Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.mißt ja das Bildwerk, wenn auch nicht mit dem Maaßstabe großer, mißt ja das Bildwerk, wenn auch nicht mit dem Maaßſtabe großer, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <pb facs="#f0062" n="388"/> <hi rendition="#et">mißt ja das Bildwerk, wenn auch nicht mit dem Maaßſtabe großer,<lb/> maſſenhafter Umgebungen, doch immer der umwandelnden Menſchen, und<lb/> wenn ein altes Geſetz gebot, die Statuen der Sieger in den Feſtſpielen<lb/> nicht über natürliche Größe zu bilden, ſondern dieſe Ehre den Göttern<lb/> vorzubehalten, ſo mußte in irgend einem Maaße doch die ſtyliſirende,<lb/> keine mangelhaft entwickelte Form duldende Kraft der Kunſt immer zu<lb/> einem Uebertreten deſſelben führen. Ein Werk, das nur natürliche Lebens-<lb/> größe hat oder unter ihr iſt, kann natürlich immer noch ein Kunſtwerk ſein,<lb/> denn das Künſtleriſche liegt ja doch im Qualitativen und wir haben von<lb/> der großen Wirkung deſſelben bei ſehr kleinem Maaßſtabe das Beiſpiel<lb/> des Herkules Epitrapezius angeführt zu §. 489, aber ganz in ihrem<lb/> Weſen iſt die Bildnerkunſt doch nur, wenn ſie die innere Großheit, die<lb/> in ihrem Style liegt, auch in äußerer Größe ſo ausdrückt, daß ihr<lb/> Werk, hinausgeſtellt in Licht und Luft, oder hineingeſtellt nicht blos in<lb/> Prunkgemächer, ſondern in erhabene Hallen öffentlicher Gebäude, in jeder<lb/> Meſſung mit Umgebendem noch groß und monumental erſcheint. Es kann<lb/> ſo, wie es eine Kabinetsmalerei gibt, nicht eine Kabinetsplaſtik geben;<lb/> dieſe wird durch die Kleinheit des Maaßſtabs blos anhängende Zierkunſt,<lb/> während jene immer noch ſelbſtändige Kunſt heißen kann. Vereinigt ſich<lb/> nun hier überhaupt die qualitative Erhabenheit der Form mit der<lb/> quantitativen des Raums, ſo wird auch, je höher das Weſen einer Gott-<lb/> heit, deſto näher eine Steigerung der Maaße liegen, welche bis in das<lb/> Coloſſale geht; es iſt dieſer innere Grund zunächſt für ſich zu faſſen, denn<lb/> der Olympiſche Zeus und das Tempelbild der Athene von Phidias, beide<lb/> ohne die Baſis etwa 40 F. hoch, das coloſſale Hero-Bild des Polyklet<lb/> in Argos thronten in Tempeln, deren Verhältniſſe mit dem Werke des<lb/> Bildners in Uebereinſtimmung ſchon urſprünglich entworfen waren. Das<lb/> Alterthum gönnte ſolche Ehre den höchſten Landesgöttern und erhabenſten<lb/> Götterſöhnen; in der neueren Zeit wird die Monumentſtatue des großen<lb/> Mannes coloſſal ſein dürfen, ohne dem Vorwurfe vergötternder Schmei-<lb/> chelei zu verfallen, wie die Kaiſercoloſſe Roms; fein aber bemerkt A.<lb/> Stahr (Deutſch. Muſ. v. Prutz. 1852 N. 9.), daß nicht ebenſo für<lb/> Dichter und Denker das coloſſale Maaß ſich eigne, wie für die prak-<lb/> tiſchen Naturen, die an ſich ſchon im Gebiete des Maſſenhaften, quanti-<lb/> tativ Erhabenen ſich bewegen. Zur Höhe der Aufgabe an ſich kann aber<lb/> nun die Meſſung mit großen Verhältniſſen der umgebenden, nicht urſprüng-<lb/> lich mit der Statue zuſammengehörigen Architektur oder der Landſchaft<lb/> treten und ſo war es wohl motivirt, daß die Athene Promachos, über 70<lb/> Fuß hoch, weit über Land und Meer hinaus ragte. Dagegen muß<lb/> es auch eine Grenze geben, jenſeits welcher eine falſche Uebertra-<lb/> gung der architektoniſchen auf die bildneriſche Phantaſie im Maaßſtabe der<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [388/0062]
