Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
schlechtweg belehrenden Muster der Geschichte der Bildhauerei bei den
ſchlechtweg belehrenden Muſter der Geſchichte der Bildhauerei bei den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0151" n="477"/> ſchlechtweg belehrenden Muſter der Geſchichte der Bildhauerei bei den<lb/> Griechen in §. 531 dargeſtellt und auf das tiefere Geſetz verſchiedener<lb/> Entwicklung und Durchdringung des Objectiven und Subjectiven zurück-<lb/> geführt. Jetzt iſt nur übrig, dieſe Stufen in Kürze concreter zu zeich-<lb/> nen; das tiefere Geſetz findet eben dadurch ſeine nähere Beleuchtung.<lb/> Die herbe Objectivität des ſtrengen und harten Styls gibt ſich nun zu<lb/> erkennen als die ägyptiſch architekturartige Gemeſſenheit in der ſtrengen<lb/> Proportion, bewegungsloſen Haltung mit feſt an den Leib geſchloſſenen,<lb/> nur langſam ſich löſenden Armen und ebenſo geſchloſſenen Beinen, deren<lb/> zunächſt nur eines zum mäßigen Vorſchritte ſich entſchließt; die aſſyriſch-<lb/> perſiſche Kraft in den überſtarken Muſkeln der gedrungenen Körper; die<lb/> Bewegung, wie ſie dann zuerſt gewaltſam eindringt im heftigen Sprung,<lb/> im Gang auf dem Ballen, haben Aegypter, Aſſyrer und Perſer in nicht<lb/> geringerem Feuer auch gehabt in ihren Darſtellungen aus dem menſchli-<lb/> chen Leben. Die ſteife Regelmäßigkeit in Anordnung und Behandlung<lb/> der Haare und Falten iſt ebenſogut orientaliſch, insbeſondere aſſyriſch-<lb/> perſiſch, und gehört zum Architekturartigen wie die noch unbelebte Sym-<lb/> metrie in Gruppen. Als beſonderer Ausdruck der noch mangelnden Ge-<lb/> ſchicklichkeit fehlt auch die Seitenſtellung der Füße bei Vornſtellung des<lb/> Kopfes nicht. Auch hier wird äußere Einwirkung des Styls jener Völ-<lb/> ker auf die Anfänge griechiſcher Kunſt nicht mehr bezweifelt. Die Grie-<lb/> chen hatten nun die Aufgabe, zu vereinigen, was im Oriente getrennt<lb/> blieb, alſo die ägyptiſche und aſſyriſch-perſiſche Kraft und Würde zu ver-<lb/> mählen mit der indiſchen Weichheit, Welle der Bewegung, Anmuth;<lb/> hierin jedoch mußten ſie ihren eigenen Weg gehen, auf dieſem Puncte iſt<lb/> nicht von wirklichen Einflüſſen, ſondern nur von einer innern Analogie<lb/> die Rede. So entwickeln ſie zunächſt noch gleichzeitig mit jener harten<lb/> Gemeſſenheit und gewaltſamen Kraft jene tänzerhafte, der Orcheſtik ent-<lb/> lehnte Grazie, jenes zierliche Anfaſſen der Gewänder mit den Finger-<lb/> ſpitzen u. ſ. w., einen erſten kindiſchen Verſuch der Anmuth, die, noch<lb/> neben der Härte und ebendarum ſelbſt noch hart, für ſich ihre erſten<lb/> Schritte wagt. Ganz merkwürdig iſt nun aber der Weg der allmählichen<lb/> Befreiung von dieſen unreifen Formen, die auch in Griechenland eine<lb/> fromme Scheu, ein Geſetz des <hi rendition="#g">Typus</hi> bewirkend, lange befeſtigt und<lb/> nach erreichter Reife für Cultuszwecke, zum Theil auch aus Manier, im<lb/> hieratiſchen oder archaiſtiſchen Style noch feſthält. Es erhält ſich nämlich<lb/> auf dieſem Wege der Befreiung bis zum letzten Schritte, der zwiſchen<lb/> die Aeginetengruppe und das Auftreten des Phidias fällt, ein doppelter<lb/> Dualiſmus. Erſtens: man wagt wie im Orient nicht, den <hi rendition="#g">Gott</hi> in<lb/> naturwahrer Lebendigkeit zu bilden, wohl aber den <hi rendition="#g">Menſchen</hi>; alſo<lb/> fällt der göttliche und menſchliche Kreis auseinander, jener bleibt im<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [477/0151]
ſchlechtweg belehrenden Muſter der Geſchichte der Bildhauerei bei den
Griechen in §. 531 dargeſtellt und auf das tiefere Geſetz verſchiedener
Entwicklung und Durchdringung des Objectiven und Subjectiven zurück-
geführt. Jetzt iſt nur übrig, dieſe Stufen in Kürze concreter zu zeich-
nen; das tiefere Geſetz findet eben dadurch ſeine nähere Beleuchtung.
