Körperlichkeit sich ganz in die Idealität der farbigen Durchsichtigkeit mit dem intensiven Lichtpuncte aufhebt, die Abstraction der bloßen Form zur unerträglichen Härte zu werden scheint. Zunächst jedoch hat der Bild- hauer Mittel, das Auge ohne weitere Beihülfe zu beleben: er legt es tief und beschattet, doch im Schatten schwungvoll rund hervorgewölbt, zwischen den scharf erhöhten Augenknochen, die Nase und den mäßig ver- stärkten Backenknochen (Winkelmann Gesch. d. Kunst Band 2 S. 198 ff.). Eine leise Veränderung in diesen Formen, in den Hügeln und Senkungen umher und in der Höhle, erzeugt die bedeutendste Wir- kung im Ausdruck; die zarten Licht- und Schatten-Uebergänge geben jenen fernen Anschein des Blicks, wie er gerade dem Wesen der Plastik entspricht. Hiezu wirkt aber hauptsächlich die Behandlung des Augen- lids. Es tritt schon in der Natur bei einem glücklich entwickelten Men- schenschlage (vergl. zu §. 318 S. 163) als stark ausgeladenes, fast rund übergewölbtes Gesimse hervor, die Kunst verstärkt dieß und nun gibt die leiseste Linie engerer Zusammenziehung (ugron in den Augen der Venus), weiterer Oeffnung u. s. w. die tiefste Veränderung des Ausdrucks. Diese Mittel genügen bei Gestalten, die dem Kreise ruhiger, reiner Idealität angehören. Bei bestimmteren, realer bedingten Naturen aber, nament- lich wenn sie in einer speciellen Situation, einem Zustand entschiedener Erregung, gespannter Thätigkeit aufgefaßt sind, drängt sich das Bedürf- niß einer bestimmteren Andeutung des Auges auf: dieß ist die schon er- wähnte Eingrabung der Pupille und Einritzung des Iris-Randes; streng genommen unplastisch, weil durch eine Vertiefung der Schein eines nicht Vertieften, sondern durch Farbe, Licht und Dunkel sich Hervorhebenden erzeugt wird. Die aufgeregten Köpfe der Colosse von Monte Cavallo wären ohne diesen letzten, Bestimmtheit gebenden Punct nicht erträglich; das Astragalen-spielende Mädchen sieht auf eine bestimmte Stelle, sie be- darf auch solcher Augensterne. Dasselbe gilt von der Bildnißstatue; die Individualität im engeren Sinn fordert ebenfalls diese punctuelle Zusam- menfassung in der Behandlung des Auges. Dagegen das Wesen, das im Aether des Allgemeinen ruhig wohnt und thront, ist nicht ebenso in den Punct der Individualität zusammengefaßt, richtet den Blick nicht so bestimmt auf Einzelnes, ist nicht nach außen so speziell gespannt; da genügen jene feineren Mittel in der Behandlung des Auges und der um- gebenden Parthieen überhaupt. Es ist jedoch schon bemerkt, daß auch diese über das plastische Prinzip in der absoluten Strenge seines Be- griffes hinausgehen; sie sind in Wahrheit bereits malerisch. Solche über die rein plastische Stylisirung hinausgehende malerische Hülfen kann nun aber die Bildnerkunst auch in andern Theilen nicht entbehren. Sie kann die Formen der Muskel und Gewandfaltung nicht schlechthin so
Körperlichkeit ſich ganz in die Idealität der farbigen Durchſichtigkeit mit dem intenſiven Lichtpuncte aufhebt, die Abſtraction der bloßen Form zur unerträglichen Härte zu werden ſcheint. Zunächſt jedoch hat der Bild- hauer Mittel, das Auge ohne weitere Beihülfe zu beleben: er legt es tief und beſchattet, doch im Schatten ſchwungvoll rund hervorgewölbt, zwiſchen den ſcharf erhöhten Augenknochen, die Naſe und den mäßig ver- ſtärkten Backenknochen (Winkelmann Geſch. d. Kunſt Band 2 S. 198 ff.). Eine leiſe Veränderung in dieſen Formen, in den Hügeln und Senkungen umher und in der Höhle, erzeugt die bedeutendſte Wir- kung im Ausdruck; die zarten Licht- und Schatten-Uebergänge geben jenen fernen Anſchein des Blicks, wie er gerade dem Weſen der Plaſtik entſpricht. Hiezu wirkt aber hauptſächlich die Behandlung des Augen- lids. Es tritt ſchon in der Natur bei einem glücklich entwickelten Men- ſchenſchlage (vergl. zu §. 