parischen Marmor etwas sichtbarer, bei dem pentelischen mehr mit Talk durchzogen) deutet leicht die poröse Natur der Haut an; das Weiß ist glanzlos, die Formen können erscheinen, aber der Anflug von Duchsichtig- keit und das milde Licht nimmt ihnen die Gröbe des Empirischen und entspricht ohne eigentliche Nachahmung dem wirklichen Hauche von Durch- sichtigkeit, den die Haut hat, so wie dem Weichen, Anschmiegsamen der Gewänder. Daher "das sanfte Verhauchen der hellen und dunkeln Par- thieen, die Abstufungen von Licht und Schatten, der sanfte Zauber der Reflexe" (Feuerbach a. a. O. S. 177) bei dem warmen, fleischigen und doch nicht widrig fettigen Charakter. Winkelmann hat sich geirrt, wenn er Marmor, der von milchiger Masse oder Teige gegossen scheint, für den schönsten hält und annimmt, der parische werde so beschaffen gewesen sein (Gesch. d. Kunst d. Alt. Band 3 S. 100); solcher Mormor wäre gypsartig. Das völlige Glätten des Marmors ist ein geistloses Verfah- ren später Zeit, das jenen körnig gediegenen und doch durchsichtig lichten Seelenhauch in geistlos platte Eleganz verschwemmt. In der guten Zeit hat man den Marmor nach dem Abreiben mit Bimsstein noch einmal mit dem Eisen sanft übergangen, um das Flaumige des Lebens wieder- zugeben und "die äußerste Haut des Laokoon, welche gegen die geglättete und geschliffene etwas rauchlich scheinet, ist wie ein weicher Sammt gegen glänzenden Atlas" (Winkelmann a. a. O. S. 105). Wenn die Griechen durch die Einreibung von geschmolzenem Wachs den körnig durchsichtigen Charakter des Marmors zuklebten, so war dieß offenbar eine Vorarbeit der Polychromie, von der wir hier noch ganz absehen. Es ergibt sich aus diesem reinen Charakter des Marmors, daß er sich nicht nur für die An- muth, für die weibliche Schönheit, sondern höher für alle Gestalten eignet, die im Mittelpuncte des reinen Ideals stehen, indem das Allgemeine der Natur und Menschheit in ihnen mit dem möglich mildesten Zusatze des Besonderen gemischt ist: der reine Aether des reinsten Seins gegenüber der vom Lichte des Ewigen wohl überströmten, aber in sich vom Erden- dunkel härter bestimmten, isolirteren Existenz der Erzgestalt. Daß im Mar- mor, obwohl er leichter zu bearbeiten ist, als viele andere Steinarten, nicht die kühnen Stellungen möglich sind, wie im Erze, dieß stimmt ganz mit der Ruhe des Ideals; er ist auch nicht so dauernd, als dieses, da- durch ist nahe gelegt, daß dieß zartere Gebilde von schützenden Mauern umfangen sei: der Gott gehört in den Tempel, der eherne Held trotze draußen dem Wind und Wetter und jener edle Rost, die grüne Patine, die sich mit der Zeit um die Bronce legt, zunächst ein Kennzeichen der Aechtheit des Metalls, schmücke die ausharrende Kraft wie das Moos die ehrwürdige, in Stürmen ausdauernde Eiche.
pariſchen Marmor etwas ſichtbarer, bei dem penteliſchen mehr mit Talk durchzogen) deutet leicht die poröſe Natur der Haut an; das Weiß iſt glanzlos, die Formen können erſcheinen, aber der Anflug von Duchſichtig- keit und das milde Licht nimmt ihnen die Gröbe des Empiriſchen und entſpricht ohne eigentliche Nachahmung dem wirklichen Hauche von Durch- ſichtigkeit, den die Haut hat, ſo wie dem Weichen, Anſchmiegſamen der Gewänder. Daher „das ſanfte Verhauchen der hellen und dunkeln Par- thieen, die Abſtufungen von Licht und Schatten, der ſanfte Zauber der Reflexe“ (Feuerbach a. a. O. S. 177) bei dem warmen, fleiſchigen und doch nicht widrig fettigen Charakter. Winkelmann hat ſich geirrt, wenn er Marmor, der von milchiger Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheint, für den ſchönſten hält und annimmt, der pariſche werde ſo beſchaffen geweſen ſein (Geſch. d. Kunſt d. Alt. Band 3 S. 100); ſolcher Mormor wäre gypsartig. Das völlige Glätten des Marmors iſt ein geiſtloſes Verfah- ren ſpäter Zeit, das jenen körnig gediegenen und doch durchſichtig lichten Seelenhauch in geiſtlos platte Eleganz verſchwemmt. In der guten Zeit hat man den Marmor nach dem Abreiben mit Bimsſtein noch einmal mit dem Eiſen ſanft übergangen, um das Flaumige des Lebens wieder- zugeben und „die äußerſte Haut des Laokoon, welche gegen die geglättete und geſchliffene etwas rauchlich ſcheinet, iſt wie ein weicher Sammt gegen glänzenden Atlas“ (Winkelmann a. a. O. S. 105). Wenn die Griechen durch die Einreibung