Die herbe Objectivität des ſtrengen und harten Styls gibt ſich nun zu
erkennen als die ägyptiſch architekturartige Gemeſſenheit in der ſtrengen
Proportion, bewegungsloſen Haltung mit feſt an den Leib geſchloſſenen,
nur langſam ſich löſenden Armen und ebenſo geſchloſſenen Beinen, deren
zunächſt nur eines zum mäßigen Vorſchritte ſich entſchließt; die aſſyriſch-
perſiſche Kraft in den überſtarken Muſkeln der gedrungenen Körper; die
Bewegung, wie ſie dann zuerſt gewaltſam eindringt im heftigen Sprung,
im Gang auf dem Ballen, haben Aegypter, Aſſyrer und Perſer in nicht
geringerem Feuer auch gehabt in ihren Darſtellungen aus dem menſchli-
chen Leben. Die ſteife Regelmäßigkeit in Anordnung und Behandlung
der Haare und Falten iſt ebenſogut orientaliſch, insbeſondere aſſyriſch-
perſiſch, und gehört zum Architekturartigen wie die noch unbelebte Sym-
metrie in Gruppen. Als beſonderer Ausdruck der noch mangelnden Ge-
ſchicklichkeit fehlt auch die Seitenſtellung der Füße bei Vornſtellung des
Kopfes nicht. Auch hier wird äußere Einwirkung des Styls jener Völ-
ker auf die Anfänge griechiſcher Kunſt nicht mehr bezweifelt. Die Grie-
chen hatten nun die Aufgabe, zu vereinigen, was im Oriente getrennt
blieb, alſo die ägyptiſche und aſſyriſch-perſiſche Kraft und Würde zu ver-
mählen mit der indiſchen Weichheit, Welle der Bewegung, Anmuth;
hierin jedoch mußten ſie ihren eigenen Weg gehen, auf dieſem Puncte iſt
nicht von wirklichen Einflüſſen, ſondern nur von einer innern Analogie
die Rede. So entwickeln ſie zunächſt noch gleichzeitig mit jener harten
Gemeſſenheit und gewaltſamen Kraft jene tänzerhafte, der Orcheſtik ent-
lehnte Grazie, jenes zierliche Anfaſſen der Gewänder mit den Finger-
ſpitzen u. ſ. w., einen erſten kindiſchen Verſuch der Anmuth, die, noch
neben der Härte und ebendarum ſelbſt noch hart, für ſich ihre erſten
Schritte wagt. Ganz merkwürdig iſt nun aber der Weg der allmählichen
Befreiung von dieſen unreifen Formen, die auch in Griechenland eine
fromme Scheu, ein Geſetz des Typus bewirkend, lange befeſtigt und
nach erreichter Reife für Cultuszwecke, zum Theil auch aus Manier, im
hieratiſchen oder archaiſtiſchen Style noch feſthält. Es erhält ſich nämlich
auf dieſem Wege der Befreiung bis zum letzten Schritte, der zwiſchen
die Aeginetengruppe und das Auftreten des Phidias fällt, ein doppelter
Dualiſmus. Erſtens: man wagt wie im Orient nicht, den Gott in
naturwahrer Lebendigkeit zu bilden, wohl aber den Menſchen; alſo
fällt der göttliche und menſchliche Kreis auseinander, jener bleibt im
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