318 S. 163) als ſtark ausgeladenes, faſt rund übergewölbtes Geſimſe hervor, die Kunſt verſtärkt dieß und nun gibt die leiſeſte Linie engerer Zuſammenziehung (ὑγρὸν in den Augen der Venus), weiterer Oeffnung u. ſ. w. die tiefſte Veränderung des Ausdrucks. Dieſe Mittel genügen bei Geſtalten, die dem Kreiſe ruhiger, reiner Idealität angehören. Bei beſtimmteren, realer bedingten Naturen aber, nament- lich wenn ſie in einer ſpeciellen Situation, einem Zuſtand entſchiedener Erregung, geſpannter Thätigkeit aufgefaßt ſind, drängt ſich das Bedürf- niß einer beſtimmteren Andeutung des Auges auf: dieß iſt die ſchon er- wähnte Eingrabung der Pupille und Einritzung des Iris-Randes; ſtreng genommen unplaſtiſch, weil durch eine Vertiefung der Schein eines nicht Vertieften, ſondern durch Farbe, Licht und Dunkel ſich Hervorhebenden erzeugt wird. Die aufgeregten Köpfe der Coloſſe von Monte Cavallo wären ohne dieſen letzten, Beſtimmtheit gebenden Punct nicht erträglich; das Aſtragalen-ſpielende Mädchen ſieht auf eine beſtimmte Stelle, ſie be- darf auch ſolcher Augenſterne. Daſſelbe gilt von der Bildnißſtatue; die Individualität im engeren Sinn fordert ebenfalls dieſe punctuelle Zuſam- menfaſſung in der Behandlung des Auges. Dagegen das Weſen, das im Aether des Allgemeinen ruhig wohnt und thront, iſt nicht ebenſo in den Punct der Individualität zuſammengefaßt, richtet den Blick nicht ſo beſtimmt auf Einzelnes, iſt nicht nach außen ſo ſpeziell geſpannt; da genügen jene feineren Mittel in der Behandlung des Auges und der um- gebenden Parthieen überhaupt. Es iſt jedoch ſchon bemerkt, daß auch dieſe über das plaſtiſche Prinzip in der abſoluten Strenge ſeines Be- griffes hinausgehen; ſie ſind in Wahrheit bereits maleriſch. Solche über die rein plaſtiſche Styliſirung hinausgehende maleriſche Hülfen kann nun aber die Bildnerkunſt auch in andern Theilen nicht entbehren. Sie kann die Formen der Muſkel und Gewandfaltung nicht ſchlechthin ſo
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Körperlichkeit ſich ganz in die Idealität der farbigen Durchſichtigkeit mit
dem intenſiven Lichtpuncte aufhebt, die Abſtraction der bloßen Form zur
unerträglichen Härte zu werden ſcheint. Zunächſt jedoch hat der Bild-
hauer Mittel, das Auge ohne weitere Beihülfe zu beleben: er legt es
tief und beſchattet, doch im Schatten ſchwungvoll rund hervorgewölbt,
zwiſchen den ſcharf erhöhten Augenknochen, die Naſe und den mäßig ver-
ſtärkten Backenknochen (Winkelmann Geſch. d. Kunſt Band 2 S. 198
ff.). Eine leiſe Veränderung in dieſen Formen, in den Hügeln und
Senkungen umher und in der Höhle, erzeugt die bedeutendſte Wir-
kung im Ausdruck; die zarten Licht- und Schatten-Uebergänge geben
jenen fernen Anſchein des Blicks, wie er gerade dem Weſen der Plaſtik
entſpricht. Hiezu wirkt aber hauptſächlich die Behandlung des Augen-
lids. Es tritt ſchon in der Natur bei einem glücklich entwickelten Men-
ſchenſchlage (vergl. zu §. 318 S. 163) als ſtark ausgeladenes, faſt rund
übergewölbtes Geſimſe hervor, die Kunſt verſtärkt dieß und nun gibt die
leiſeſte Linie engerer Zuſammenziehung (ὑγρὸν in den Augen der Venus),
weiterer Oeffnung u. ſ. w. die tiefſte Veränderung des Ausdrucks. Dieſe
Mittel genügen bei Geſtalten, die dem Kreiſe ruhiger, reiner Idealität
angehören. Bei beſtimmteren, realer bedingten Naturen aber, nament-
lich wenn ſie in einer ſpeciellen Situation, einem Zuſtand entſchiedener
Erregung, geſpannter Thätigkeit aufgefaßt ſind, drängt ſich das Bedürf-
niß einer beſtimmteren Andeutung des Auges auf: dieß iſt die ſchon er-
wähnte Eingrabung der Pupille und Einritzung des Iris-Randes; ſtreng
genommen unplaſtiſch, weil durch eine Vertiefung der Schein eines nicht
Vertieften, ſondern durch Farbe, Licht und Dunkel ſich Hervorhebenden
erzeugt wird. Die aufgeregten Köpfe der Coloſſe von Monte Cavallo
wären ohne dieſen letzten, Beſtimmtheit gebenden Punct nicht erträglich;
das Aſtragalen-ſpielende Mädchen ſieht auf eine beſtimmte Stelle, ſie be-
darf auch ſolcher Augenſterne. Daſſelbe gilt von der Bildnißſtatue; die
Individualität im engeren Sinn fordert ebenfalls dieſe punctuelle Zuſam-
menfaſſung in der Behandlung des Auges. Dagegen das Weſen, das
im Aether des Allgemeinen ruhig wohnt und thront, iſt nicht ebenſo
in den Punct der Individualität zuſammengefaßt, richtet den Blick nicht
ſo beſtimmt auf Einzelnes, iſt nicht nach außen ſo ſpeziell geſpannt; da
genügen jene feineren Mittel in der Behandlung des Auges und der um-
gebenden Parthieen überhaupt. Es iſt jedoch ſchon bemerkt, daß auch
dieſe über das plaſtiſche Prinzip in der abſoluten Strenge ſeines Be-
griffes hinausgehen; ſie ſind in Wahrheit bereits maleriſch. Solche
über die rein plaſtiſche Styliſirung hinausgehende maleriſche Hülfen kann
nun aber die Bildnerkunſt auch in andern Theilen nicht entbehren. Sie
kann die Formen der Muſkel und Gewandfaltung nicht ſchlechthin ſo
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/57>, abgerufen am 30.07.2024.
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