bloßer Anflug, aber auch so überschreitet diese zweite Stufe den Spiel- raum, den der §. durch den Ausdruck "gewisse Andeutungen" offen läßt. Wir können selbst Angesichts der einzig reinen Begabung des griechischen Auges für Erfassung der festen Form als solcher und der herrlichen Voll- endung der Kunst, die auf dieses Auge sich gründete, dieses Urtheil nicht opfern, nicht dem geistvollen A. Feuerbach beitreten, wenn er dem wahren Grundgedanken seiner mehrerwähnten Schrift, wonach die griechische Plastik nicht auf todte Ruhe, sondern auf Leben und Beseelung drang, die beson- dere Anwendung gibt, daß er die malerische Behandlung als "eine zarte Vermittlung des Ewigbleibenden in der Natur mit dem bunten Glanze der Erscheinung, einen sanften Uebergang aus dem geheimnißvollen Tempel der Kunst in das helle Gebiet der Wirklichkeit, eine Lockung auch des blöderen Auges durch den Zauber eines bunten Sinnenscheins zur ernsten Betrachtung des höhern poetischen Scheines" gegen "eine Theorie, welche jedes stoffartige Interesse als Entwürdigung der Kunst verwehrt", in Schutz nimmt. Wir suchen einen andern Ausweg, die Vergleichung mit dem griechischen Drama. Die Dichtung und die reine Mimik war hier mit Musik, Gesang, Tanz in einer Weise vermählt, welche uns unmög- lich als Muster dienen kann; die geschichtliche Entwicklung der Kunst hat zu einer Trennung dieser Formen nothwendig geführt. Die großen Tragiker bleiben uns gleich groß, obwohl wir sie darin, daß sie im Sinne dieser Kunst-Verbindung dichteten, nimmermehr nachahmen können, und wie wir von Aeschylos und Sophokles das Bleibende, rein dichterisch Schöne ohne das Recitativ und Gesang und marschartigen Tanz des Chors genießen und unserer Poesie aneignen, so streifen wir den Werken der großen Bildhauer die Farbe ab, die ihnen als vergänglichen, nur in einem besondern Momente der Kunstgeschichte begründeten Anflug ohnedieß die Luft und der Regen ebenso abgestreift hat, wie dem griechischen Tempel. Das lebendige, unmittelbare Ineinander, worin alle Künste zusammen sich bewegten, war ein unendlich fruchtbarer Zustand; wir haben durch die Trennung verloren und gewonnen, wie denn durch alle Trennung der Zweige des Lebens die Fülle naiver Unmittelbarkeit verloren geht und doch das wahre Wesen des einzelnen Zweigs reiner entwickelt wird. Daß gerade die Bildnerkunst diesen Vortheil weniger genießt, als das Drama, hängt mit Hindernissen zusammen, die anderswo liegen; das erkannte Gesetz der Farblosigkeit ist es nicht, was einer Blüthe der Plastik in der modernen Zeit entgegensteht, sondern der mangelnde Boden der Lebensbedingungen und Culturformen. Es bleibt nun die dritte Stufe, das Gebiet der zulässigen Andeutungen, zurück: aufgemalte bunte Kleidersäume, schwacher Ton an einzelnen Gewandstücken, Vergol- dung von Diademen, Attribute, Waffen u. s. w. von Erz, etwa noch An-
bloßer Anflug, aber auch ſo überſchreitet dieſe zweite Stufe den Spiel- raum, den der §. durch den Ausdruck „gewiſſe Andeutungen“ offen läßt. Wir können ſelbſt Angeſichts der einzig reinen Begabung des griechiſchen Auges für Erfaſſung der feſten Form als ſolcher und der herrlichen Voll- endung der Kunſt, die auf dieſes Auge ſich gründete, dieſes Urtheil nicht opfern, nicht dem geiſtvollen A. Feuerbach beitreten, wenn er dem wahren Grundgedanken ſeiner mehrerwähnten Schrift, wonach die griechiſche Plaſtik nicht auf todte Ruhe, ſondern auf Leben und Beſeelung drang, die beſon- dere Anwendung gibt, daß er die maleriſche Behandlung als „eine zarte Vermittlung des Ewigbleibenden in der Natur mit dem bunten Glanze der Erſcheinung, einen ſanften Uebergang aus dem geheimnißvollen Tempel der Kunſt in das helle Gebiet der Wirklichkeit, eine Lockung auch des blöderen Auges durch den Zauber eines bunten Sinnenſcheins zur ernſten Betrachtung des höhern poetiſchen Scheines“ gegen „eine Theorie, welche jedes ſtoffartige Intereſſe als Entwürdigung der Kunſt verwehrt“, in Schutz nimmt. Wir ſuchen einen andern Ausweg, die Vergleichung mit dem griechiſchen Drama. Die Dichtung und die reine Mimik war hier mit Muſik, Geſang, Tanz in einer Weiſe vermählt, welche uns unmög- lich als Muſter dienen kann; die geſchichtliche Entwicklung der Kunſt hat zu einer Trennung dieſer Formen nothwendig geführt. Die großen Tragiker bleiben uns gleich groß, obwohl wir ſie darin, daß ſie im Sinne dieſer Kunſt-Verbindung dichteten, nimmermehr