- figuren. Natürlich wird diese Art von Zuwachs noch eine besondere Be- deutung durch die Beleuchtung und Farbe erhalten können, von welcher vorerst noch nicht die Rede ist. Das zweite Moment ist die Perspective. Wir haben gesehen, wie sie mit ihren drei Gründen zu den Abstufungen und Arten der Idealität sich verhält: in gewisser Weise idealisirt die Ferne, in gewisser die Nähe, diese im Sinn der kräftigen Behauptung des in sich geschlossenen Daseins, jene im Sinn der Auflösung in das Unendliche. In der Sculptur wird die höhere Bedeutung einer Person äußerlich in den Raumverhältnissen durch die Höhe und durch die Stel- lung in der Mitte, im Relief auch durch Stellung an den Enden einer Reihe ausgedrückt; in der Malerei aber muß dieses plastische Gesetz eben durch die hinzugetretene Richtung in die Tiefe auf's Mannigfaltigste modi- ficirt werden. Freilich ist dieß nach Zweigen verschieden; in der Land- schaft wird in der Regel die höchste Wirkung in der Ferne sich sammeln, in der thierischen und menschlichen Darstellung wird es dabei bleiben, was wir schon aufgestellt haben, daß die bedeutenderen Individuen den Vordergrund oder näheren Mittelgrund einnehmen; die Ferne wird uns also hier die Aufsuchung einer ungefähren Bestimmung des Compositions-
gemeinen Medien der höhere Werth gelegt iſt, ſind allgemeine Feſtſtellungen von ſolcher Beſtimmtheit, wie in der Plaſtik, nicht möglich.
In der Herrſchaft der Linien-Verhältniſſe bei der bildneriſchen Com- poſition haben wir einen Ausdruck ihrer innern Verwandtſchaft mit der Baukunſt gefunden (§. 626, 1.). Man ſagt nun wohl auch von einem Gemälde: es baut ſich ſchön, aber es muß ſich nicht nothwendig ſchön bauen; wenn Anderes, was neben der Linienbildung die Harmonie des Ganzen zu begründen hat, auf eine befriedigende Weiſe wirkt, ſo mögen die Linien an ſich immerhin weniger ſchön, im Einzelnen ſelbſt nicht ſchön, ja unſchön ſein, man ſagt dennoch nicht: es baut ſich nicht ſchön, weil man von dem ſich Bauen jetzt abſieht; tritt aber dieß Andere nicht als Erſatz ein, dann ſagt man es. Als das erſte Moment, das die Aeſthetik der Linie beſchränkt, führt der §. die mitdargeſtellte räumliche Umgebung auf. In Raphaels Schule von Athen treten Plato und Ariſtoteles als die Hauptfiguren hervor; ſie ſtehen auch oben auf der Treppe, über welche die ganze Compoſition ſich ausbreitet, aber nicht allein, ſondern umgeben von Schülern und weiteren zur Seite aufgeſtellten Gruppen. Nach plaſtiſchem Geſetz müßte ihre Bedeutung viel entſchiedener durch die Wirkung der Höhe ausgedrückt ſein, ſie müßten weit beſtimmter die Spitze einer ungefähren Pyra- mide darſtellen. Nun aber wölbt ſich über dieſer oberſten Gruppe die pracht- volle Halle und das Auge fühlt die herrliche Wölbung wie eine Art von räumlich dargeſtellter Erweiterung der geiſtigen Größe der zwei Haupt- figuren. Natürlich wird dieſe Art von Zuwachs noch eine beſondere Be- deutung durch die Beleuchtung und Farbe erhalten können, von welcher vorerſt noch nicht die Rede iſt. Das zweite Moment iſt die Perſpective. Wir haben geſehen, wie ſie mit ihren drei Gründen zu den Abſtufungen und Arten der Idealität ſich verhält: in gewiſſer Weiſe idealiſirt die Ferne, in gewiſſer die Nähe, dieſe im Sinn der kräftigen Behauptung des in ſich geſchloſſenen Daſeins, jene im Sinn der Auflöſung in das Unendliche. In der Sculptur wird die höhere Bedeutung einer Perſon äußerlich in den Raumverhältniſſen durch die Höhe und durch die Stel- lung in der Mitte, im Relief auch durch Stellung an den Enden einer Reihe ausgedrückt; in der Malerei aber muß dieſes plaſtiſche Geſetz eben durch die hinzugetretene Richtung in die Tiefe auf’s Mannigfaltigſte modi- ficirt werden. Freilich iſt dieß nach Zweigen verſchieden; in der Land- ſchaft wird in der Regel die höchſte Wirkung in der Ferne ſich ſammeln, in der thieriſchen und menſchlichen Darſtellung wird es dabei bleiben, was wir ſchon aufgeſtellt haben, daß die bedeutenderen Individuen den Vordergrund oder näheren Mittelgrund einnehmen; die Ferne wird uns alſo hier die Aufſuchung einer ungefähren Beſtimmung des Compoſitions-
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[610/0118]
gemeinen Medien der höhere Werth gelegt iſt, ſind allgemeine Feſtſtellungen
von ſolcher Beſtimmtheit, wie in der Plaſtik, nicht möglich.