mißt ja das Bildwerk, wenn auch nicht mit dem Maaßſtabe großer,
maſſenhafter Umgebungen, doch immer der umwandelnden Menſchen, und
wenn ein altes Geſetz gebot, die Statuen der Sieger in den Feſtſpielen
nicht über natürliche Größe zu bilden, ſondern dieſe Ehre den Göttern
vorzubehalten, ſo mußte in irgend einem Maaße doch die ſtyliſirende,
keine mangelhaft entwickelte Form duldende Kraft der Kunſt immer zu
einem Uebertreten deſſelben führen. Ein Werk, das nur natürliche Lebens-
größe hat oder unter ihr iſt, kann natürlich immer noch ein Kunſtwerk ſein,
denn das Künſtleriſche liegt ja doch im Qualitativen und wir haben von
der großen Wirkung deſſelben bei ſehr kleinem Maaßſtabe das Beiſpiel
des Herkules Epitrapezius angeführt zu §. 489, aber ganz in ihrem
Weſen iſt die Bildnerkunſt doch nur, wenn ſie die innere Großheit, die
in ihrem Style liegt, auch in äußerer Größe ſo ausdrückt, daß ihr
Werk, hinausgeſtellt in Licht und Luft, oder hineingeſtellt nicht blos in
Prunkgemächer, ſondern in erhabene Hallen öffentlicher Gebäude, in jeder
Meſſung mit Umgebendem noch groß und monumental erſcheint. Es kann
ſo, wie es eine Kabinetsmalerei gibt, nicht eine Kabinetsplaſtik geben;
dieſe wird durch die Kleinheit des Maaßſtabs blos anhängende Zierkunſt,
während jene immer noch ſelbſtändige Kunſt heißen kann. Vereinigt ſich
nun hier überhaupt die qualitative Erhabenheit der Form mit der
quantitativen des Raums, ſo wird auch, je höher das Weſen einer Gott-
heit, deſto näher eine Steigerung der Maaße liegen, welche bis in das
Coloſſale geht; es iſt dieſer innere Grund zunächſt für ſich zu faſſen, denn
der Olympiſche Zeus und das Tempelbild der Athene von Phidias, beide
ohne die Baſis etwa 40 F. hoch, das coloſſale Hero-Bild des Polyklet
in Argos thronten in Tempeln, deren Verhältniſſe mit dem Werke des
Bildners in Uebereinſtimmung ſchon urſprünglich entworfen waren. Das
Alterthum gönnte ſolche Ehre den höchſten Landesgöttern und erhabenſten
Götterſöhnen; in der neueren Zeit wird die Monumentſtatue des großen
Mannes coloſſal ſein dürfen, ohne dem Vorwurfe vergötternder Schmei-
chelei zu verfallen, wie die Kaiſercoloſſe Roms; fein aber bemerkt A.
Stahr (Deutſch. Muſ. v. Prutz. 1852 N. 9.), daß nicht ebenſo für
Dichter und Denker das coloſſale Maaß ſich eigne, wie für die prak-
tiſchen Naturen, die an ſich ſchon im Gebiete des Maſſenhaften, quanti-
tativ Erhabenen ſich bewegen. Zur Höhe der Aufgabe an ſich kann aber
nun die Meſſung mit großen Verhältniſſen der umgebenden, nicht urſprüng-
lich mit der Statue zuſammengehörigen Architektur oder der Landſchaft
treten und ſo war es wohl motivirt, daß die Athene Promachos, über 70
Fuß hoch, weit über Land und Meer hinaus ragte. Dagegen muß
es auch eine Grenze geben, jenſeits welcher eine falſche Uebertra-
gung der architektoniſchen auf die bildneriſche Phantaſie im Maaßſtabe der
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