Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.Anhang. Die verzierende Bildnerkunst. §. 647. In mannigfachen Uebergängen aus der untergeordneten Tektonik (§. 596)1. 1. Wie die Baukunst als untergeordnete Tektonik mit ihren unend- Anhang. Die verzierende Bildnerkunſt. §. 647. In mannigfachen Uebergängen aus der untergeordneten Tektonik (§. 596)1. 1. Wie die Baukunſt als untergeordnete Tektonik mit ihren unend- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0171" n="497"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Anhang</hi>.</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die verzierende Bildnerkunſt.<lb/> Das lebendige plaſtiſche Kunſtwerk.</hi> </hi> </p> </argument><lb/> <div n="6"> <head>§. 647.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">In mannigfachen Uebergängen aus der untergeordneten Tektonik (§. 596)<note place="right">1.</note><lb/> heraustretend ergreift die Bildnerkunſt das Zweckmäßige, um es zu verſchö-<lb/> nern (vergl. §. 546); insbeſondere legt ſie ſich als umgekehrtes oder eigent-<lb/> liches Relief an kleine Flächen in der Stein- und Stempelſchneidekunſt. Dieſe<lb/><hi rendition="#g">Zierplaſtik</hi> bringt zwar auch ganz freie Werke hervor, die aber vermöge<lb/> der Kleinheit ihres Maaßſtabs nur zur ſchmückenden Aufſtellung dienen. Eine<note place="right">2.</note><lb/> Bildnerkunſt in lebendigem Naturſtoff (§. 548) iſt die <hi rendition="#g">Gymnaſtik</hi>, nicht<lb/> als Uebung, ſondern als vollendete Fertigkeit, die im feſtlichen Spiele, ins-<lb/> beſondere durch Wettkampf, aufzeigt, wie ſie die leibliche Erſcheinung zum le-<lb/> bendigen Kunſtwerke durchgebildet hat.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Wie die Baukunſt als untergeordnete Tektonik mit ihren unend-<lb/> lichen Ornament-Formen, ſo dringt nun die Bildnerkunſt in das unmit-<lb/> telbare Leben ein, dient ihm als blos anhängende Schönheit, quillt an<lb/> allen Orten wie ein unter dem rauhen Boden der Nothdurft verborgenes<lb/> Leben hervor und ſcheint, indem ſie in unendlichen Bildungen auf-<lb/> ſproßt und das Harte, das Nackte umrankt, dem erfreuten Auge ſagen<lb/> zu wollen, daß die organiſche Form und vor Allem ihr Höchſtes, der<lb/> ſchöne Menſch, das Geheimniß der Erde iſt. Wir nehmen hiemit als<lb/> Aufſtellungsgrund für den erſten Zweig blos anhängender Kunſtform auch<lb/> hier zuerſt die Verſchönerung des Zweckmäßigen aus §. 546 auf. Zum<lb/> Zweckmäßigen gehört auch das Angenehme, das als ein Ueberſchuß des<lb/> Zweckmäßigen zu faſſen iſt: die Zierplaſtik ſchmückt nicht nur Solches, was<lb/> einem geforderten Zwecke dient, ſondern auch Solches, was an ſich über-<lb/> flüſſig und ſelbſt bereits Schmuck, Mittel zum ſchöneren Lebensgenuß iſt.<lb/> Das Gebiet, das hier vor uns liegt, iſt ſchon in §. 596 <hi rendition="#sub">2.</hi> berührt, ja<lb/> betreten, denn es gibt keine feſte Grenze zwiſchen der untergeordneten<lb/> Tektonik und der Zierplaſtik, weil jene im Ornament wie die Architektur<lb/> im Großen bereits in die Nachbildung organiſcher Form hinüberblüht.<lb/> Wir ſahen das Plaſtiſche auftauchen, wo die runde Linie herrſcht, ein-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [497/0171]
Anhang.
Die verzierende Bildnerkunſt.
Das lebendige plaſtiſche Kunſtwerk.
§. 647.
In mannigfachen Uebergängen aus der untergeordneten Tektonik (§. 596)
heraustretend ergreift die Bildnerkunſt das Zweckmäßige, um es zu verſchö-
nern (vergl. §. 546); insbeſondere legt ſie ſich als umgekehrtes oder eigent-
liches Relief an kleine Flächen in der Stein- und Stempelſchneidekunſt. Dieſe
Zierplaſtik bringt zwar auch ganz freie Werke hervor, die aber vermöge
der Kleinheit ihres Maaßſtabs nur zur ſchmückenden Aufſtellung dienen. Eine
Bildnerkunſt in lebendigem Naturſtoff (§. 548) iſt die Gymnaſtik, nicht
als Uebung, ſondern als vollendete Fertigkeit, die im feſtlichen Spiele, ins-
beſondere durch Wettkampf, aufzeigt, wie ſie die leibliche Erſcheinung zum le-
bendigen Kunſtwerke durchgebildet hat.
1. Wie die Baukunſt als untergeordnete Tektonik mit ihren unend-
lichen Ornament-Formen, ſo dringt nun die Bildnerkunſt in das unmit-
telbare Leben ein, dient ihm als blos anhängende Schönheit, quillt an
allen Orten wie ein unter dem rauhen Boden der Nothdurft verborgenes
Leben hervor und ſcheint, indem ſie in unendlichen Bildungen auf-
ſproßt und das Harte, das Nackte umrankt, dem erfreuten Auge ſagen
zu wollen, daß die organiſche Form und vor Allem ihr Höchſtes, der
ſchöne Menſch, das Geheimniß der Erde iſt. Wir nehmen hiemit als
Aufſtellungsgrund für den erſten Zweig blos anhängender Kunſtform auch
hier zuerſt die Verſchönerung des Zweckmäßigen aus §. 546 auf. Zum
Zweckmäßigen gehört auch das Angenehme, das als ein Ueberſchuß des
Zweckmäßigen zu faſſen iſt: die Zierplaſtik ſchmückt nicht nur Solches, was
einem geforderten Zwecke dient, ſondern auch Solches, was an ſich über-
flüſſig und ſelbſt bereits Schmuck, Mittel zum ſchöneren Lebensgenuß iſt.
Das Gebiet, das hier vor uns liegt, iſt ſchon in §. 596 2. berührt, ja
betreten, denn es gibt keine feſte Grenze zwiſchen der untergeordneten
Tektonik und der Zierplaſtik, weil jene im Ornament wie die Architektur
im Großen bereits in die Nachbildung organiſcher Form hinüberblüht.
Wir ſahen das Plaſtiſche auftauchen, wo die runde Linie herrſcht, ein-
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Zitationshilfe: | Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/171>, abgerufen am 16.02.2025. |