In der Herrſchaft der Linien-Verhältniſſe bei der bildneriſchen Com-
poſition haben wir einen Ausdruck ihrer innern Verwandtſchaft mit der
Baukunſt gefunden (§. 626, 1.). Man ſagt nun wohl auch von einem
Gemälde: es baut ſich ſchön, aber es muß ſich nicht nothwendig ſchön
bauen; wenn Anderes, was neben der Linienbildung die Harmonie des
Ganzen zu begründen hat, auf eine befriedigende Weiſe wirkt, ſo mögen
die Linien an ſich immerhin weniger ſchön, im Einzelnen ſelbſt nicht ſchön,
ja unſchön ſein, man ſagt dennoch nicht: es baut ſich nicht ſchön, weil
man von dem ſich Bauen jetzt abſieht; tritt aber dieß Andere nicht als
Erſatz ein, dann ſagt man es. Als das erſte Moment, das die Aeſthetik
der Linie beſchränkt, führt der §. die mitdargeſtellte räumliche Umgebung
auf. In Raphaels Schule von Athen treten Plato und Ariſtoteles als
die Hauptfiguren hervor; ſie ſtehen auch oben auf der Treppe, über welche
die ganze Compoſition ſich ausbreitet, aber nicht allein, ſondern umgeben von
Schülern und weiteren zur Seite aufgeſtellten Gruppen. Nach plaſtiſchem
Geſetz müßte ihre Bedeutung viel entſchiedener durch die Wirkung der Höhe
ausgedrückt ſein, ſie müßten weit beſtimmter die Spitze einer ungefähren Pyra-
mide darſtellen. Nun aber wölbt ſich über dieſer oberſten Gruppe die pracht-
volle Halle und das Auge fühlt die herrliche Wölbung wie eine Art von
räumlich dargeſtellter Erweiterung der geiſtigen Größe der zwei Haupt-
figuren. Natürlich wird dieſe Art von Zuwachs noch eine beſondere Be-
deutung durch die Beleuchtung und Farbe erhalten können, von welcher
vorerſt noch nicht die Rede iſt. Das zweite Moment iſt die Perſpective.
Wir haben geſehen, wie ſie mit ihren drei Gründen zu den Abſtufungen
und Arten der Idealität ſich verhält: in gewiſſer Weiſe idealiſirt die
Ferne, in gewiſſer die Nähe, dieſe im Sinn der kräftigen Behauptung
des in ſich geſchloſſenen Daſeins, jene im Sinn der Auflöſung in das
Unendliche. In der Sculptur wird die höhere Bedeutung einer Perſon
äußerlich in den Raumverhältniſſen durch die Höhe und durch die Stel-
lung in der Mitte, im Relief auch durch Stellung an den Enden einer
Reihe ausgedrückt; in der Malerei aber muß dieſes plaſtiſche Geſetz eben
durch die hinzugetretene Richtung in die Tiefe auf’s Mannigfaltigſte modi-
ficirt werden. Freilich iſt dieß nach Zweigen verſchieden; in der Land-
ſchaft wird in der Regel die höchſte Wirkung in der Ferne ſich ſammeln,
in der thieriſchen und menſchlichen Darſtellung wird es dabei bleiben,
was wir ſchon aufgeſtellt haben, daß die bedeutenderen Individuen den
Vordergrund oder näheren Mittelgrund einnehmen; die Ferne wird uns
alſo hier die Aufſuchung einer ungefähren Beſtimmung des Compoſitions-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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