von geſchmolzenem Wachs den körnig durchſichtigen Charakter des Marmors zuklebten, ſo war dieß offenbar eine Vorarbeit der Polychromie, von der wir hier noch ganz abſehen. Es ergibt ſich aus dieſem reinen Charakter des Marmors, daß er ſich nicht nur für die An- muth, für die weibliche Schönheit, ſondern höher für alle Geſtalten eignet, die im Mittelpuncte des reinen Ideals ſtehen, indem das Allgemeine der Natur und Menſchheit in ihnen mit dem möglich mildeſten Zuſatze des Beſonderen gemiſcht iſt: der reine Aether des reinſten Seins gegenüber der vom Lichte des Ewigen wohl überſtrömten, aber in ſich vom Erden- dunkel härter beſtimmten, iſolirteren Exiſtenz der Erzgeſtalt. Daß im Mar- mor, obwohl er leichter zu bearbeiten iſt, als viele andere Steinarten, nicht die kühnen Stellungen möglich ſind, wie im Erze, dieß ſtimmt ganz mit der Ruhe des Ideals; er iſt auch nicht ſo dauernd, als dieſes, da- durch iſt nahe gelegt, daß dieß zartere Gebilde von ſchützenden Mauern umfangen ſei: der Gott gehört in den Tempel, der eherne Held trotze draußen dem Wind und Wetter und jener edle Roſt, die grüne Patine, die ſich mit der Zeit um die Bronce legt, zunächſt ein Kennzeichen der Aechtheit des Metalls, ſchmücke die ausharrende Kraft wie das Moos die ehrwürdige, in Stürmen ausdauernde Eiche.
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[377/0051]
pariſchen Marmor etwas ſichtbarer, bei dem penteliſchen mehr mit Talk
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glanzlos, die Formen können erſcheinen, aber der Anflug von Duchſichtig-
keit und das milde Licht nimmt ihnen die Gröbe des Empiriſchen und
entſpricht ohne eigentliche Nachahmung dem wirklichen Hauche von Durch-
ſichtigkeit, den die Haut hat, ſo wie dem Weichen, Anſchmiegſamen der
Gewänder. Daher „das ſanfte Verhauchen der hellen und dunkeln Par-
thieen, die Abſtufungen von Licht und Schatten, der ſanfte Zauber der
Reflexe“ (Feuerbach a. a. O. S. 177) bei dem warmen, fleiſchigen und
doch nicht widrig fettigen Charakter. Winkelmann hat ſich geirrt, wenn
er Marmor, der von milchiger Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheint, für
den ſchönſten hält und annimmt, der pariſche werde ſo beſchaffen geweſen
ſein (Geſch. d. Kunſt d. Alt. Band 3 S. 100); ſolcher Mormor wäre
gypsartig. Das völlige Glätten des Marmors iſt ein geiſtloſes Verfah-
ren ſpäter Zeit, das jenen körnig gediegenen und doch durchſichtig lichten
Seelenhauch in geiſtlos platte Eleganz verſchwemmt. In der guten Zeit
hat man den Marmor nach dem Abreiben mit Bimsſtein noch einmal
mit dem Eiſen ſanft übergangen, um das Flaumige des Lebens wieder-
zugeben und „die äußerſte Haut des Laokoon, welche gegen die geglättete
und geſchliffene etwas rauchlich ſcheinet, iſt wie ein weicher Sammt gegen
glänzenden Atlas“ (Winkelmann a. a. O. S. 105). Wenn die Griechen
durch die Einreibung von geſchmolzenem Wachs den körnig durchſichtigen
Charakter des Marmors zuklebten, ſo war dieß offenbar eine Vorarbeit
der Polychromie, von der wir hier noch ganz abſehen. Es ergibt ſich
aus dieſem reinen Charakter des Marmors, daß er ſich nicht nur für die An-
muth, für die weibliche Schönheit, ſondern höher für alle Geſtalten eignet,
die im Mittelpuncte des reinen Ideals ſtehen, indem das Allgemeine der
Natur und Menſchheit in ihnen mit dem möglich mildeſten Zuſatze des
Beſonderen gemiſcht iſt: der reine Aether des reinſten Seins gegenüber
der vom Lichte des Ewigen wohl überſtrömten, aber in ſich vom Erden-
dunkel härter beſtimmten, iſolirteren Exiſtenz der Erzgeſtalt. Daß im Mar-
mor, obwohl er leichter zu bearbeiten iſt, als viele andere Steinarten,
nicht die kühnen Stellungen möglich ſind, wie im Erze, dieß ſtimmt ganz
mit der Ruhe des Ideals; er iſt auch nicht ſo dauernd, als dieſes, da-
durch iſt nahe gelegt, daß dieß zartere Gebilde von ſchützenden Mauern
umfangen ſei: der Gott gehört in den Tempel, der eherne Held trotze
draußen dem Wind und Wetter und jener edle Roſt, die grüne Patine,
die ſich mit der Zeit um die Bronce legt, zunächſt ein Kennzeichen der
Aechtheit des Metalls, ſchmücke die ausharrende Kraft wie das Moos
die ehrwürdige, in Stürmen ausdauernde Eiche.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/51>, abgerufen am 30.07.2024.
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