nachahmen können, und wie wir von Aeſchylos und Sophokles das Bleibende, rein dichteriſch Schöne ohne das Recitativ und Geſang und marſchartigen Tanz des Chors genießen und unſerer Poeſie aneignen, ſo ſtreifen wir den Werken der großen Bildhauer die Farbe ab, die ihnen als vergänglichen, nur in einem beſondern Momente der Kunſtgeſchichte begründeten Anflug ohnedieß die Luft und der Regen ebenſo abgeſtreift hat, wie dem griechiſchen Tempel. Das lebendige, unmittelbare Ineinander, worin alle Künſte zuſammen ſich bewegten, war ein unendlich fruchtbarer Zuſtand; wir haben durch die Trennung verloren und gewonnen, wie denn durch alle Trennung der Zweige des Lebens die Fülle naiver Unmittelbarkeit verloren geht und doch das wahre Weſen des einzelnen Zweigs reiner entwickelt wird. Daß gerade die Bildnerkunſt dieſen Vortheil weniger genießt, als das Drama, hängt mit Hinderniſſen zuſammen, die anderswo liegen; das erkannte Geſetz der Farbloſigkeit iſt es nicht, was einer Blüthe der Plaſtik in der modernen Zeit entgegenſteht, ſondern der mangelnde Boden der Lebensbedingungen und Culturformen. Es bleibt nun die dritte Stufe, das Gebiet der zuläſſigen Andeutungen, zurück: aufgemalte bunte Kleiderſäume, ſchwacher Ton an einzelnen Gewandſtücken, Vergol- dung von Diademen, Attribute, Waffen u. ſ. w. von Erz, etwa noch An-
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bloßer Anflug, aber auch ſo überſchreitet dieſe zweite Stufe den Spiel-
raum, den der §. durch den Ausdruck „gewiſſe Andeutungen“ offen läßt.
Wir können ſelbſt Angeſichts der einzig reinen Begabung des griechiſchen
Auges für Erfaſſung der feſten Form als ſolcher und der herrlichen Voll-
endung der Kunſt, die auf dieſes Auge ſich gründete, dieſes Urtheil nicht
opfern, nicht dem geiſtvollen A. Feuerbach beitreten, wenn er dem wahren
Grundgedanken ſeiner mehrerwähnten Schrift, wonach die griechiſche Plaſtik
nicht auf todte Ruhe, ſondern auf Leben und Beſeelung drang, die beſon-
dere Anwendung gibt, daß er die maleriſche Behandlung als „eine zarte
Vermittlung des Ewigbleibenden in der Natur mit dem bunten Glanze
der Erſcheinung, einen ſanften Uebergang aus dem geheimnißvollen Tempel
der Kunſt in das helle Gebiet der Wirklichkeit, eine Lockung auch des
blöderen Auges durch den Zauber eines bunten Sinnenſcheins zur ernſten
Betrachtung des höhern poetiſchen Scheines“ gegen „eine Theorie, welche
jedes ſtoffartige Intereſſe als Entwürdigung der Kunſt verwehrt“, in
Schutz nimmt. Wir ſuchen einen andern Ausweg, die Vergleichung mit
dem griechiſchen Drama. Die Dichtung und die reine Mimik war hier
mit Muſik, Geſang, Tanz in einer Weiſe vermählt, welche uns unmög-
lich als Muſter dienen kann; die geſchichtliche Entwicklung der Kunſt hat
zu einer Trennung dieſer Formen nothwendig geführt. Die großen
Tragiker bleiben uns gleich groß, obwohl wir ſie darin, daß ſie im Sinne
dieſer Kunſt-Verbindung dichteten, nimmermehr nachahmen können, und
wie wir von Aeſchylos und Sophokles das Bleibende, rein dichteriſch
Schöne ohne das Recitativ und Geſang und marſchartigen Tanz des
Chors genießen und unſerer Poeſie aneignen, ſo ſtreifen wir den Werken der
großen Bildhauer die Farbe ab, die ihnen als vergänglichen, nur in einem
beſondern Momente der Kunſtgeſchichte begründeten Anflug ohnedieß die
Luft und der Regen ebenſo abgeſtreift hat, wie dem griechiſchen Tempel.
Das lebendige, unmittelbare Ineinander, worin alle Künſte zuſammen ſich
bewegten, war ein unendlich fruchtbarer Zuſtand; wir haben durch die
Trennung verloren und gewonnen, wie denn durch alle Trennung der
Zweige des Lebens die Fülle naiver Unmittelbarkeit verloren geht und
doch das wahre Weſen des einzelnen Zweigs reiner entwickelt wird.
Daß gerade die Bildnerkunſt dieſen Vortheil weniger genießt, als das
Drama, hängt mit Hinderniſſen zuſammen, die anderswo liegen; das
erkannte Geſetz der Farbloſigkeit iſt es nicht, was einer Blüthe der
Plaſtik in der modernen Zeit entgegenſteht, ſondern der mangelnde
Boden der Lebensbedingungen und Culturformen. Es bleibt nun die
dritte Stufe, das Gebiet der zuläſſigen Andeutungen, zurück: aufgemalte
bunte Kleiderſäume, ſchwacher Ton an einzelnen Gewandſtücken, Vergol-
dung von Diademen, Attribute, Waffen u. ſ. w. von Erz, etwa noch An-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/55>, abgerufen am 30.07.2024.
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